Einige Tierarten haben Taktgefühl und ein Gespür für Gesänge. Vögel sind auf diesem Gebiet besonders begabt. Tauben können sogar lernen, Musik von unterschiedlichen Komponisten zu unterscheiden.

Stuttgart - Die Saison der lautstarken Frühlingskonzerte hat schon wieder begonnen. Mit ihren abwechslungsreichen Kompositionen lassen Singvögel in diesen Tagen keinen Zweifel an ihren musikalischen Talenten. Doch sie sind keineswegs die einzigen Tiere mit einem Sinn für Melodien und Rhythmen. So haben Forscher Papageien und Seelöwen beobachtet, die sich spielerisch zu Klängen aus Lautsprechern bewegen – und dabei erstaunlich gut im Takt bleiben. Welche Rolle aber spielen solche Fähigkeiten im Leben der einzelnen Arten? Und kann man daraus vielleicht Rückschlüsse auf die Ursprünge der menschlichen Musik ziehen? Auf solche Fragen finden Verhaltensforscher immer mehr spannende Antworten.

 

„In allen menschlichen Kulturen rund um die Welt gibt es irgendeine Form von Musik“, sagt Marisa Hoeschele von der Universität Wien. Sie und ihre Kollegen schließen daraus, dass die Begeisterung für akustische Genüsse biologische Wurzeln hat. „Die aber können wir untersuchen, wenn wir die musikalischen Fähigkeiten von Menschen und Tieren vergleichen“, erklärt die Forscherin. Sie interessiert sich unter anderem dafür, wie verschiedene Lebewesen Klänge wahrnehmen. So hat sie Tauben, Schwarzkopfmeisen und Menschen beigebracht, aus drei Tönen bestehende Akkorde voneinander zu unterscheiden – in allen drei Fällen mit ähnlichem Erfolg. Mitunter schneiden die Tiere bei solchen Versuchen sogar besser ab als Menschen. Vögel etwa haben oft ein feineres Gespür für die zeitlichen Abstände zwischen den Tönen und für Unterschiede in der Klangfarbe. Auch Tonhöhen können sie normalerweise besser unterscheiden als Säugetiere.

Die Nachtigall gehört zu den begabtesten Sängern

All das hilft den gefiederten Sängern, bei ihren Konzerten die Töne möglichst exakt zu treffen. Einigen Arten aber reicht das noch nicht. Statt ein angeborenes Standardprogramm abzuspulen, müssen sie ihre Gesänge erst lernen. Das hat den Vorteil, dass sie flexibel auf neue Situationen reagieren und ihren Darbietungen eine individuelle und kreative Note verleihen können. Arten mit so komplexen Fähigkeiten sind für Verhaltensforscher natürlich besonders interessant. „Davon gibt es gar nicht so viele“, sagt Silke Kipper von der Technischen Universität München. Sie hat sich mit einem der begabtesten Sänger aus diesem Club beschäftigt: der Nachtigall.

Vor allem zwischen Ende April und Mitte Mai lassen die Nachtigallen-Männchen ihre eindrucksvollen Stimmen erschallen, um ihr Revier abzugrenzen und mögliche Partnerinnen anzulocken. Wenn das gelungen ist, verstummt das Gezwitscher. „Männchen, die in Juninächten noch singen, haben kein Weibchen abbekommen“, erklärt die Forscherin. Diese Junggesellen haben in den Ohren der Umworbenen offenbar nicht überzeugt.

Erfolg beim anderen Geschlecht

Das kann verschiedene Gründe haben. Denn die strenge gefiederte Jury zieht bei der Auswahl eine ganze Reihe von Kriterien heran. Sie achtet zum Beispiel darauf, wie akkurat der Gesang vorgetragen wird: Kommen die Triller an der richtigen Stelle oder mit zeitlicher Verzögerung? Punkten kann ein Bewerber auch mit Sequenzen, die besonders schwierig zu singen sind. Und auch die Größe des Repertoires spielt gerade bei Nachtigallen eine wichtige Rolle. Während sich etwa ein Buchfink mit drei verschiedenen Strophen begnügt, haben ältere Nachtigallen etwa 180 auf Lager. Dabei macht allerdings Übung den Meister. „Einjährige Männchen beherrschen erst zwischen 120 und 140 Strophen“, sagt Silke Kipper. „Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe dafür, dass sie noch nicht so viel Erfolg beim anderen Geschlecht haben.“

Aus den Konzerten können die Weibchen aber nicht nur das Alter, sondern auch den Gesundheitszustand der jeweiligen Interpreten heraushören. Denn Tiere mit Parasitenbefall oder schwachem Immunsystem singen schlechter als andere. Und das sind noch längst nicht alle Informationen, die in den abwechslungsreichen Strophen stecken. So erfährt die interessierte Zuhörerin, ob der Sänger schon eine Partnerin hat oder nicht. Woher er stammt. Und vielleicht sogar, wie viel Engagement er bei der Aufzucht des Nachwuchses an den Tag legen wird.

