Mit einem gemeinsamen Morgenspruch beginnt die Stunde. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko
Der Lehrer Jörg Eckstein gehört zu den ersten Direkteinsteigern im Land – und in Stuttgart. Seit September unterrichtet er an der Elise-von-König-Schule in Münster als Grundschullehrer. Die Qualifizierung macht er parallel. Was sind seine Erfahrungen?
Die Stunde beginnt. Jörg Eckstein legt den rechten Zeigefinger vor den Mund, meldet sich mit dem anderen. Und die Kinder der Klasse 2a der Elise-von-König-Gemeinschaftsschule tun es ihm nach. Schwuppdiwupp ist es mucksmäuschenstill im Klassenraum. „Hallo, guten Morgen, es ist jetzt kurz nach acht“, sprechen alle wenig später stehend gemeinsam im Chor, „klatschen“ in die Hände, „springen in die Höh“ – und sind bereit für den eigentlichen Unterricht. Deutsch steht auf dem Plan.
Die Sieben- bis Neunjährigen dürfen an diesem Dienstagmorgen „wieder Wortdetektive“ sein. Es geht um die „Lieblingswortart“ ihres Lehrers, wie dieser verrät: Adjektive. Was man darunter versteht, wird Eckstein gleich im Sitzkreis vermitteln. Aber wie schafft man es, diesen überhaupt ohne wilde Rennerei zu bilden?
Ein Studienabschluss, der zum Fächerkanon passt
Jörg Eckstein greift zu einem pädagogischen Trick. Er bestimmt das Mädchen Maria zur „Sitzkreiskönigin“ – und die weiß ganz genau, was zu tun ist. Sie dreht sich zur Klasse und legt den Zeigefinger vor den Mund. Dann schiebt sie nach und nach Farbbögen an der Tafel zu einem Kreis zusammen: rot, gelb, grün und blau. Jede Farbe ist einer Tischgruppe zugeordnet. So wissen alle, wann sie nach vorne kommen dürfen. Die Aktion, die leicht ins Chaos hätte abdriften können, läuft geordnet ab. Das freut Maria – und natürlich auch ihren Lehrer.
Daumen hoch, der Sitzkreis hat gut geklappt. Foto: Max Kovalenko/Max Kovalenko
Der nimmt in seinem Kollegium eine Sonderrolle ein. Denn anders als die anderen Lehrkräfte hat Jörg Eckstein weder ein Lehramtsstudium absolviert noch ein Referendariat. Er ist im Direkteinstieg als wissenschaftliche Lehrkraft an die allgemeinbildende Schule gekommen – als einer der Ersten im Land über diesen Weg. Für das Programm kam der 42-Jährige infrage, weil er einen zum Fächerkanon passenden Studienabschluss vorweisen kann (er hat Deutsch, Englisch und Historische Anthropologie auf Magister studiert). Ein Pluspunkt war, dass er zuvor für einen Kulturverein medienpädagogisch mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet hat.
Auch die Verbeamtung ist im Anschluss möglich
40 Direkteinsteiger sind laut Kultusministerium im September an den allgemeinbildenden Schulen gestartet: 17 an Grundschulen, die übrigen 23 in der Sekundarstufe I. In Stuttgart haben vier Lehrkräfte im Direkteinstieg begonnen: zwei in der Sekundarstufe I und zwei in der Grundschule. Einer ist Jörg Eckstein. Der wird nun wie alle Direkteinsteiger (bei vollem Gehalt) berufsbegleitend zwei Jahre am Lehrerseminar qualifiziert und muss sich anschließend ein weiteres Jahr bewähren. Wer die drei Jahre abgeschlossen hat, wird laut Kultusministerium unbefristet eingestellt und kann auch verbeamtet werden.
