Die erste Modenschau in der jüdischen Gemeinde mit der Kollektion der Designerin Vlada Dizik aus Odessa ist ein Beitrag zur Betreuung von Geflüchteten aus der Ukraine.

Erstes Treffen mit einer Modeschöpferin. Das weckt besondere Erwartungen. Wie sieht sie aus, wie kleidet sie sich? Wird ihre Garderobe die Handschrift ihres Designs verraten? Und dann wirbelt Vlada Dizik zur Tür herein und – ist genauso, wie man sie sich vorgestellt hat: zierlich, mit roten Locken, die von einer silbernen Spange in Form einer Katze gebändigt werden, mit auffallendem Schmuck und in einem Mantel aus rosa und bunt gemustertem Samt, mit Applikationen von glitzerndem Strass und langhaarigem Lama-Fell in Giftgrün. Sehr glamourös. Was für ein Lichtblick im winterlichen Schwarzgrau auf Stuttgarts Straßen. Jetzt hat sie ihre Kollektion im Gemeindesaal der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRGW) gezeigt. Das gab es hier noch nie.

 

Mode in einem bombensicheren Keller präsentiert

„Das ist Teil unserer Flüchtlingsarbeit“, betont Nelly Pushkin, die Frau des Rabbiners Yehuda Pushkin. Denn die Gemeinde betreue mehr als 300 geflüchtete Menschen aus der Ukraine, unterstütze bei der Wohnungssuche und helfe ihnen, wieder Fuß zu fassen. Auch Vlada Dizik. Sie kommt aus Odessa, der weltoffenen Hafenstadt am Schwarzen Meer, wo die Frauen schön sind und südliche Lebensfreude bezaubert. Der 24. Februar 2022 hat auch hier das Gefühl der Leichtigkeit zerstört: „Da schlugen schon die ersten Raketen ein“, berichtet sie. Aus dem geplanten Flug am nächsten Tag nach Mailand, wo sie ihre Kollektion zeigen wollte, wurde nichts.

Kurzentschlossen hat sie stattdessen ihre Mode in einem bombensicheren Keller präsentiert, der eigentlich ihr Showroom werden sollte. „Die Menschen versuchen ihr gewohntes Leben zu führen, doch die ständige Gefahr ist schwer auszuhalten“, sagt sie. Im Juli haben ihr Mann und sie sich deshalb zur Flucht entschlossen. Nach Stuttgart, wo sie Freunde haben und schon seit März die Tochter mit Mann und drei Kindern Zuflucht gefunden hatte.

Es war Nelly Pushkins Idee, den Gemeindesaal, gesellschaftlicher Mittelpunkt des Gemeindelebens, einmal zum Mode-Catwalk zu machen. Dass Purim vor der Tür steht, das Fest, an dem die Juden die Errettung vor den Mordplänen des üblen Haman in Persien durch die Königin Esther mit fröhlicher Maskerade feiern, erschien ihr dafür genau der richtige Zeitpunkt. Denn Mode bedeutet auch immer das Spiel der Verkleidung und Verwandlung, von dieser Designerin lustvoll betrieben und von den Zuschauern mit großem Beifall bewundert.

„Upcycling“, also aufwerten und aufputzen heißt das Stichwort für ihre Kreationen unter dem Label Koschkin Dom, auf Deutsch Katzenhaus. Eine Hommage an die acht geliebten Katzen. „Ich schenke Kleidung, die ich im Outlet kaufe, ein neues Leben“, erklärt sie dazu. Das macht sie mit Borten, Stickereien wie einer ländlichen Szene in Kreuzstich, Erbstücken aus der Ukraine mit folkloristischem Ursprung, mit Glitzersteinen oder ausgefallenen Knöpfen, bis ins Detail liebevoll ausgesucht.

Durch Applikationen mit Stickereien aus dem Einerlei hervorgehoben

Das ist nachhaltig und glamourös. Eine schwarze Lederjacke bekommt einen neuen Look durch applizierte rote Borten, auf einer weinroten Jacke prangt ein dekorativer Pfau und blühen Rosen, ein prachtvoller Fasan ziert den Rücken einer klassischen grauen Jacke, das raffiniert gemusterte Seidenfutter eines braunen Plüschmantels verleiht auch der Außenansicht Akzente, und eine Blondine mit Pudel bringt sommerliche Verspieltheit auf einen weißen Blazer. Die Westen sind aus barockem Samt oder gestreifter Seide, selbst Shirts und Sweater werden durch Applikationen mit Stickereien aus dem vorherrschenden Einerlei hervorgehoben. Allesamt Einzelstücke und absolut einmalig. „Ich mache Mode für alle Menschen, wer sie trägt, soll sich schön fühlen“, sagt sie und schickte nicht nur Freunde, sondern auch ihren Vater, ihren Ehemann und zwei entzückende kleine Enkeltöchter ins Defilee.

Eigentlich sind die beiden Ingenieure für Hafentechnik

Seit ihrem zwölften Lebensjahr, erzählt Vlada Dizik, habe sie ihre Kleidung selbst entworfen, angeregt durch die „modebewusste und elegante Großmutter“. Und dann Design studiert? Da lachen Vlada und ihr Mann Alex Mayalkovskyy, genannt Sascha: „Eigentlich sind wir beide Ingenieure für Hafentechnik.“ Die Liebe zum Design überwog bei beiden, sie profilierten sich als Innenausstatter. Und als die Pandemie das Reisen und Besuche bei Klienten unmöglich machte, besann sich Vlada wieder auf Mode.

Vlada Dizik will in Stuttgart bleiben und sucht einen eigenen Showroom. Bis dahin präsentiert sie ihre Kollektion im Pop-up-Store „Brycke“ in der Schmale Straße. Wer neugierig geworden ist, muss sich ein wenig gedulden, denn nun steht die nächste Präsentation in Mailand an. „Aber am 27. Februar“, verspricht sie, „bin ich wieder da.“