Die Geschmäcker sind verschieden

Anhand all dieser Informationen kann das Weibchen dann einen Kandidaten auswählen. „Dabei nimmt es denjenigen, der zu ihm selbst am besten passt“ erklärt Silke Kipper. Ein Tier, das schon seit Jahren im gleichen Park brütet und jeden Winkel kennt, ist zum Beispiel nicht auf einen alteingesessenen Partner angewiesen. Es kann stattdessen mehr Wert auf andere Qualitäten wie etwa ein gutes Immunsystem oder ein großes Engagement beim Füttern des Nachwuchses legen. Den universellen Erfolgsgesang, bei dem jedes Weibchen schwach wird, gibt es also nicht.

Das ist bei menschlichen Musikfans ganz ähnlich. Wie weit die Parallelen aber tatsächlich reichen, ist schwer zu sagen. „Niemand weiß zum Beispiel, ob der Gesang für Nachtigallen nur eine Informationsquelle ist oder auch ein ästhetischer Genuss“, sagt Silke Kipper. Beim Menschen besteht daran kein Zweifel. Der amerikanische Psychologe Steven Pinker zieht da gern einen kulinarischen Vergleich. Ähnlich wie Menschen seit Urzeiten eine Vorliebe für süßes und fettes Essen haben, gebe es auch einen angeborenen Hang zu wohlklingenden Tonfolgen. Für ihn ist Musik eine Art „Käsekuchen für die Ohren“.

Musikalität hat aber noch mehr Facetten als Singen und Zuhören. Es gibt ja auch die Möglichkeit, sich synchron zu einem Rhythmus zu bewegen. Und auch das ist Tieren durchaus nicht fremd. Peter Cook von der University of California in Santa Cruz berichtet zum Beispiel von einem Kalifornischen Seelöwen namens Ronan, der zu Musikstücken im Takt mit dem Kopf nickt – und anschließend eine angemessene Belohnung kassiert.

Eine Schimpansin am Keyboard

Japanische Forscher von der Universität Kyoto wiederum staunen über die Darbietung der Schimpansin Ai. Das Tier hatte gelernt, abwechselnd zwei Tasten auf einem elektronischen Keyboard zu drücken, wenn diese aufleuchteten. Als die Forscher dazu eine Sequenz von Tönen einspielten, passte Ai den Rhythmus ihres Tastenspiels spontan daran an. Und ein Gelbhaubenkakadu namens Snowball hat es mit seinen Tänzen zur Musik verschiedener Bands von Queen bis zu den Backstreet Boys sogar zum Youtube-Star gebracht. Forscher vom Neurosciences Institute in San Diego in Kalifornien bescheinigen dem rhythmischen Papagei, dass er dabei sehr gut im Takt bleibt – auch wenn man die Musik schneller oder langsamer abspielt.

Wozu aber ist ein solches Rhythmusgefühl eigentlich gut? Da es bei so unterschiedlichen und nicht näher miteinander verwandten Arten auftritt, scheint dieses Talent im Laufe der Evolution gleich mehrmals unabhängig voneinander entstanden zu sein. Da muss es schon einen handfesten Vorteil bieten. Und Wissenschaftler haben auch eine Idee, wie der aussehen könnte. Auch Taktgefühl ist nämlich eine gute Möglichkeit, sich bei der Partnerwerbung ins rechte Licht zu rücken. „Bei Menschen wirken Tänzer, die sich akkurat zum Beat der Musik bewegen können, ja auch besonders attraktiv“, sagt Marisa Hoeschele. „Das dürfte bei Tieren mit dieser Fähigkeit genauso sein.“

Bach oder Strawinski

Musikrichtungen
Einige Tierarten zeigen ein erstaunliches Verständnis für die Eigenheiten unterschiedlicher Musikrichtungen. So haben Debra Porter und Allen Neuringer vom Reed College in Oregon in den 1980er Jahren Tauben beigebracht, die Musik verschiedener Komponisten zu unterscheiden. Die Tiere sollten auf eine Scheibe picken, wenn sie Werke von Johann Sebastian Bach hörten, und auf eine andere, wenn die Klänge von Igor Strawinski stammten. Da sie für richtige Antworten Futter als Belohnung bekamen, lernten sie diese Unterscheidung und konnten auch unbekannte Sequenzen beider Musiker richtig zuordnen. Mit den Werken ähnlich klingender Komponisten konfrontiert, sortierten sie diese genauso in die Strawinski- oder Bach-Schublade ein, wie es die zum Vergleich getesteten College-Studenten taten. Ähnliche Ergebnisse haben Versuche mit Karpfen gebracht, die Blues von Klassik zu unterscheiden lernten.

Vorlieben
Manche Arten scheinen Musik aber nicht nur richtig zuordnen zu können, sondern auch spezielle Vorlieben zu haben. So haben Frans de Waal vom Yerkes National Primate Research Center in Atlanta und seine Kollegen kürzlich 16 Schimpansen Weltmusik aus Afrika, Indien und Japan vorgespielt und beobachtet, in welcher Entfernung zum Lautsprecher sie sich aufhielten. Afrikanische und indische Musik lockte die Affen dabei in Bereiche, wo die Klänge besonders gut zu hören waren. Für japanische Klänge hatten sie offenbar weniger übrig.

Videos zu den rhythmischen Tieren findet man unter folgenden Links:
http://stzlinx.de/kakadu http://stzlinx.de/seeloewe