Sie zählen zu den großen Jazztalenten an der Stuttgarter Musikhochschule: die 21-jährige Pianistin Clara Vetter und der 16-jährige Saxofonist Jakob Manz. Aber wie findet man heutzutage als junger Musiker in diesem wenig populären Genre überhaupt seinen Weg?

Stuttgart - Clara Vetter ist 21 Jahre alt, Jakob Manz sogar erst 16. Beide Musikstudenten gelten als große Begabungen, ihre Lehrer hegen höchste Erwartungen an ihre Zukunft – und sie lieben eine Musik, die sonst nur wenige ihrer Altersgenossen schätzen: den Jazz. Wie konnte es so weit kommen?

 
Frau Vetter, Herr Manz, viele Ihrer Freunde hören Pop, Techno oder Indie, Sie haben Zugang zu Jazz gefunden. Wie, wann und warum?
Vetter Ich hatte das Glück, in einer musikalischen Familie aufzuwachsen, und war von Geburt an umgeben von Klassik und Jazz. Meine Mutter ist Klavierlehrerin, sie hat mich vom dritten Lebensjahr an unterrichtet. Für den Jazz habe ich mich auch deshalb entschieden, weil mein Onkel Klaus Webel Jazzpianist ist. Als ich sieben oder acht war, durfte ich bei seinem Abschlusskonzert zuhören und war total begeistert.
Manz Mit fünf Jahren habe ich mit Schlagzeug angefangen, als Achtjähriger mit Blockflöte. Ich habe immer sehr viel nach Gehör gespielt und bald angefangen zu improvisieren. Meine Flötenlehrerin hat mich in den Saxofonunterricht geschickt, wo ich mit Jazz vertraut gemacht wurde.
Was ist heute das Besondere am Jazz?
Vetter Er zeichnet sich durch Improvisation aus, und er bringt Menschen zusammen. Ich finde, das passt gut in die heutige Zeit. Bewegungen wie „#healthy“, „Lifehack“, „Self-Love“ laden dazu ein, im Jetzt bewusst und gesund zu leben und auf seine Umwelt zu achten. Auch in der Improvisation muss man im Moment sein und Impulsen folgen, ohne sich durch Zweifel blockieren zu lassen. Man muss die grenzenlose Freiheit im Umgang mit dem Erlernten spüren, und man sollte aufhören, sich und seine Mitspieler im Moment des Spielens zu kritisieren, vielleicht sogar überhaupt zu bewerten. Toleranz und Empathie sind immer nötig.
Was ist das Schönste beim Studium, was das Schwierigste?
Manz Das Schönste ist für mich, mit den anderen Studenten Musik zu machen. Schwierig finde ich manchmal, aus der Fülle an Angeboten eine eigene musikalische Identität herauszuarbeiten.
Vetter Man bekommt so viele Informationen und ist von großartigen Dozenten und Mitstudenten umgeben, dass man sofort alles in sich aufnehmen möchte. Man ist begeistert, übt täglich mehrere Stunden, hört aus Ambition nicht auf, sich anzutreiben, und merkt nicht, dass man all seine Kräfte aufbraucht. Manchmal kann es effektiver sein, sich Entspannung zuzugestehen. Da kommt dann aber oft genug ein schlechtes Gewissen auf.
Wird man genügend auf das spätere Leben als Profimusiker vorbereitet?
Vetter Es liegt es an einem selbst, sich Fähigkeiten anzueignen. Man kann sich nur selbst zum Profimusiker machen und sollte diese Verantwortung auch ganz klar in den eigenen Händen behalten.
Manz Man kann in allen Bereichen des Studiums sehr viel mitnehmen und wird gut auf das spätere Leben vorbereitet. Eine gewisse Eigeninitiative ist aber schon nötig.
Welche Qualitäten braucht man, um auf dem umkämpften Musikmarkt zu bestehen?
