Von einem außergewöhnlichen Ort bei Filderstadt war nicht mehr viel zu sehen. Nun arbeiten Kaschmirziegen daran, dass man sich wieder vorstellen kann, was hier einmal war.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Filderstadt - Das Ziegenparadies ist schon deutlich angeknabbert. Dass das Beste vom Besten schon gefuttert ist, ist ein Grund, warum die Herde Corinna Kistner bei ihrem Kontrollgang an diesem Nachmittag auf Schritt und Tritt folgt. Wie eine Leibgarde oder Groupies sehen die Tiere mit den geschwungenen Hörnern aus. „Wenn wir neu sind auf einem Grundstück, dann bin ich Luft“, erzählt die Frau, die ähnlich weiße Haare hat wie ihre Kaschmir-Ziegen. „Ich sage aus Spaß Ziegenhusten“, sagt Corinna Kistner über die schnaubenden Geräusche ihrer Tiere, während sie mit ihren Gummistiefeln durchs Gelände in der Nähe von Plattenhardt stampft. Die 30 Kaschmir-Ziegen sollen in zweimal 14 Tagen die ehemalige Hunderennbahn frei – oder genauer gesagt freier – fressen. Drei Fuhren mit einem Pferdeanhänger waren es, „bis ich die Bande umgesiedelt habe“. Bald holt sie sie wieder ab, die erste Schicht ist fast vorbei. Bis sie voraussichtlich im September auf die Rennbahn zurückkehren, futtern sie sich durch Gestrüpp in Neckartailfingen und Aich.

 

Besser Ziegen als schweres Gerät

Corinna Kistner und ihre Ziegen sind Auftragnehmer. Sie kommen dorthin, wo beispielsweise eine Kommune die Landschaft gepflegt haben will, auch Privatleute gehören zu den Kunden. Es sind unter anderem Orte, an denen man mit Maschinen kaum weiterkommt, oder Flecken, an denen aus Naturschutzgründen besser Ziegenmäuler Hand anlegen als schweres Gerät. „Es sind meistens total verwilderte Grundstücke“, erzählt die 59-jährige Ziegenhalterin. Anders als Schafe fressen Ziegen nicht am liebsten Gras, ihre Leibspeise ist Gehölz. Mit ihren gespaltenen Oberlippen haben sie wenig Mühe, sich durchs Unterholz zu knuspern. Seit Laurentius und die anderen ihren Dienst auf der Rennbahn bei Filderstadt aufgenommen haben, hat sich die historische Stätte um einiges gelichtet. Und genau darum geht es. Die alte Hunderennbahn ist ein Naturdenkmal. Wenn die Ziegen fertig sind, soll auf den ersten Blick wieder besser nachempfunden werden können, was hier einmal gewesen ist.

Sogar Europameisterschaften haben Windhunde hier ausgetragen

In den 1950er und 1960er Jahren befand sich nahe der heutigen Straße zwischen Filderstadt und Burkhardtsmühle eine international bekannte Windhunderennbahn. Bis zu 4000 Zuschauer verfolgten die Spektakel. Neben dem Rondell, das dank der hungrigen Ziegen immer mehr zum Vorschein kommt, erinnern heute noch ein paar rostige Geländer und eine Mauer im Unterholz an jene Zeit, in der hier sogar Europameisterschaften ausgetragen worden sind.

Über viele Jahre sei an diesem außergewöhnlichen Ort nichts passiert, erklärt Uwe Hiller vom Landschaftserhaltungsverband; dem Verein gehören beispielsweise Kommunen an, das Landratsamt, Naturschützer und das Regierungspräsidium. Der Verband koordiniert die Landschaftspflege. Die Rennbahn sei komplett zugewachsen gewesen, früher soll es hier noch Orchideen gegeben haben, berichtet Hiller. Zunächst sei man maschinell rangegangen, dann war die Bahn frei für die 30 Kaschmir-Ziegen.

Nach dem OP auf die Weide

Ziegen engagiere man gern, weil sie „das Gehölz nachhaltig verbeißen“, erklärt Uwe Hiller. Allerdings sei es wichtig, dass ihnen die Tierhalter gut bekannt seien. Man müsse sich darauf verlassen können, dass das Tierwohl gesichert sei.

Corinna Kistner kommt aus Nürtingen, der Stall ist in Grötzingen. In die tierische Landschaftspflege sei sie vor ein paar Jahren „reingerutscht“, wie sie erzählt. „Aber das ist mir schon ein echtes Anliegen.“ In Teilzeit arbeitet sie noch als OP-Krankenschwester. Nach einem anstrengenden Vormittag am Operationstisch geht sie gern raus und steckt Weidezäune um oder plaudert mit der Herde. Und sie freut sich, wenn Spaziergänger vorbeikommen und ihre prächtigen Ziegen bewundern.

Eine Frage ist dann gewiss: Was macht sie mit den edlen Kaschmir-Haaren? Corinna Kistner lacht. Die habe sie die vergangenen Jahre ausgekämmt, inzwischen sei ein Sack zusammengekommen. „Vielleicht reicht es mal für einen Pullover“, sagt sie. Für sich selbst. Den kann sie in der kälteren Jahreszeit gut gebrauchen, wenn sie bei ihren Landschaftspflegern nach dem Rechten schaut.