Toxische Weiblichkeit klingt wie die Erfindung von Männerrechtlern, die den Vorwurf der toxischen Männlichkeit kontern wollen. Doch hinter dem Begriff steckt weit mehr – etwa Frauen, die sich gegenseitig schaden. Und das ist nur der Anfang.

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Die Autorin Meghan Daum nähert sich dem Phänomen toxischer Weiblichkeit mit Fragen. „Hand hoch, wenn du dich jemals danebenbenommen hast und auf deine Periode geschoben hast“, schreibt sie in einem Text auf der Plattform Medium, der 2018 veröffentlicht wurde. Und: „Hand hoch, wenn du dich schon einmal hilflos bei einer unangenehmen, wenn auch nicht körperlich anspruchsvollen Aufgabe verhalten hast, etwa bei einer Spinne im Haus.“

 

Schon mal Männern unterstellt, immer Sex zu wollen? Andere manipuliert? – Daum nennt acht solcher Punkte und geht davon aus, dass bei jedem einige Frauen die Hand heben würden. Ihr Tenor, vereinfacht: Auch Frauen tun, genauso wie Männer, manchmal schreckliche Sachen, und beide Geschlechter leiden darunter. Aber reicht das als Erklärung für toxische Weiblichkeit aus?

Permanentes Vergleichen – das führt zu Neid und Missgunst

Es existiert noch eine andere Definition: eine, in der überzogene Rollenerwartungen an Frauen zu permanentem Stress führen – die Bedürfnisse von anderen über die eigenen stellen, in allem gut sein müssen, dabei gut aussehen und lächeln. Dazu komme, heißt es in verschiedenen Artikeln, das ständige Vergleichen: Warum kriegen das andere hin und ich nicht? Dies führe häufig dazu, dass sich Frauen zum einen selbst verurteilen und zum anderen Neid und Missgunst gegenüber anderen Frauen entstehen.

Ebenso sei in Filmen, Serien und Büchern häufig nur Platz für eine starke Frau – das Schlumpfine-Prinzip. Die Schriftstellerin Katha Pollitt hat das einst so beschrieben: „Eine Gruppe männlicher Freunde wird durch einen einzigen weiblichen Charakter, meistens sehr stereotyp dargestellt, akzentuiert.“ Beispiele dafür gibt’s zuhauf: Prinzessin Leia in „Star Wars“, Penny in der Serie „Big Bang Theory“, Eleven in „Stranger Things“ und, und, und.

Alle leiden unter übertriebenen Rollenbildern

Wer also die Stellung als „die eine“ gefährdet, wird abgewertet – die Bloggerin Tavi Gevinson prägte dafür den Begriff Girl-Hate, also Mädchenhass. Statt sich gegenseitig zu unterstützen, konkurrieren Frauen demnach eher miteinander um diese Rolle – und sind so vor allem selbst die Leidtragenden dieser toxischer Weiblichkeit.

Hier liegt ein zentraler Unterschied zur toxischen Männlichkeit. Auch diese ist von übertriebenen Rollenbildern geprägt – nicht emotional sein, Stärke zeigen, dominant bis aggressiv auftreten –, aber das Toxische daran ist, dass Frauen ebenso wie Männer darunter leiden: Frauen, weil dieses Rollenbild etwa „Gewalt gegen Frauen nahelegt“, wie es in einem Artikel der Fachzeitschrift „Kriminalistik Schweiz“ heißt. Männer, weil sie keine weiche Seite zeigen dürften und Befindlichkeiten in ungesundem Maße verdrängen.

Die Forscherin hält wenig von toxischer Weiblichkeit

Bleibt noch eine Frage: Wie sehr bringen uns die Begriffe toxische Weiblichkeit und toxische Männlichkeit – beide geprägt von Aktivisten und Journalistinnen – eigentlich weiter?

Die Forscherin Nina Degele sagt: Diese Bezeichnungen würden in der Wissenschaft nicht genutzt, und sie seien unglücklich. „Es beginnt schon mit dem Begriff Weiblichkeit. Was genau ist damit gemeint? Außerdem suggeriert das, dass es eine genaue Abgrenzung zwischen männlich und weiblich gibt und nichts anderes“, sagt die Soziologin von der Uni Freiburg. Auch was toxisch sei, würde jede und jeder anders empfinden. Zwar gebe es natürlich problematisches Verhalten. „Aber ich würde das nicht Geschlechtern zuordnen“, sagt Degele, „sondern eher Strukturen.“

Nur arglose Frauen? Das wäre sexistisch

Autorin Daum schreibt in ihrem Text: Alle Geschlechter seien vielschichtiger, als das Begriffe wie toxische Männlichkeit oder toxische Weiblichkeit beschreiben würden. Aber: „Frauen sind keine einfachen, arglosen Geschöpfe, denen nur die unschuldigsten Motive zugeschrieben werden sollten.“ Denn das zu tun sei letztlich auch sexistisch.