Eine Expertenrunde der Stuttgarter Zeitung hat am Dienstagabend über den Mittelstand, das Rückgrat der Wirtschaft, diskutiert. 

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - "Mythos Mittelstand – sind Familien die besseren Unternehmer?“ – auf Spurensuche machten sich am Dienstagabend auf Einladung der Stuttgarter Zeitung und der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants Experten und Vertreter von Unternehmen. Natürlich aber war die Landtagswahl in Baden-Württemberg zunächst ein Thema, das allen auf den Nägeln brannte. Volker Grub, der Stuttgarter Insolvenzspezialist, rechnet nicht damit, dass er persönlich – schon wegen seines Alters – noch von den Vorzügen von Stuttgart 21 profitieren wird. Werde das Projekt nicht verwirklicht, könne er dagegen als Insolvenzverwalter gute Geschäfte machen: „Dann steigt die Zahl der Insolvenzen am Bau“.

 

Doch so eigennützig ist Grub natürlich nicht. Er gab sich klar als Befürworter des Vorhabens zu erkennen: „Für die Wirtschaftsstruktur des Landes ist Stuttgart 21 nötig.“ Robert Friedmann, Sprecher der Konzernführung von Würth, ist „überzeugt, dass wir nach dem Regierungswechsel kein Chaos bekommen“. Auch Roland Berger fürchtet keinen Untergang des Abendlandes. Vom künftigen grünen Ministerpräsidenten und seinem sozialdemokratischen Partner erwartet er eine realistische Politik: „Kretschmann und Schmid sind vernünftige Menschen. Sie wissen, was sie dem Industriestandort Baden-Württemberg schuldig sind “ – einem Standort, der besonders durch mittelständische Unternehmen geprägt ist. Axel Schmidt, Stuttgarter Niederlassungsleiter von Roland Berger, eröffnete die Diskussion über den „Mythos Mittelstand“ mit einer, wie er sagte, provokanten These: „Familien“, so Schmidt, sind die besseren Unternehmer“.

Familien denken langfristig

Als Beleg führte er eine Studie der Münchener Unternehmensberatung an. Darin werde gezeigt, dass Familienunternehmen die jüngste Krise oft besser als Großkonzerne bewältigt haben. Sie investierten einen größeren Anteil der flüssigen Mittel in die Modernisierung der Produktion, sie seien auch innovationsfreudiger, hätten mehr Eigenkapital und sie träten selbst in der Krise bei Forschung und Entwicklung nicht abrupt auf die Bremse. Zudem haben sie auch in der Krise – Joachim Dorfs, der Moderator und Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, wies darauf hin – ihr Personal weitgehend gehalten. Für Wolfram Freudenberg, den Vorsitzenden des Gesellschafterausschusses der Freudenberg-Gruppe, die praktisch alle Branchen beliefert, ist vor allem das langfristige Denken ein Vorteil von Familien.

„Die Eigentümer ziehen zur Not auch noch das letze Hemd aus.“ So viel Lob indes wollte Volker Grub nicht unwidersprochen lassen: „Da haben Sie einen Patrirachen, den aber niemand mehr kontrolliert“, meinte Grub, „wo keine wirkliche Kontrolle ist, kann schnell eine Schieflage entstehen.“ Die große Gefahr, so der Insolvenzexperte, sei „zügelloses Wachstum auf Pump.“ Als Beispiele nannte er den Ulmer Unternehmer Merckle oder den Autozulieferer Schaeffler. Auch ein Patriarch allerdings muss nicht unbedingt des Teufels sein: „In der Krise ist Herr Würth keineswegs aufgeregt gewesen. Er hat Ruhe ausgestrahlt“, sagte Robert Friedmann, der Geschäftsführer des weltweit größten Schraubenhändlers.

Berger vermisst Gründermentalität

"Die guten Eigenschaften vererben sich nicht"

Zudem spiele Würth nicht den Herrn im Hause: „Er ist zwar fordernd, aber er lässt seinem Management auch Freiheiten“. Aushalten muss Friedmann aber Seiten hiebe, wenn er sich nicht an eine Empfehlung hält: „Ich meine, mich zu erinnern, Ihnen etwas anderes geraten zu haben“, sagt Würth dann beispielsweise. Schrauben gibt es, wie im Würth-Museum zu besichtigen, seit tausend und mehr Jahren.

So alt ist die deutsche Industrie zwar nicht. Doch nach Meinung von Roland Berger fehlt es hierzulande an Gründermentalität: „Warum haben wir hier kein Google oder kein Facebook?“, fragte er. „Unsere Gründer- und Finanzierungskultur passt nicht zu den heutigen Technologien,“ fügte er hinzu. Als Beispiel nannte er die Erbschaftssteuer, die Erben belohnt, die das Unternehmen noch zehn Jahre weiterführen: „Stellen sie sich vor, ich erbe eine Brauerei,“ – ein Unternehmen in einem schrumpfenden Markt. Besser, so meint er, wäre verkaufen und das Geld in ein Biotechnologieunternehmen zu stecken.“ Da könnte er recht haben. Doch wenn es um die Zukunft gerade von Familienunternehmen geht, hat Insolvenzpraktiker Grub eine Erkenntnis parat, die ihm viel Beifall einbrachte: „Wir haben gelernt, dass sich die guten Eigenschaften eines Gründers nicht vererben.“