Der Koch Tim Mälzer kann leidenschaftlich schwärmen: vom Gastgebersein, vom Tischdecken, vom duftenden Käsekuchen. Neuerdings auch vom vegetarischen Essen. die StZ-Redakteurin Carolin Leins ist ihm begegnet.

Frankfurt - Spaghetti bolognese. Wahrscheinlich würde er dafür sterben. Für Nudeln mit Hackfleisch und Tomatensoße. Tim Mälzer nennt es „Spaghetti Bolo“. „Das ist mein All-time-ever-Lieblingsgericht“, sagt er, als wir ihn in Frankfurt auf einen Kaffee treffen. „Selbst die miserabelste Bolo schmeckt noch.“

 

Tim Mälzer ist ein Schwärmer. Einer, der sich wunderbar in sein Thema hineinsteigern kann. „Es geht mir um die pure Lust“, sagt er. Wer ihm begegnet, spürt das. Der 42-jährige Hamburger, einer der populärsten deutschen Fernsehköche und vielleicht der mit der größten Klappe, will mit jedem Satz fürs Kochen und Essen begeistern. Dazu dient, außer dem Geldverdienen, auch Mälzers neues, bunt illustriertes Kochbuch. Es heißt „Greenbox“, und die Rezepte sind typisch: bodenständige Hausmannskost, kein Chichi. Nur: diesmal kocht er ganz ohne Fisch und Fleisch. Das überrascht bei einem Kerl wie ihm. „Aber es war an der Zeit“, sagt er. Seit zwei Jahren hätten sich seine Essgewohnheiten schleichend geändert, im Alltag esse er kaum noch Fleisch. Da war es nur logisch, dass sein sechstes Buch ein grünes würde. Er nennt es „Kochbuch mit ohne Fleisch“, das Wort „vegetarisch“ mag er nämlich nicht. „Das klingt nach Verzicht und Weglassen“, nach Tofu und Ersatzprodukten. „Da ist kein Sex drin.“ Aber sinnlich sollte Kochen bitte schön schon sein.

Anarchokoch? – Er sagt, er mache „Muttiessen“

Man hat ihn oft als Punkrocker der Küche, als Revoluzzer oder Anarchokoch bezeichnet. Warum, hat er nie verstanden. „Ich mach Muttiessen“, sagt Tim Mälzer. Bratkartoffeln, Steckrübeneintopf, Sauerkraut. „Ich brauche keine Jakobsmuscheln, um ein Gericht hochwertig zu machen.“ Ist er deshalb ein Revoluzzer? Nein, aber die Idee kommt nicht von ungefähr. Statt weißer Kochjacke trägt Mälzer Shirts mit Sprüchen auf der Brust und schwarze oder karierte Hemden darüber. Sein markiges Gesicht macht ihn frech. Er spricht schnell und wie ihm der Schnabel gewachsen ist – im Interview wie hinterm Fernsehherd. Das Gemüse „wuppt“, ein Rezept hat „Wumms“ und irgendwas schmeckt oder riecht immer „sensationell“, „herrlich“ oder „lecker“. So wie der duftende Käsekuchen, den man gerade aus dem Ofen holt.

Tim Mälzer wurde im Januar 1971 in Elmshorn bei Hamburg geboren. Mit 21, nach dem Abitur und dem Zivildienst, begann er im Hamburger Hotel Inter Continental eine Lehre zum Koch. „Eigentlich hab ich die Ausbildung nur gemacht, weil ich Hoteldirektor werden wollte“, sagt er. In der Küche hat er allerdings Blut geleckt. Er lernte weiter, zunächst in London, wo er den damals noch unbekannten Jamie Oliver traf, und später in Hamburg. 2002 eröffnete er sein eigenes Restaurant. 2003 hatte er eine Sendung. Kochshows boomten, und Mälzer, die lässige Quasselstrippe, war nicht unschuldig daran. Er gab sich den Namen „Küchenbulle“ und war überall.