Adjektive sind an diesem Morgen Thema. Foto: Max Kovalenko/Max Kovalenko
Zurück im Klassenzimmer. Jörg Eckstein platziert Gegenstände in der Mitte des Sitzkreises: eine Zitrone, eine Schokolade, einen Spielzeugelefanten und eine Feder. Später kommen weitere Dinge hinzu, die die Kinder zuerst mit Adjektiven beschreiben, um danach Gegensatzpaare zu bilden: wie „leicht“ (Feder) und „schwer“ (Elefant) sowie „süß“ (Schokolade) und „sauer“ (Zitrone). Nur bei einem weißen Ding kommen sie nicht gleich darauf, was es sein könnte: Um Wolle, wie mehrere raten, handelt es sich jedenfalls nicht. Eine Schülerin tippt auf Zuckerwatte und kommt dem Ganzen nahe. Watte ist es – und die ist, wie das Mädchen richtig sagt, „weich“ und passt zum „harten“ Stein. Die entsprechenden Adjektive hat Jörg Eckstein in seiner Box alle dabei – außerdem für jedes Kind ein Tütchen gefüllt mit weiteren Wörtern. Am Ende der Einführung sollen die Kinder diese an ihren Tischgruppen ebenfalls zu Gegensatzpaaren zusammenfügen.
Als er mit 19 Jahren angefangen habe zu studieren, wird Eckstein nach der Stunde erzählen, habe er sich nicht vorstellen können, Lehrer zu werden. Das habe sich mit den Jahren und dem eigenen Vaterwerden geändert. Über seine Projekte an Schulen hat er gemerkt, wie gerne er mit Schülern arbeitet. Doch der Zug schien abgefahren. Als Familienvater von drei Kindern sei es auch aus finanziellen Gründen nicht infrage gekommen, für den Berufswechsel noch mal an eine Pädagogische Hochschule zu gehen. Dann erfuhr er über einen Newsletter über die Möglichkeit des Direkteinstiegs – und ergriff die Chance, doch noch Lehrer zu werden.
Der Bewerbungsprozess sei aufwendig, und die ersten Wochen seien ein „Sprung ins kalte Wasser“ gewesen. Doch das Kollegium habe ihn „richtig gut aufgenommen“. Eine Mentorin steht ihm zur Seite, genauso die Klassenlehrerin der 2a. Das sei enorm hilfreich: Wie laut darf eine Klasse sein? Was kann man in der zweiten Klasse voraussetzen, was nicht? Was ist los mit dem Kind, das so auffällig still ist? Er konnte und könne mit jeder Frage kommen.
Gute Begleitung ist zwingend
Sechs Stunden unterrichtet Eckstein seit Beginn des Schuljahres. Eineinhalb Tage die Woche ist er zudem am Lehrerseminar in Nürtingen, hinzu kommen die Hospitationen bei den Kolleginnen. Das ist ein ordentliches Pensum. Sukzessive erhöht sich die Zahl der Unterrichtsstunden auf schließlich 20 Stunden – im Gegenzug reduzieren sich die Hospitationen.
Es gebe Tage, an denen er gerädert nach Hause komme, sagt er. Sein Respekt vor diesem „sehr anspruchsvollen“ und „fordernden“ Beruf sei eher noch gestiegen. Ein großer Teil seiner Arbeit liege darin, Kinder zu befähigen, sich in der großen Gruppe keinen sozialen Stress zu machen. Aber sehr erfüllend sei das Ganze eben auch – und mache zudem „sehr viel Spaß“. Eine gute Begleitung, betont er, sei jedoch zwingend, damit der Direkteinstieg gelingt. Bei ihm sei das gegeben. „Aber wenn nicht gut begleitet wird, läuft man gegen die Wand“, glaubt er.
Das sieht auch seine Schulleiterin, Damaris Scholler, so. Sie ist froh, sich auf das Experiment eingelassen zu haben, trotz des Mehraufwands. Langfristig profitiere man als Schule. „Ich finde es bereichernd, Menschen zu gewinnen, die auch andere Erfahrungen mitbringen“, sagt sie. Bei dem neuen Kollegen sei es der Fall: „Aus dem Sprung ins kalte Wasser wurde ein richtig guter Schwimmer.“ Wobei sie rückblickend eine zwei- oder dreiwöchige Schonfrist nur mit Hospitationen gut fände, damit der Start für alle Beteiligten sanfter verläuft.
