Die Nachricht haut Jan Tomasic „aus den Schuhen“. So lautet seine erste Reaktion, als er erfährt, dass sein Restaurant Hegel Eins in der neuen Ausgabe des „Gault Millau“ praktisch auf Sterne-Niveau steigt. Dann folgen noch Adjektive wie „toll, fantastisch, großartig“. Eine mit Mozzarella gefüllte Fake-Tomate auf weißer Tomatenessenz und Tomaten-Crumble oder geflämmte Jakobsmuschelscheiben auf Dashi-Butter-Sud und Mango-Avocado-Tataki mit Eisperlen seien nicht nur optisch ein echter Genuss, heißt es darin. Allerdings werden sein Koch Daniel Mästling und dessen Team von den Michelin-Testern nicht derart gelobt. Im neu erschienen „Gault Millau“ kommen ein paar andere Restaurants als in dem Guide vom Reifenmännchen groß heraus, andere fallen dagegen durchs Raster.
Die einen finden das Ritzi gut, die anderen mögen es im Hegel Eins
Der Vergleich der beiden französischen Gourmetführer zeigt: Auch die Geschmäcker der Profitester sind natürlich verschieden. Während der Michelin bereits im März erschienen ist, ließ sich der „Gault Millau“ für seine aktuelle Ausgabe bis 20. Juni Zeit. Während in der Zusammenfassung über Stuttgart im Michelin vor allem das Restaurant Ritzi, für dessen Gourmetbereich Ben Benasr erstmals mit einem Stern ausgezeichnet wurde, gefeiert wird, setzt die Konkurrenz andere Akzente. Statt Sterne gibt es im „Gault Millau“ Hauben, und davon für das Hegel Eins gleich zwei Stück in der Farbe Rot. In dieser Kategorie befinden sich auch das 5, der Zauberlehrling, das Délice, die Wielandshöhe oder die Hupperts. Das Ritzi wird eine Kategorie tiefer eingeordnet und mit zwei schwarzen Hauben bewertet wie – diese Köche dürften sich ähnlich freuen wie Jan Tomasic – das Fässle in Degerloch, Meister Lampe in Weilimdorf, das Restaurant Zur Weinsteige und erstmals das recht neue Nagare in Feuerbach, das vom Michelin bislang ignoriert wird. Für den „Gault Millau“ waren „die sorgsam auf schönem Geschirr arrangierten Speisen“ ein Vergnügen.
Andererseits ist Gero Schweizer recht ratlos, warum sein Restaurant im „Gault Millau“ nicht auftaucht. Er wolle sich aber nicht einmischen, betont er, jeder Führer habe eben seine eigenen Regeln. Im schönen Jugendstilambiente könne man sich dort „mit schmackhaften Gerichten wie geschmortem Pulpo mit Erbsencreme, geräucherter Mayonnaise und konfierten Kartoffeln umsorgen“ lassen, loben jedenfalls die Michelin-Tester sein Lokal. Eine solche Anerkennung sei für die Mannschaft sehr wichtig und helfe bei der Personalgewinnung, sagt der Chef. Außerdem erweitere sie das Einzugsgebiet für Gäste. „Aber wenn eine gute Bewertung kommt, heißt es nicht, dass ich mich zurücklehnen kann“, stellt Gero Schweizer klar.
Eine verloren gegangene Mail kostet den Platz im „Gault Millau“
Auf eine verspätete E-Mail führt Claudia Kiebele das Ausscheiden ihrer Weinstube Vetter aus dem „Gault Millau“ zurück. „Das ist einfach schade, wir wären eigentlich drin“, sagt die Wirtin. Zur Veröffentlichung muss jedes Lokal einen Fragebogen unter anderem mit den Öffnungszeiten ausfüllen, doch der kam nie bei der Redaktion an. In der vergangenen Ausgabe zählte die Weinstube zum auserlesenen Kreis von rund 20 Restaurants in Stuttgart, die darin erwähnt werden. Im Michelin ist sie mit einem Bib Gourmant ausgezeichnet, den es für „maximale Schlemmerei bei einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis“ gibt.
Lokale wie Christophorus, Goldener Adler oder Cube kommen im Michelin noch zu Ehren. Knausbira Stüble und Augustenstüble, das Sansibar im Breuninger und die Austern- und Champagner-Bar in der Markthalle werden im „Gault Millau“ hervorgehoben. Wer mehr Meinungen hören will, kann zum Restaurantführer „Gusto“ greifen, der zwei Dutzend Lokale in der Stadt empfiehlt. Darin schneidet etwa das Plenum im Landtag mit fünf Pfannen gleich gut ab wie das Schweizers. Sehr in die Breite geht das ebenfalls im März erschienene Buch von Varta, das mehr als 200 Restaurants in Stuttgart auflistet.
Expertenmeinung ist für die Freizeitgestaltung gefragt
„Die Menschen haben wenig Freizeit und wollen deshalb keine Experimente machen“, erklärt Jan Tomasic die Beliebtheit von Bewertungen – auch im Internet. Mit fünf Punkten bei Google schneidet das Hegel Eins zwar hervorragend ab. Aber für die gehobene Gastronomie sei der Michelin das Zugpferd, ergänzt er. Ein paar seiner Gäste hätten sogar schon an die Redaktion des Guide geschrieben und den Stern für das Restaurant im Linden-Museum gefordert. „Die haben uns jetzt auch auf dem Schirm“, ist Jan Tomasic nach dem guten Abschneiden im „Gault Millau“ sicher, „es ist nur eine Frage der Zeit.“