Inzwischen ist jedes Wohnzimmer ein Einkaufszentrum. Wegen Amazon & Co ersticken viele Städte am Lieferverkehr. Ein Problem ist die Expressmentalität der Kundschaft. Die Misere ließe sich mit Güterzügen besonderer Art besser bewältigen – so die Erkenntnis aus einer Podiumsdiskussion beim Zukunftskongress der Stuttgarter Zeitung.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Fabian Kober könnte einmal der Gottlieb Daimler des innerstädtischen Warenverkehrs werden – der überdies klimaneutral unterwegs ist. Der Vater des Automobils hat am 1. Oktober des Jahres 1896 in Cannstatt den ersten motorisierten Lastwagen verkauft. Kober würde gerne demnächst den von seiner Firma DroidDrive in Aachen entwickelten „Duck Train“ zu laufen bringen. Das ist so etwas wie ein kleiner, elektrisch betriebener Güterzug, der Boten zu Fuß oder auf dem Rad folgen kann, ohne an diese gekoppelt zu sein. Die nach dem Gänsemarsch benannten Vehikel wären ein Beitrag, um das transportbedingte Verkehrschaos in Städten zu bewältigen.

 

Kober wäre mit seinen elektronisch gesteuerten Güterwägelchen auch gerne auf Geh- und Radwegen unterwegs, so wie auch Briefboten. Damit bewegt er sich jedoch in einer rechtlichen Grauzone. Noch sucht er nach Pilotstädten, um den „Duck Train“ testen zu können.

80 Prozent der Ladezonen zugeparkt

Tatsächlich gibt es „massiv Probleme wegen der hohen Verkehrsdichte in den Stadtzentren, und das belastet die Paketdienste“, so Carsten Hansen vom Bundesverband Paket und Expresslogistik. Studien hätten ergeben, dass zum Beispiel 80 Prozent der Ladezonen von Privatfahrzeugen zugeparkt seien. Den Kurierfahrern bliebe oft gar nichts anderes übrig, als in zweiter Reihe zu halten. Die Verkehrsinfrastruktur „müsste massiv umgebaut werden, um dem wachsenden Paketaufkommen gerecht zu werden“, sagt Raimund Rassillier, Gründer und Geschäftsführer des Tübinger Unternehmens VeloCarrier, das mit Radkurieren unterwegs ist, um Lieferprobleme auf dem ersten und der letzten Meile des Warenverkehrs zu lösen. „Wir können so nicht weitermachen“, bestätigt auch Alex Vastag, Wissenschaftler am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik. Er plädiert für eine stärkere Reglementierung des Lieferverkehrs in besonders belasteten Stadtquartieren. Gerade auf der ersten und der letzten Meile der Transportwege werde „sehr viel leer gefahren“, so Rassillier.

Der Ursprung all dieser Probleme liegt zum einen darin, dass die meisten Städte nicht für Lawinen individueller Paketsendungen gebaut wurden, zum anderen liegt er bei uns allen: den Verbrauchern. „Heute ist jedes Wohnzimmer ein Einkaufszentrum“, sagt der Logistiker Hansen. Seit dem Jahr 2000 habe sich das Lieferaufkommen verdoppelt – und wachse weiter. Professor Vastag plädiert für eine stärkere Trennung von Personen- und Güterverkehr: die Kurierfahrer würden sinnvollerweise nachts ausliefern und nicht gerade dann, wenn der Berufsverkehr unterwegs ist. Zudem hält er das Versprechen, stets prompt und möglichst schnell zu liefern, für Unsinn: „Mit Amazon Prime kommen wir nicht weiter.“ Vastag spricht sich für eine „Entschleunigung“ der Warenlogistik aus. Das lasse sich durch entsprechende Preisaufschläge regeln. „Es muss nicht alles schnell gehen. Es muss nicht alles bis an die Haustür transportiert werden.“

„Transport hat heutzutage keine Wertigkeit mehr“

Lastenrad-Spediteur Rassillier beklagt, „dass Transport heutzutage keine Wertigkeit mehr hat“. Er sagt: „Das Ich-möchte-das-jetzt-haben verursacht der Gesellschaft hohe Kosten.“ Um diese Kosten zu reduzieren, wäre es notwendig, auch die Rücklaufquoten zu drücken. Die erreichen bei Zalando und Co bis zu 50 Prozent des Transportvolumens. Alex Vastag sagt: „Das ist nicht mehr zeitgemäß.“