Manz Musikalische Qualität allein reicht leider nicht. Viel hängt von Äußerlichkeiten ab: vom richtigen Bild, einer guten Internetpräsenz, interessanten Videos, einer einprägsamen Facebook-Seite.
Vetter Man darf sich auf diesen Konkurrenzkampf nicht einlassen. Wenn man bei sich selbst bleibt und seiner Liebe zur Musik nachgeht, stehen die Chancen gut, dass ein inspirierendes Projekt entsteht, das auch gehört werden will. Für mich war es bisher immer von Vorteil, dass es mir leicht fällt, Kontakte zu knüpfen und Leute zu finden, die mir gerne weiterhelfen oder mit mir zusammenarbeiten wollten.
Wie oft und wie lange üben Sie? Und schreiben Sie schon eigene Stücke?
Vetter Ich schaue gerade nicht mehr so sehr auf die Zeit, die ich am Instrument verbringe. Komponieren ist ein Teil des Übens und ein wichtiger Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Ich versuche, Ideen immer so lange zu verfolgen, bis sie sich ausformuliert anfühlen, und das kann Tage dauern. Zu sehen, wie meine Kollegen mein Stück verstehen und ihre Vorschläge einzubeziehen, hilft mir sehr, die eigenen Ideen noch besser kennenzulernen.
Manz Wegen der Schule kann ich leider nicht so oft üben. Ich komponiere gern. Manchmal kommt eine Idee aus dem Nichts, manchmal durch das, was ich höre, sehe und fühle. Verallgemeinern kann ich das nicht.
Haben Sie ausreichend Möglichkeiten, mit anderen Musikern zu spielen?
Vetter Wir haben das Glück, an der Hochschule unter Gleichgesinnten zu sein. Wir veranstalten kleine Jamsessions, machen Projekte, tauschen uns aus. Für mich sind die hochschuleigenen Jazz- und Popfestivals, die jedes Jahr im Februar stattfinden, ein besonderes Highlight. Da werden renommierte Künstler eingeladen, mit denen wir deren Musik spielen dürfen. Solche Projekte durfte ich bisher mit Pablo Held und Peter Brötzmannmachen, 2018 werde ich bei Niels Kleins Programm dabei sein.
Was ist besser: In kleinen Ensembles spielen oder ein Klangbad in einer Big Band ?
Manz In kleinen Bands kann spontan mehr entstehen. Aber natürlich ist es toll, einen satten Big-Band-Sound hinter sich zu haben oder in der Kirche Pauke zu spielen.
Vetter Momentan genieße ich es, feste Positionen in beiden Formationen zu haben. Da Orchestrierung am Klavier für mich ein wichtiges Thema ist, inspiriert es mich, in unterschiedlichen Besetzungen zu spielen.
Wer sind Ihre Vorbilder?
Vetter Ich versuche mich gar nicht so festzulegen, sondern mich in so viel Verschiedenes wie möglich hineinzuhören und davon zu lernen. John Coltrane und Herbie Hancock habe ich wegen der Phrasierung transkribiert, Bill Evans wegen seiner Voicings.
Manz Saxofonisten wie Maceo Parker, David Sanborn, Kenny Garrett oder Charles Lloyd gefallen mir als Instrumentalisten. Ein großes Vorbild aber ist Miles Davis, der immer nach vorne geblickt und dessen Musik sich ständig verändert hat, ohne dass er seine Identität aufgegeben hätte.
Wie findet man seine eigene, möglichst unverwechselbare Stimme?
Vetter Ich bin sehr dankbar, dass mein Professor Hubert Nuss mich genau in dem unterstützt, das mir wichtig ist: zu mir selbst zu finden, so dass Spaß und Inspiration kommen können.
Manz Ein Lehrer ist für mich jemand, der meinen musikalischen Weg erleichtert und mir neue Wege zeigt. Er sollte auch Ziele vorgeben. Ich weiß manchmal nicht, wie ich ein bestimmtes Ziel erreichen kann. Dabei hilft mir Christian Weidner, und er fördert mich dabei, eigene Vorstellungen zu entwickeln.