Auch die Globalisierung stößt an Geschmacksgrenzen: Das Stuttgarter Linden-Museum nimmt sich in seiner großen Sonderausstellung „Oishii!“ der Esskultur in Japan an.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Touristen haben es schwer in Japan. Sie können die Speisekarten nicht lesen. Hilflos starren sie auf den Automaten, an dem sie das Billet für den Mittagstisch lösen müssen. Stehen dann endlich zahllose Schälchen auf dem Tisch, schmeckt es doch nicht wie erwartet. Andere Länder, andere Sitten. Aber wenn man durch die neue Ausstellung im Stuttgarter Linden-Museumstreift, stellt man fest, dass uns Japan in Bezug auf die Küche noch fremder ist als andere Kulturen – schon allein beim traditionellen Frühstück mit eingelegtem Gemüse, Fisch und rohem Ei.

 

„Oishii – Es schmeckt mir!“ nennt sich die neue Ausstellung, die Appetit machen will auf Maki und Nigiri, Sake, Klebreis und grünen Tee. Der wird selbstverständlich nach traditionellem Ritual erst genossen, wenn die Teeschale zweimal in der Hand gedreht wurde. Die Sonderausstellung will nicht die Geschichte von Politik und Macht erzählen und auch nicht Winkelzüge der Wissenschaft darstellen, sondern widmet sich ganz handfest dem Essen in Japan. Essen als „soziales Totalphänomen“, wie es in der Schau heißt. Und wenn in Japan gespeist wird, dann kommt fast immer Reis und Fisch auf den Tisch.

Muscheltaucherin mit Krake

So taucht die Ausstellung hinab in die Tiefen des Meeres, wo sich nicht nur Brasse und Thunfisch tummeln, sondern auch Meerfrauen. Mit nichts als einer Badehose bekleidet, tauchen die starken, mythenumrankten Ama-san seit 2000 Jahren in die Tiefe, um Seetang, Algen und Meeresschnecken zu ernten. Ein „Netsuke“ aus dem 18. Jahrhundert, ein kleines Figürchen aus Elfenbein, zeigt, wie diese Muscheltaucherinnen die Fantasie der Menschen anregte. Es stellt eine Frau dar, die von einem Kraken bedrängt wird und das durchaus zu genießen scheint.

Im Zentrum der Ausstellung aber steht der Reis, der in Japan lange Zeit Synonym für Wohlstand war. So hing die Macht der Lehnsherren vom Reisertrag ab. Die Bauern selbst konnten sich den Reis nicht leisten, sie aßen Gerste und Hirse. In einer Vitrine kann man noch Regenmantel und Hose aus geflochtenem Reisstroh bestaunen, welche die Bauern einst trugen, wenn sie die Reispflanzen in den schlammigen Grund der Nassfelder setzten. In der Edo-Zeit, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts andauerte, wurden sogar Steuern in Form von Reis abgeführt. Er wurde in speziellen Holzkisten abgemessen, vom Bauern an den Lehnsherren weitergereicht und vom Lehnsherren an die Militärregierung.

Erst im zwanzigsten Jahrhundert wurde Reis für alle erschwinglich, heute fehlt er bei kaum einem Gericht – und gilt doch noch immer als ein wertvolles, wichtiges Nahrungsmittel. Deshalb wird Sushi mit Thunfisch auch nicht als Fisch-, sondern als Reisgericht bezeichnet. Die Ausstellung taucht tief ein in die Reisproduktion. Auf einer Landkarte lässt sich ablesen, dass der Klebreis aus Saga kommt. Yamada nishiki, der Reis aus Hyogo, wird dagegen mit einem Schimmelpilz versetzt – für den berühmten Sake.

Wo Hase und Rabe Klebreis stampfen

Die Ausstellung ist einladend und abwechslungsreich gestaltet. In einem Video geben Kinder der Japanischen Schule in Stuttgart Einblicke in ihre Bento-Boxen, japanische Vesperdosen, die mit buntem Reis oder Würstchen gefüllt werden. Kleine Besucher können üben, Stäbchen zu benutzen oder digital Sushi rollen. Zahlreiche Kunststoffmodelle, die häufig in den Schaufenstern japanischer Restaurant ausliegen, machen Appetit auf die fremden Speisen, die sich aller Globalisierung zum Trotz bis heute gravierend von der europäischen Küche unterscheiden. Sogar die Produkte der Süßwarenindustrie sind auf den japanischen Geschmack ausgerichtet, weshalb Nestlé die Schokoladensnacks Kitkat mit Matcha-Tee auf den Markt gebracht hat.

Die Kulturgegenstände, aber vor allem die japanischen Zeichnungen haben es dagegen schwer, sich gegen diesen munter inszenierten Parcours zu behaupten. Die historischen Illustrationen auf Papierrollen sind so zart und leise, die Formate meist klein, sodass man die Details in dem stark abgedunkelten Licht kaum ausmachen kann. Dabei werden viele schöne Holzschnitte auch aus der großen Japan-Sammlung des Linden-Museums zum ersten Mal ausgestellt, so dass man hübsche Blätter entdecken kann, etwa einen Druck von 1831 mit Hase und Rabe, die Klebreis stampfen. Es gibt auch lustige Schildkröten-Karikaturen aus dem 19. Jahrhundert. Vereinzelt wurden Rollen digitalisiert, sodass man auf dem Display die Zeichnungen als eine Art Film sieht, zum Beispiel über Fischer, die in See stechen und später ihren Fang an Land bringen, bis am Ende die Kundschaft die Essware an kleinen Holzständen erwirbt.

Wer hat das Sagen in der Küche?

Ein kurzer historischer Abriss erinnert daran, dass es durchaus Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und Japan gibt: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde beiden Nationen von den Siegermächten Demokratie verordnet. Hier wie dort lag die Wirtschaft darnieder und wurde das Volk mit Notprogrammen notdürftig versorgt. Und dann: Wirtschaftswunder und Wohlstand. So interessant und griffig das Thema Essen ist, ein bisschen mehr hätte man aber doch erfahren mögen über den Geist dieser Nation, über gesellschaftspolitische Hintergründe oder die schlichte Frage, wer im japanischen Haushalt eigentlich kocht. Wer sich für Japan etwas interessiert, wird nicht allzu viel Neues erfahren in dieser Ausstellung, die dagegen ideal für Familien ist, zumal es auch ein interessantes Rahmenprogramm gibt.

Auch wenn Essen in der japanischen Kultur ein hohes Ansehen genießt und bis heute bei Hochzeiten oder Geburten Freunde und Verwandte einen Fisch geschickt bekommen, sind nicht alle Japaner Gourmets. 1958 wurden die ersten Instant-Nudeln erfunden, die sogenannten „ramen“ aus Weizen, die es inzwischen längst nicht mehr nur mit Hühnchenaroma gibt. 1971 kam dann noch die japanische Heiße Tasse auf den Markt – Kunststoffbecher mit ramen, die mit Heißwasser aufgegossen werden.

Ausstellung bis 23. April 2017, geöffnet Dienstag bis Samstag von 10 bis 17 Uhr, Mittwoch bis 20 Uhr, Sonn- und Feiertag bis 18 Uhr. Der Katalog kostet im Museum 24,90 Euro