Stuttgart - Nach Schwefel riecht es nicht. Dafür nach Trockennebel. Das wabernde Gewölk in der Stuttgarter Spielstätte Nord zeigt es an: Der eine oder die andere wird hier nicht ganz klar sehen, sich in einem Gespinst aus Halbwahrheiten, Vermutungen, Paranoia verirren. Gespielt wird „Nathanael“ – nach E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“. Die Kooperation des Schauspiel Stuttgart mit Regie- und Schauspielstudierenden der Akademie für darstellende Kunst in Ludwigsburg feierte am Dienstag Premiere.
Hellsichtiger Romantiker
Wenn ein Werk eines Romantikers aus dem 19. Jahrhundert auf dem Spielplan eines Theaters steht, welche Relevanz hat das, abgesehen von der schönen Tatsache, dass junge Menschen sich mit alten Texten befassen? Vielleicht dies, so die Erkenntnis nach dem 90-minütigen Abend: In einer Welt, in der viele Menschen von Ängsten geplagt sind, von Stimmen im Kopf, von Gedanken an eine große Verschwörung, scheint der Romantiker vieles vorweggenommen zu haben, das heute diskutiert wird.
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Nathanael will den Tod seines Vaters aufklären. Er glaubt, dass ein dubioser, nach Schwefel riechender Mann für den Tod des Vaters verantwortlich ist. Er trägt Kladden voller Beweismaterial zusammen, driftet zunehmend ab in eine Welt, in der er nicht mehr weiß, was Wahn, was Wirklichkeit ist. Hier wird der vermeintlich harmlose Klempner zu einem beängstigenden Wesen, nicht nur, weil es einen daran streng erinnert, dass Glasflaschen „nicht in den Gelben Müll gehören“. Derlei Hinzufügungen mögen in der Lektüre kalauerhaft wirken, in der Inszenierung des Autors und Regiestudenten Jannik Graf kommen sie absolut ernsthaft daher.
Identitäten sind fluide
Überzeugend ist auch die Rollenverteilung – niemand ist nur gut, nur böse, Identitäten sind fluide. Larissa Pfau spielt den coolen Freund Lothar, den bösen Fremden ebenso wie die künstliche Olimpia, in die Nathanael sich verliebt. Julian Moritz verkörpert Nathanaels Freundin Clara, den bizarren Professor und Olimpia-Erschaffer Spalanzani. Henning Mitwollen als Nathanael rätselt mit sanfter Stimme, was Realität, was Traum ist, wem und was er trauen kann.
Nicht nur ein doppelter Boden tut sich auf, es sind viele, begleitet von Videobildern, Schattenspielen – und von Margarethe Zuckers Musik, welche die jeweilige Atmosphäre verstärkt. Die Auseinandersetzung mit dem „Sandmann“ mündet in die sehenswerte Kreation einer dunkel lockenden Albtraumwelt, die mehr mit dem Hier und Jetzt zu tun hat, als manche wünschen würden.
„Nathanael“ Termine am 10. 2. 26. und 27. 3.
Info
www.schauspiel-stuttgart.de