Was plant die Kommission?
Sie will den Einsatz neuer genomischer Techniken (NGT) in der Pflanzenzüchtung erleichtern. Konkret geht es um die Gen-Schere Crispr und ähnliche Verfahren. Künftig sollen Nahrungs- und Futtermittel aus derart gezüchteten Pflanzen nicht mehr als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Der Kommissionsentwurf sieht vor, dass solche Sorten nur noch angemeldet und registriert werden müssen. Bisher wurden sie behandelt wie mit älteren Gentechnik-Methoden gezüchtete Pflanzensorten. Diese unterliegen aufwendigen Zulassungsverfahren, daraus hergestellte Produkte müssen gekennzeichnet werden. In Europa spielen sie am Markt bislang praktisch keine Rolle.
An welche Bedingungen soll die Lockerung geknüpft werden?
Die neuen Regeln sollen nur für Genveränderungen gelten, die auch auf natürlichem Weg entstehen können – also durch zufällige Mutationen oder Kreuzungen. Die Übertragung von Genen anderer Pflanzenarten sowie von Tieren oder Mikroorganismen ist nicht erlaubt. Solche Pflanzen fallen weiter unter die strengen Regeln für gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Ein Beispiel dafür ist BT-Mais, der dank eines Bakteriengens selbst ein Insektengift gegen Schädlinge produziert. Auch für NGT-Pflanzen mit Herbizidresistenz soll es keine Lockerung geben – ebenso für Pflanzen, bei denen mehr als 20 Genveränderungen vorgenommen wurden.
Wie wird der Vorstoß begründet?
Zwischen konventionell und mittels NGT gezüchteten Pflanzen lassen sich keine genetischen Unterschiede nachweisen. Vor allem aber versprechen die Methoden Vorteile bei der Entwicklung neuer Sorten. So könnten Nutzpflanzen schneller an Trockenheit und Dürre angepasst oder resistenter gegen Krankheiten und Schädlinge gemacht werden. Holger Puchta, Inhaber des Lehrstuhls für Molekularbiologie und Biochemie der Pflanzen am Karlsruher Institut für Technologie, sieht den Kommissionsvorschlag als „Meilenstein auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft in Europa mit weniger Pestizideinsatz und Kulturpflanzen, die dem Klimawandel besser standhalten könnten“.
Was sagen Kritiker der Reform?
Manche Forscher zweifeln an der Zielgenauigkeit des sogenannten Genome Editing durch Crispr & Co. Auch hier seien unbeabsichtigte Genveränderungen nicht auszuschließen, sagt etwa Margret Engelhard, Leiterin des Fachgebiets „Bewertung Synthetische Biologie, Vollzug, Gentechnikgesetz“ beim Bundesamt für Naturschutz. „Das Einfügen neuer Eigenschaften in eine Pflanze birgt immer das potenzielle Risiko, zu negativen Auswirkungen auf Ökosysteme und die biologische Vielfalt zu führen.“ Auch Biobauern sind gegen eine Lockerung. Sie verzichten ausdrücklich auf Gentechnik und fürchten, dieses Alleinstellungsmerkmal beim Wegfall der Kennzeichnungspflicht zu verlieren.
Gibt es gesundheitliche Risiken?
Kritiker halten es für möglich, dass gentechnisch veränderte Pflanzen zusätzliche Allergene bilden. Dies ist aber auch bei konventionellen Kreuzungen nicht ausgeschlossen, bei denen eine weit größere Anzahl von Genen übertragen wird. Auch bei der schon seit Jahrzehnten praktizierten Mutationszüchtung mittels Strahlung oder Chemikalien gibt es viele zufällige Genveränderungen mit unabsehbaren Effekten. Die meisten Forscher halten die neuen Züchtungsmethoden nicht für gefährlicher als die bisherigen. „Zahlreiche Sicherheitsstudien kommen zu dem Schluss, dass von gentechnisch veränderten Pflanzen per se kein höheres Risiko ausgeht als von Pflanzen, die durch konventionelle Züchtungstechniken erzeugt wurden“, schreibt etwa die Wissenschaftsakademie Leopoldina.
Welche Vorteile haben Crispr & Co. im Vergleich zur bisherigen Gentechnik?
Die neuen Methoden erlauben viel genauere Eingriffe ins Erbgut als ältere Gentechnik-Verfahren, bei denen sich kaum steuern ließ, wo ein neues Gen in das Erbgut einer Pflanze eingebaut wurde. Durch Genome Editing lassen sich einzelne Buchstaben des genetischen Codes verändern oder auch entfernen. Zudem gilt die Crispr-Technik als vergleichsweise kostengünstig, sodass auch mittelständische Züchter sie nutzen könnten – allerdings nur, wenn nicht alle Patente bei großen Konzernen liegen. Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter fordert deshalb Einschränkungen bei der Patentierbarkeit.
Können die neuen Methoden die konventionelle Züchtung ersetzen?
Nein. Viele wichtige Merkmale wie Ertrag oder Proteingehalt und -zusammensetzung werden von einer großen Zahl von Genen beeinflusst, deren Zusammenwirken in vielen Fällen kaum geklärt ist. Solche komplexen Eigenschaften lassen sich in der Regel effizienter mit klassischer Züchtung verbessern. Gentechnische Methoden eignen sich dagegen bislang nur für die Veränderung einzelner oder weniger Gene. So kann etwa eine Weizensorte mit einem zusätzlichen Gen versehen werden, das sie widerstandsfähiger gegen eine bestimmte Pilzkrankheit macht.
Wann könnten die ersten NGT-Sorten auf den Markt kommen?
Das hängt davon ab, wie schnell aus dem Vorschlag der Kommission geltendes Recht wird. Dazu müssen die EU-Länder und das EU-Parlament zustimmen. „Bei einer effizienten Umsetzung der Reform könnten relativ rasch die ersten interessanten Gen-editierten Sorten zur Anwendung kommen“, sagt Matin Qaim, Professor für Agrarökonomie an der Universität Bonn. Weit entwickelt seien zum Beispiel Weizen und Kartoffeln mit eingebauter Pilzresistenz, wodurch weniger Pflanzenschutzmittel benötigt würden. Auch trocken- und hitzetolerantere Sorten seien in der Entwicklung.