Direkteinstieg vom nächsten Schuljahr an auch am Gymnasium
Im Kultusministerium betont man, dass für den Direkteinstieg nur Stellen geöffnet würden, wenn absehbar sei, dass sich keine regulär ausgebildete Lehrkraft findet. Bewerben sich auf eine Stelle ein Direkteinsteiger und eine ausgebildete Lehrkraft, werde Letztere vorgezogen. Es gebe entsprechend keine explizit für den Direkteinstieg ausgeschriebene Stellen, sondern nur für diese Bewerbergruppe geöffnete Stellen, so ein Ministeriumssprecher. Ab dem Schuljahr 2024/2025 solle der Direkteinstieg als wissenschaftliche Lehrkraft auch am Gymnasium und in Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren möglich sein.
Das nächste Hauptausschreibungsverfahren startet am 23. Februar. Auch Stuttgart wird dabei sein. „Wir versuchen, so viele Stellen wie möglich für den Direkteinstieg zu öffnen“, kündigt die zuständige Schulrätin am Stuttgarter Schulamt, Katharina Rebmann, an. Sie findet es „richtig gut“, dass es diese Möglichkeit gibt. Sie hätten darüber „sehr gute“ Personen für den Schuldienst gewonnen.
Kinder haben Spaß beim Eckenraten
Im Klassenzimmer der 2a hüpft Agüro vor Begeisterung in die Luft. Sie hat im Eckenlaufen mit Adjektiven die erste Runde gewonnen, weil sie am schnellsten geraten hat. Nun darf sie ihren Klassenkameraden Achmed als Schiedsrichter ablösen. Vier neue Kinder beziehen Rateposition. „Ruhe, bitte, in drei, zwei, eins“, ruft Jörg Eckstein in den Raum. Dann geht es weiter: „Das Gegenteil von heiß?“, fragt er. „Kalt“, schallt es aus vier Richtungen. Nur – wer war der Schnellste? „Alle einen weiter“, entscheidet Agüro, strahlt und dreht eine Pirouette.
Dann ist Pause. „Schiebt bitte die Stühle ran, wir verabschieden uns an der Tür“, sagt Jörg Eckstein und entlässt die Kinder. Es ist erst 9 Uhr, aber für ihn hat sich der Tag mal wieder gelohnt. Allein, weil sich das Kind, das noch zu Schuljahresbeginn kaum gesprochen hat, gemeldet hat.
Anmerkung: In der ursprünglichen Version hieß es, es hätten drei Direkteinsteiger in Stuttgart begonnen, darunter einer in der Grundschule. Tatsächlich sind es vier Direkteinsteiger. Zwei Wochen nach Beginn des Schuljahres war eine weitere Direkteinsteigerin an einer Grundschule gestartet. Diese hat sich bei uns gemeldet. Wir haben den Artikel entsprechend aktualisiert.
Welcher Gegenstand ist eckig? Foto: Max Kovalenko/Max Kovalenko
Diese Voraussetzungen muss man mitbringen
Grundschule Voraussetzung für den Direkteinstieg an der Grundschule ist laut Kultusministerium ein abgeschlossenes Bachelor-Studium, zwei Fächer der Grundschule müssen sich daraus ableiten lassen. Außerdem muss man ein mindestens sechswöchiges Praktikum in einer Schule oder in der Lebenswelt von Kindern nachweisen.
Sekundarstufe Für einen Direkteinstieg in der Sekundarstufe I benötigt man einen Master-Abschluss und muss ausreichende Studienleistungen in einem Erst- und einem Zweitfach nachweisen, die sich dem Fächerkanon der Sekundarstufe I zuordnen lassen. Hinzu kommen ein sechswöchiges Praktikum oder ehrenamtliche Tätigkeiten.
Berufliche Schulen An den beruflichen Schulen war der Direkteinstieg als Erstes eingeführt worden. Die Möglichkeit sei hier „nicht mehr wegzudenken“, so Kultusministerin Theresa Schopper. Zum Schuljahr 2023/24 sind dem Ministerium zufolge 117 Direkteinsteiger an beruflichen Schulen gestartet. Informationen zum Direkteinstieg an beruflichen Schulen finden sich hier , zum Direkteinstieg an allgemeinbildenden Schulen hier.