Der Volkskundler Hermann Bausinger hat das Bonmot geprägt: Berge trennen, Flüsse verbinden. Gilt das auch für Baden-Württemberg, wenn man an den Schwarzwald und den Rhein denkt?
Vincent Klink Vielleicht schon, aber es gibt auch große klimatische Unterschiede, und die wirken sich auf das Land und die Menschen aus. Die Nordbadener im Schwarzwald sind ganz anders als die Bewohner der Oberrheinebene. Und im Schwabenland ist der von der Alb ein ganz anderer als derjenige, der in den Weinbergen lebt, der Viertelestrinker in der Heilbronner Gegend zum Beispiel.

Und diese unterschiedlichen Lebensbedingungen haben sich am Ende auf die Küche ausgewirkt . . .
Vincent Klink Absolut! Bis zum Ersten Weltkrieg war Baden das reichere Land. Die Schwaben haben ja größtenteils nicht mal Wald, und wenn man arm ist, muss man sich schwer was einfallen lassen. Damit meine ich jetzt nicht nur die schwäbische Gschaftelhuberei, sondern das gilt auch für die Küche, denken Sie zum Beispiel an die Italiener mit ihrer Cucina povera. Und deswegen ist die Vielfalt der schwäbischen Küche auch viel größer, als die meisten denken – weil sie aus der Not geboren ist. Es gibt im Schwäbischen den Begriff Maukennest, das sind die Vorratskammern, die sich die Feldmäuse anlegen. Und vor 120 Jahren hat man im Winter auf der Schwäbischen Alb diese Nester ausgegraben, um an die Körner heranzukommen, so arm war die Küche und so groß die Not.

 Kann man sagen, dass die badische Küche näher verwandt ist mit der elsässischen als mit der schwäbischen?
Alfred Klink Ich glaube schon, dass sich die Franzosen und die Deutschen in dieser Ecke schon immer mehr ausgetauscht und beeinflusst haben. Aber mit der Zeit ist auch das Badische und das Schwäbische weiter zusammengewachsen. Ich bin natürlich groß geworden mit Linsen und Spätzle, auch Sauerkraut habe ich immer schon gekocht – ob nun im Badischen oder im Schwäbischen.
Vincent Klink Die ursprüngliche Ausrichtung der Küche orientiert sich an dem, was wächst. Linsen kommen von der Alb, die wachsen auf einem Steinacker, wo sonst gar nichts mehr läuft. Kohl hingegen wächst nur dort, wo schwere, fruchtbare Böden sind wie auf den Fildern. Auf den Schwarzwaldhöhen oder auf der Alb können Sie also kein Kraut anbauen. Und das Lamm rennt nicht im Wald herum, sondern auf der Heide und den Weideflächen der Alb. So hat sich automatisch die Küche entwickelt – gar nicht so sehr politisch, sondern eher klimatisch. In den Niederungen des Schwabenlands gibt es tolle Gemüsebauern, aber auf der Alb, da isst man doch kein Gemüse!

Alfred Klink Oder denken Sie an den Spargel von den Sandböden der Rheinebenen. Ich nehme auch bewusst keinen französischen auf die Karte, sondern warte, bis es welchen aus dem Markgräflerland gibt, nach dem die Gäste auch fragen – nach dem eigenen. Die Leute haben heute viel mehr Verständnis für den Lauf und das Angebot der Jahreszeiten.

Saisonal, regional – dieses Ernährungsprinzip funktioniert sogar in der Sterneküche? Aber Sie sind doch auch für Krustentiere und mediterrane Einflüsse bekannt.
Alfred Klink Schon, aber ich habe viel Fisch aus dem Schluchsee oder aus den Rheinauen bei Rust: Aale, Zander, Saibling. Natürlich fragen die Gäste auch gezielt nach Steinbutt und Hummer, und das biete ich dann an, wenngleich ich mich eher zurückhalte. Wir haben eben viel internationales Publikum, Amerikaner und Japaner. Aber ich wehre mich zum Beispiel gegen US-Beef. Bei uns hängen immer acht Färsen-Roastbeef im Kühlhaus, aus heimischer Produktion, und da muss mir erst mal einer den Unterschied zum US-Beef zeigen. Oder die Lämmer aus Opfingen, da weiß ich doch, wie gehegt und gepflegt die werden. Wir brauchen solche Menschen, die mit ihrem Produkt leben. Das ist unsere Philosophie – und die Franzosen haben zum Teil eine andere. Bei uns gibt es böse Briefe, wenn du Gänseleber auf der Karte hast. Das interessiert in Frankreich keinen.
Vincent Klink Ich bin eigentlich sehr frankophil. Aber die Franzosen haben inzwischen die gleichen Baumarktzentren, das alte Frankreich mit Baskenmütze und Gauloises gibt’s auch nicht mehr, höchstens noch in Nischen. Wenn sich heute ein junger Koch auf seine Wurzeln besinnt, ist das fast exotischer, als wenn er auf Crossover macht. Viele Küchen sind halt austauschbar, gerade im Sternebereich, da ist alles perfekt ohne Ecken und Kanten. Auch wir haben hin und wieder einen schönen Fisch aus dem Atlantik oder im Winter immer Austern. Ist ja klar. Und natürlich findet die Globalisierung auch in der Küche statt, aber es kommen vor allem Gäste zu mir, um dieses oder jenes vorzufinden, das es nur hier gibt.
Alfred Klink Aber vielleicht, wenn wir eines Tages nicht mehr da sind, wird sich das auch ändern . . .
Vincent Klink . . . und alles noch gleicher werden.

Aber Sie bilden doch auch Nachwuchs aus!