„Für mich ist Kochen pure Entspannung“

Dann der Bruch. Burn-out. „Ich habe wahnsinnig viel gearbeitet“, erzählt er. „Irgendwann war ich erschöpft.“ Nach der Auszeit hat er zurückgefunden ins Berufsleben und auch ins Fernsehen, aber in Maßen. Lebt er jetzt gesünder? „Nein“, antwortet er sofort. „Ich bin jemand, der eher 180 fährt als 130. Ich gehe an die Grenzen, aber ich weiß jetzt, wo sie sind und wann es zu viel werden könnte.“ Auf den undurchschaubaren Medienzirkus hat er nur noch dosiert Lust. „Man feiert dich, aber du weißt nicht warum. In meiner Wahrnehmung sind meine Bratkartoffeln nicht geiler als die von tausend anderen Leuten.“

In seinem 2009 eröffneten Hamburger Restaurant Bullerei kocht Mälzer etwa dreimal die Woche selbst. Wenn er freihat, kocht er jeden Tag. „Für mich ist Kochen pure Entspannung. Wie für andere joggen oder Fitness-Studio“, sagt er und beginnt wieder zu schwärmen. „Es gibt doch nichts Schöneres, als vier, fünf Stunden in der Küche zu werkeln und sich Mühe zu geben für jemanden, den man schätzt.“ Tisch decken, Musik, Blumen, Kerzen, schließlich gemeinsam essen. „Es geht nicht ums perfekte Umsetzen von Rezepten, sondern ums Kochen an sich.“ Kochen sei ja kein Wettbewerb, deshalb plädiert Mälzer wieder und wieder, man solle es einfach tun.

So will er auch seine Bücher verstanden wissen. „Greenbox“ liegt kein ausgeklügelter Plan zugrunde, sondern ergab sich aus den Zutaten, die gerade auf dem Markt verkauft wurden. „Ich bin kein Konzept-, sondern ein Bauchmensch“, sagt Mälzer. Manchmal führt der Bauch ihn allerdings in kulinarische Abgründe. „Es gibt Tage, an denen mich gutes Essen überhaupt nicht interessiert. Da fahre ich zur Tanke und hol mir Dosenravioli, was nun weiß Gott kein Highlight ist.“

Auf Mallorca tankt er Kraft

Inzwischen hat Tim Mälzer eine Finca auf Mallorca. Dort leben seine Freundin Nina, zwei Hunde und ein vietnamesisches Hängebauchschwein namens Boris. Er ist „stolz wie Bolle“ auf sein eigenes Olivenöl und seinen Gemüsegarten, in dem Zucchini und Auberginen wachsen. Auf der Insel verbringt er viele Monate im Jahr, um Kraft zu tanken und neue Träume zu träumen – zum Beispiel den, irgendwann wie sein Vater Architektur zu studieren. Oder Spanisch zu lernen. Oder ein Restaurant in New York zu eröffnen. Letzteres wird er, wie er ankündigt, tatsächlich bald tun.

Auf Mallorca ist auch das grüne Kochbuch entstanden. Es versammelt Anleitungen für Gemüsecurry, Erbsensuppe, Käsepolenta – und eine Art Spaghetti bolognese. Eine vegetarische Bolo, aber weil das ja doof klingt, hat Mälzer ihr den geheimniskrämerischen Namen „Ragù Especial“ gegeben. „Jede Wette“, sagt er, „nicht mal Fleischfreaks werden schmecken, dass da nur Gemüse drin ist.“ In Frankfurt, beim Showkochen vor Publikum, macht er die Probe aufs Exempel. Er häckselt Champignons, die an der Luft braun werden, Karotten, Sellerie, gibt Tomatenragout, Thymian und Oregano dazu. Heraus kommt eine Soße, die aussieht wie Hackfleisch, sich anfühlt wie Hackfleisch – und schmeckt wie Hackfleisch. Da fällt ihm nur noch ein Lieblingswort ein: lecker.