Die ARD zeigt am Samstag Dominik Grafs „Zielfahnder – Flucht in die Karpaten“: Ein Thriller, Roadmovie und Länderporträt in einem.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Von Island bis in die Bretagne, vom Allgäu bis in die Toskana, von Göteborg bis Zürich: Der öffentlich-rechtliche Fernsehkrimi hat längst ganz Westeuropa kolonialisiert. Kein pittoresker, von Tourismuszentralen beworbener Landzipfel mehr, durch den Regisseure und Autoren nicht ihre verbrecherjagenden Darsteller schicken.

 

Dominik Graf und Rolf Basedow können dieser bestausgeleuchteten Wohlstands-Zone scheinbar nichts mehr abgewinnen. Schon in ihrer Mafia-Saga „Im Angesicht des Verbrechens“ richteten der Regisseur und der Drehbuchautor die Kamera lieber aufs Migrationsmilieu russischer Einwanderer im ruppigen Berlin und sprengten mit ihrer Kreuzung aus Thriller und Sozialstudie sämtliche Fernsehgewohnheiten. In ihrem neuen Film , „Zielfahnder – Flucht in die Karpaten“, packen sie nun die Genres Man-Hunt-Thriller, Roadmovie und Länderporträt wieder derart eigenwillig zusammen, dass er wie ein Mini-Ableger ihres preisgekrönten, zehnteiligen TV-Epos anmutet – wobei sie geografisch noch ein ganzes Stück weiter Richtung Osten rücken: nach Rumänien.

Sprache, Mentalität, ungeschriebene Gesetze: alles ist den Ermittlern fremd

Das ist die Heimat eines entflohenen Häftlings, des Gewaltverbrechers Caramitru (Dragos Bucur), der von den Düsseldorfer Zielfahndern Hanna Landauer (Ulrike C. Tscharre) und Sven Schröder (Ronald Zehrfeld) gesucht wird. Sie gehören einer nicht zimperlich geführten Spezialeinheit des LKA an, die rund um den Globus nach Straftätern fahndet. GPS, Peilsender, Telefonüberwachung, Hubschrauber-Sichtung: Dank ultimativer Technik gelingt es zwar, den Flüchtigen noch in Deutschland aufzuspüren; dank Telefon- und Kameraschalte sind sogar Justiz- und Innenminister wie auch die LKA-Zentrale bei der Menschenhatz live dabei. Doch die Natur schlägt High-Tech, immer noch: An der deutsch-polnischen Grenze kann Caramitru über die Oder entkommen und von dort nach Rumänien fliehen. Hier müssen die deutschen Ermittler mit den osteuropäischen Kollegen kooperieren. Dass sie keine Exekutivfunktion haben, ist nur ein Hindernis bei ihren Ermittlungen. Sprache, Mentalität, Kultur, ungeschriebene Gesetze – alles ist ihnen fremd.

Dominik Graf ist ein Milieuausleuchter, der Impressionist und fiktionale Dokumentarist unter den Regisseuren. Authentizität und Unmittelbarkeit sind die Dogmen seines physisch-realistischen Fernsehens. Und so schickt er Tscharre und Zehrfeld in die Vergnügungszonen von Bukarest, lässt die Kamera über den Altstadttrubel schwenken, schnüffelt in Bars und Bordelle hinein und zeigt in semi-dokumentarischen Bildern das befremdliche, ambivalente, chaotische Land – unergründlich für den Zuschauer, was daran mit viel Statisterie arrangiert, was Zufallsprodukt ist.

Von der Hauptstadt geht es in die Provinz, wo die Schwester des Gesuchten heiratet. Das Hochzeitsfest, so das Kalkül, könnte Caramitru anlocken: Die Fahnder legen sich im Glockengestühl der Dorfkirche mit Ferngläsern auf die Lauer.

Das surreale Osteuropa

Die Reise ins Hinterland ist auch eine Zeitreise, sie katapultiert die Ermittler in eine archaische, vordigitale Epoche: Landkarten statt Navigationssysteme zur Orientierung, Pferde statt Hubschrauber zur Verbrecherjagd – krasser könnte der Kontrast zur beschleunigten High-Tech-Welt des Düsseldorfer LKAs nicht ausfallen. Die Hochzeit wirft die Deutschen mitten hinein in rumänisches Brauchtum, zu dem exzessives Trinken genauso gehört wie Trachtenfrauen, die dem Bräutigam Ratschläge in gesungenen Litaneien geben.

Eine überspitzte Kontrastierung? Der Autor Rolf Basedow beruft sich auf seine Recherchen im Land: „Rumänien ist so voller surrealer Momente, da musste man nur schauen, zuhören, aufschreiben“, sagt er. Auch wenn unterm Strich dann etwas zu viel Ethnologie im Spiel ist, vermeiden die Filmemacher die üblichen Klischees vom schäbigen Ostblock und spielen stattdessen humorvoll mit westlichen Erwartungen. In der vielleicht besten Szene der „Zielfahnder“ redet der rumänische Polizeichef (stark: Radu Binzaru) mit Hanna Landauer Tacheles. Plötzlich braucht er keinen Dolmetscher mehr, er stellt einfach Schnapsgläser auf den Tisch. Und erzählt in bestem Deutsch der Kollegin von seiner kranken Mutter und dem korrupten Arzt, der geschmiert werden will, um die Mutter mit Medikamenten zu versorgen. Dann fragt er Hanna, die ohnehin daran zweifelt, dass die rumänische Polizei Caramitru fassen will, ob sie denn glaube, mit dieser Geschichte die Wahrheit gehört zu haben.

Das Ermittler-Roadmovie ist atmosphärisch dicht, schnell geschnitten und mit viel wackliger Handkamera gedreht. Damit erzeugt Graf den dokumentarischen Anstrich, ohne zu viel an Spannung preisgeben zu müssen, wobei die Entschleunigung in den Karpaten auch deutlich das Erzähltempo prägt. Gelungen ist auch die Beiläufigkeit, mit der Basedow die Figuren und ihre persönlichen Dramen skizziert. Die Hanna der Ulrike C. Tscharre ist taff, aber angeknackst, sie hat mit dem Flüchtigen eine Rechnung offen. Ronald Zehrfelds Schröder indes befürchtet nach der Trennung von seiner Frau auch noch die Entfremdung von seiner Tochter. Beide spielen zurückgenommen, aber auf den Punkt.

Aber was diesen Krimi vor allem auszeichnet: Basedow und Graf lassen Fragen offen und verzichten auf Erklärungen – das tut dem Fernsehen immer gut. Rumänien bleibt undurchschaubar und bei allem Realismus „magisch“, wie es mehrmals heißt.

ARD, Sonntag 20.15 Uhr