Der Schlagabtausch zwischen der Kanzlerin und ihrem Herausforderer endet unentschieden. Aber einer hat trotzdem gewonnen – einer, der wie kaum ein anderer polarisiert – das Schmuddelkind des Privatfernsehens.

Stuttgart - Es entbehrt nicht der Ironie, dass ein Mann, der vor 26 Jahren seine Prüfung als Metzgergeselle abgeschlossen hat, diesen Beruf aber nie ausgeübt hat, heute immer noch als solcher tituliert wird. Kurt Kister hat es vor dem Kanzler-Duell in der „Süddeutschen Zeitung“ getan. Und eine Frage aufgeworfen, die vielleicht mehr über ihn verrät als über das Selbstverständnis des von ihm gescholtenen Stefan Raab: Wo soll das noch hinführen?

 

Es war der altbekannte Empörungsreflex, der da aufflackerte. Die naserümpfende Arroganz jener Intellektuellen, die nicht müde werden, E- und U-Kultur gegeneinander auszuspielen. Hartnäckig behaupten sie, Politik und Entertainment schlössen sich aus, und was das Privatfernsehen hervorbringe, führe sowieso zum Untergang des Abendlandes, früher oder später.

Seit Sonntagabend wissen wir es besser: Das Kanzler-Duell ging zwar unentschieden aus, es hat aber einen Sieger hervorgebracht. Nein, die Rede ist nicht von der goldenen Halskette der Kanzlerin, einem Traum in schwarz-rot-gold oder genauer gesagt rot-gelb-schwarz, der schon nach einer halben Stunde 3200 Follower auf einem eigenen Twitter-Account gefunden hatte. Es war jener besagte Metzgergeselle, einer der erfolgreichsten deutschen Entertainer, aber eben auch einer, der wie kaum ein anderer polarisiert – das Schmuddelkind des Privatfernsehens.

Das Schmuddelkind des Privatfernsehens

Dieser Raab hat etwas geschafft, was ihm der Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“ und viele andere auch nicht zugetraut haben. Er ist den beiden Kandidaten auf Augenhöhe begegnet, er hat sie aus der Reserve gelockt und dem Journalismus damit die Ehre gerettet. Wie Stefan Raab den Herausforderer Steinbrück mit der Frage piesackt, wen er denn wählen solle, wenn er eine starke SPD und einen starken Steinbrück wolle, allerdings als Vize-Kanzler und Finanzminister einer Großen Koalition, das ist der Höhepunkt einer Veranstaltung, die von einem Duell so weit entfernt ist wie der Reichstag vom Wilden Westen. Steinbrück tut das, was Politiker eben tun, wenn sie Farbe bekennen sollen. Er eiert entschlossen herum. Doch aus dieser Nummer kommt er nicht mehr heraus. Raab spricht das aus, was wohl viele dachten, was sich aber sonst keiner trauen würde, auch nicht seine drei Kollegen im Studio. „Das ist doch keine Haltung zu sagen, Ich will nur gestalten, wenn ich auch King of Kotelett bin.“ Der Punkt geht an den Metzgergesellen. King of Kotelett, das ist keine Worthülse, es ist eine Metapher aus Fleisch und Blut. Sie nötigt sogar dem für seine Kaltschnäuzigkeit bekannten SPD-Herausforderer Respekt ab, auch wenn er die Frage am Ende natürlich nicht klar beantwortet. Aber für Bruchteile einer Sekunde klappt ihm doch die Kinnlade herunter. Und es kommt jetzt Bewegung in dieses ritualisierte Frage-und-Antwort-Spiel, in dem die Interviewer sonst meistens nur als Stichwortgeber herhalten.

Der Neue tritt auf wie ein Alter

Und spätestens da wusste man, dass die Entscheidung von Pro Sieben für Raab als Co-Moderator von Anne Will (ARD), Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL) nicht bloß ein PR-Gag in eigener Sache war. Niemand geringeres als Edmund Stoiber (CSU) hatte den „Bratpfannenrodler“ (Kister) vorgeschlagen. Der gescheiterte Kanzlerkandidat von 2002 sitzt heute dem Beirat der ProSiebenSat1Media AG vor. Es kostet nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, warum er ausgerechnet auf Raab kam.

Der 46-Jährige ist der Allrounder unter den Moderaten, der ein BMX-Radrennen mit gebrochener Nase fortsetzt, von Türmen in eiskaltes Wasser springt und nebenbei noch Gassenhauer komponiert. Sogar die gute alte Tante ARD hat er damit beeindruckt. 2010 verriet er ihr en passant das Rezept, wie man sich eine Grand-Prix-Gewinnerin backt. Und nun also das Kanzlerduell, der Showdown eines Wahlkampfs, der bislang mehr Krampf als Kampf war, der sogar in gewöhnlich gut informierten Kreisen auf freundliches Desinteresse stieß. Der Neue tritt auf wie ein Alter, nur ohne Krawatte. Der Oberkörper gespannt wie ein Flitzebogen, ein hyänenhaftes Grinsen im Gesicht, das sagt, na warte, Euch kriege ich auch noch. Ist das nun eine Drohung? Nein, ein Versprechen. Seine Rolle zwängt ihn zwar in ein enges Korsett. Dennoch demonstriert ausgerechnet er mit freundlicher Unterstützung von Anne Will, woran es erfahrenen Journalisten wie Peter Kloeppel oder Maybrit Illner häufig gebricht: die einen nennen es Kampfgeist oder Mut zum Widerspruch, die anderen sprechen von Show-Talent.

Es geht um die Wurst

Stefan Raab hat bewiesen, dass das eine das andere nicht ausschließt, ja, dass sich Politik und Entertainment in diesem Rahmen sogar gegenseitig bedingen. Beim Kanzler-Duell geht es schließlich um etwas, was alle betrifft, vor allem die, die noch gar nicht wissen, ob sie wählen sollen – und wenn ja, wen. Der Metzger würde sagen: es geht um die Wurst.