Nach der Schlusssirene am vergangenen Mittwoch dröhnte der Journey-Kultrocksong „Don’t Stop Believin’“ durch die SAP-Arena. „Hör nicht auf zu glauben“ – das sollte wohl aufmunternde Wirkung erzielen. Denn die Enttäuschung bei den Rhein-Neckar Löwen war bis unter die Hallendecke spürbar. Mit 26:27 hatten sie gerade vor 8602 Zuschauern gegen den Aufsteiger ThSV Eisenach völlig überraschend verloren. Mit 18:18 Punkten hinkt der amtierende DHB-Pokal-Sieger in der Handball-Bundesliga seinen Ansprüchen weit hinterher.
„Die Jungs sind platt“
„Die Jungs sind platt. Wir hatten viele Verletzungen zu verkraften und stecken in einer schwierigen Situation. Jetzt müssen wir die Köpfe wieder hochbekommen und brauchen schnellstmöglich ein Erfolgserlebnis“, sagte Uwe Gensheimer am Morgen danach. Der 204-fache Nationalspieler würde ja liebend gerne sofort auf dem Spielfeld helfen. Doch das Bundesliga-Spiel seiner Löwen an diesem Samstag (19 Uhr/Porsche-Arena) beim TVB Stuttgart kommt noch deutlich zu früh für einen Einsatz.
Er wird das baden-württembergische Derby nur von der Tribüne aus verfolgen können und rechnet mit einem heißen Tanz: „Es geht für beide Teams um sehr viel. Zudem sind diese Spiele um Weihnachten herum immer speziell. Die Halle ist ausverkauft, manche Spieler sind im letzten Spiel des Jahres vielleicht schon mit den Gedanken bei der Abreise in den Heimaturlaub.“
Er selbst denkt vor allem an sein Comeback: Denn nach seinem Kreuzband- und Innenmeniskusriss im Mai will der 37-Jährige nicht mit einer Verletzung im kommenden Sommer seine Handballkarriere beenden.
Dass er danach ins Management wechseln wird, steht seit vergangener Woche offiziell fest. Über einen „Stufenplan“ soll Gensheimer zum Sportlichen Leiter reifen, um den optimalen Einstieg zu schaffen. Er freut sich schon sehr auf die Aufgabe bei den Rhein-Neckar Löwen, denen jetzt schon der Spitzname „Deutschland-Löwen“ verpasst wird.
Aktuell gehören in den Torhütern David Späth und Joel Birlehm, Kreisläufer Jannik Kohlbacher, Spielmacher Juri Knorr und Rechtsaußen Patrick Groetzki fünf Spieler zum 35er-Kader des Deutschen Handball-Bundes (DHB). In der neuen Saison kommen in Rückraumspieler Sebastian Heymann (Frisch Auf Göppingen) und dem Ex-Balinger Linksaußen Tim Nothdurft (Bergischer HC) zwei weitere – auch abwehrstarke – Nationalspieler hinzu, die Verträge bis 2027 unterschrieben haben. „Entscheidend ist ihre Qualität, mit der sie uns weiterbringen. Aber es ist ein charmanter Nebeneffekt, dass sie aus der Region stammen und aktuelle deutsche Nationalspieler sind“, räumt der Urkurpfälzer Gensheimer ein. Die künftige Löwen-Mannschaft trägt damit immer mehr die Handschrift ihres Trainers Sebastian Hinze und erinnert an die Zeit vor 20 Jahren, als Nationalspieler wie Markus Baur, Florian Kehrmann, Daniel Stephan, Volker Zerbe und Christian Schwarzer mit einem Team aus dem Lipperland deutscher Meister wurde – und aus dem TBV Lemgo der „TBV Deutschland“ wurde.
„Diese Blockbildung ist sicher ein Vorteil für die Nationalmannschaft, weil sich die Spieler aus dem täglichem Training kennen“, ist sich Gensheimer sicher. Bestes Beispiel ist die eingespielte Löwen-Achse Knorr/Kohlbacher, die auch mit dem Bundesadler auf der Brust bestens harmoniert.
Hinzes Handschrift
Ob die Badener einen ähnlich erfolgreichen Weg einschlagen wie der TBV Lemgo vor zwei Jahrzehnten, kann keiner sagen. Zumal die deutsche Nationalmannschaft seinerzeit zur Crème de la Crème der Welt zählte und 2004 Europa- und 2007 Weltmeister wurde. 2004 kam Olympiasilber hinzu, in den Jahren davor reichte es ebenfalls zu Edelmetall (EM-Silber 2002, WM-Silber 2003). Von ähnlichen Erfolgen – noch dazu in dieser bemerkenswerten Konstanz – ist das aktuelle Team von Bundestrainer Alfred Gislason weit entfernt.
„Rosige Zukunft“
Es dominieren die Dänen, deren Stars sich lieber heimatnah bei der SG Flensburg-Handewitt versammeln. Sie sind für Gensheimer auch der Topfavorit für die EM 2024. Und das deutsche Team? „Zählt für mich nicht zum Favoritenkreis, hat aber aufgrund des jungen Alters der Schlüsselspieler eine rosige Zukunft“, prophezeit der Rechtshänder.
Doch zunächst will er seine Löwen an diesem Samstag im Spiel beim TVB Stuttgart von der Tribüne aus punkten sehen, dann in dieser Saison noch einmal selbst als Spieler aufs Feld zurückkehren, um sich nach einem noch nicht terminierten Abschiedsspiel in der SAP-Arena voll und ganz auf seine Tätigkeit als Sportchef zu konzentrieren.
Eine Rolle, für die ihn auch TVB-Geschäftsführer Jürgen Schweikardt als prädestiniert ansieht: „Uwe wird zwar auf diesem Posten ein Rookie sein, aber er hat Sachverstand, kennt den Verein sowie die Mentalität der Menschen – und er ist eine Identifikationsfigur des Handballs insgesamt.“ Weshalb er optimal ins Profil der „Deutschland-Löwen“ passt.