An der Absturzstelle der Germanwings-Maschine in den Seealpen werden unidentifizierte Überreste der Opfer beigesetzt. Mit den Angehörigen trauert der gesamte kleine Ort Le Vernet, berichtet unser Korrespondent Axel Veiel.

Le Vernet - Von einem würdigen Schlusspunkt ist an diesem Tag viel die Rede. Und für die französischen Gendarmen, die nach dem Absturz der Germanwings-Maschine monatelang Leichenteile geborgen haben, markiert die in Le Vernet ausgerichtete Gedenkfeier ja auch tatsächlich das Ende einer körperlich wie seelisch zermürbenden Arbeit. Für die rund 400 Hinterbliebenen freilich, die am Nachmittag in dem nahe der Absturzstelle gelegenen Alpendorf zusammengekommen sind, ist diese Feier allenfalls eine Zäsur. Wer Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder oder Schwester verloren hat, wird weitertrauern, womöglich ein Leben lang.

 

Der Tag hatte mit einem klaren Morgen begonnen. Mittags, als die Angehörigen der Opfer einer Stele entgegen streben, die zu Ehren der bei dem Absturz ums Leben Gekommenen am Ortsrand errichtet wurde, ist der Himmel wolkenverhangen. Der Bischof von Digne-les-Bains, ein evangelischer Pastor sowie ein muslimischer und ein jüdischer Geistlicher bieten Trost und Hilfe an. Ein Zeltdach hält an der Gedenkstätte Windböen und einsetzenden Regen ab. Hinter  dem Mahnmal ragt der Col de Mariaud empor. Und dahinter war es passiert. Genau vier Monate ist das her.

Am 24. März hatte der allem Anschein nach lebensmüde Andreas L. einen Airbus 320 auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf dort oben vorsätzlich an einem Berghang zerschellen lassen. Unter den 149 Passagieren und Besatzungsmitgliedern, die der Co-Pilot mit in den Tod riss, waren 71 Deutsche.

Das Leben in diesem Dorf war oft ein Kampf ums Überleben

Der Andacht unter Zeltplanen folgt der schwere Gang zum Friedhof des Ortes. Schweigend verharren die Trauernden vor dem Gemeinschaftsgrab, wo jene 3000 Leichenteile eine letzte Ruhestätte gefunden haben, die keinem der Opfer zugeordnet werden konnten. Von dem auf dem 17. Jahrhundert stammenden Gottesacker fällt der Blick auf die Sainte-Marthe-Kirche, deren dicke Mauern ahnen lassen, dass das Leben in diesem 136 Einwohner zählenden Dorf zumal im Winter oft ein Kampf ums Überleben war.

Der Lufthansa-Chef Carsten Spohr zählt nicht zu den Trauergästen. Spohrs Anwesenheit  hätte „die würdevolle Zeremonie“ womöglich belastet, hatte ein Firmensprecher am Freitagmorgen wissen lassen. In der Tat wäre nicht auszuschließen gewesen, dass die Trauer der Hinterbliebenen bei Spohrs Anblick in Zorn umschlägt. Einige Tage vor der Gedenkfeier war dies geschehen. Angehörige von 16 Schülerinnen und Schülern sowie der zwei Lehrerinnen, die bei dem Absturz ums Leben gekommen waren, hatten in einem offenen Brief an den Chef des Germanwings-Mutterkonzerns fehlende menschliche Anteilnahme und ein mit 25 000 Euro „beleidigend“ niedriges Schmerzensgeld beklagt. Und so bleibt Spohr, der für die Hinterbliebenen Sonderflüge mit Maschinen seines Unternehmens organisiert hat, der Gedenkfeier lieber fern. Anstelle des Vorstandsvorsitzenden zeigen die Lufthansa-Finanzchefin Simone Menne und Geschäftsführer von Germanwings Thomas Winkelmann Präsenz.

Die Einwohner öffnen Herzen und Häuser

Während sich die deutsche Lufthansa des Vorwurfs der Kleinlichkeit ausgesetzt sieht, haben zur Bewältigung der Katastrophe beitragende Franzosen Größe bewiesen. In Le Vernet geleiten Bergführer Angehörige in die Nähe des Unglücksortes. Die Absturzstelle selbst ist gesperrt. Öl und Kerosin haben dort das Erdreich verseucht. „Die Hinterbliebenen kommen zu uns, um zu verstehen“, sagt Francois Balique (67), seit 38 Jahren Bürgermeister des Ortes. „Wir haben ihnen die Hand zu reichen, unser Herz und unsere Häuser zu öffnen.“

Die den Franzosen zukommende strafrechtliche Aufarbeitung der Katastrophe beeindruckt kaum minder. Der Staatsanwalt Brice Robin, der in Marseille die Ermittlungen leitet, war kürzlich nach Paris geeilt, um die Angehörigen der Opfer ins Bild zu setzen.  Von der Aufprallgeschwindigkeit der Germanwings-Maschine (750 Stundenkilometer) bis zur Zahl der vom depressiven Co-Piloten aufgesuchten Ärzte (41) reichte Robin weiter, was er herausgefunden hatte. Ob den Ermittlungen die Eröffnung eines Strafverfahrens wegen fahrlässiger Tötung folgen wird, weiß Robin selbst noch nicht zu sagen. Drei Untersuchungsrichter sollen klären, ob strafrechtlich relevante Pflichtvergessenheit vorliegt und wer dafür einzustehen hat. Auch für Frankreichs Justiz ist die Katastrophe mit der Trauerfeier von Le Vernet noch nicht bewältigt.