Ein Unternehmer aus Oberschwaben schart Politiker – besonders der FDP – und Prominente um sich und lässt sich als Vorbild ehren. Kaum jemand weiß, dass er seit Jahren im Visier der Justiz ist.
Stuttgart - Eigentlich sollte Uli Hoeneß vor allem über seine Erfolge reden: die sportlichen als Präsident des FC Bayern und die unternehmerischen als Wurstfabrikant. Wenn man etwas unbedingt erreichen wolle, gelinge das auch, war seine Botschaft an die mehr als 800 Zuhörer beim „Mittelstandsforum Bodensee“ in der Messe Friedrichshafen. Doch dann sprach Hoeneß, vom früheren Landeswirtschaftsminister Walter Döring (FDP) einfühlsam befragt, auf der Bühne auch über die dunkelste Phase seines Lebens: die Zeit im Gefängnis nach dem Urteil wegen Steuerhinterziehung. Ganz wichtig sei für ihn der Rückhalt durch die Familie gewesen, verriet er Döring: „Wie eine Muschel“ habe sich diese um ihn geschlossen. Das Publikum applaudierte beeindruckt.
Großen Anklang fand auch der frühere Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU). Er referierte über sein Lieblingsthema: das Europa der Bürger. Weitere prominente Redner waren die Hamburger FDP-Spitzenfrau Katja Suding oder der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner. Der Tübinger Regierungspräsident Klaus Tappeser (CDU) hatte die Schirmherrschaft für das Forum übernommen. Es sei ein lohnender Tag gewesen, hieß es vielfach.
„Networking in angenehmer Atmosphäre“
Hochzufrieden war auch der Veranstalter, die Firmengruppe von Christian H. aus dem Kreis Ravensburg. Deren Kernkompetenz liegt nach eigenen Angaben im Bereich Personaldienstleistung und Mitarbeiterbeschaffung; bundesweit vermittle man Arbeitskräfte, vor allem für Industrie und Handwerk. Weitere Geschäftsfelder sind Handel und Gastronomie. Beschäftigt werden insgesamt etwa 300 Mitarbeiter. „Besonders stolz“ sei man auf das Unternehmerforum, das mit Prominenten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport regelmäßig „zu Networking in angenehmer Atmosphäre einlädt“. Die Liste der Redner ist illuster: Der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen war da, der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach, der Boxer Henry Maske, Landesminister wie Franz Untersteller oder Bilkay Öney, der Buchautor Thilo Sarrazin und, und, und.
Besonders gerne umgibt sich H. mit FDP-Prominenz: vorneweg Parteichef Christian Lindner, mit dem er auf mehreren Fotos posiert, aber auch Landesgrößen wie dem Vorsitzenden Michael Theurer oder Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Nach Veranstaltungen in eher kleiner Runde hat H. den Rahmen deutlich erweitert – erst im vorigen Herbst in Weingarten mit Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg, nun in Friedrichshafen. „Geht nicht, gibt’s nicht“, ist der Leitspruch des umtriebigen Kaufmanns – ähnlich wie bei Hoeneß.
Groß angelegter Handel mit Kosmetika
Kaum ein Zuhörer wusste, dass H. ein ähnliches Problem hat wie einst der Bayern-Boss: Ihm steht ein Prozess wegen Steuerhinterziehung bevor, dessen Ausgang natürlich offen ist. Gleich zwei Anklagen hat die Staatsanwaltschaft Ravensburg nach jahrelangen Ermittlungen im Frühjahr 2016 gegen den Firmenchef erhoben. Das Schöffengericht beim Amtsgericht Ravensburg hat sie laut dem Direktor bereits zugelassen, im Juli soll an fünf Tagen verhandelt werden. Nach Justizangaben geht es nicht nur um Steuerhinterziehung, sondern auch um das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, um Betrug und um Verstöße gegen das Markenrecht. Zu den konkreten Sachverhalten gibt es offiziell keine Auskunft.
Am schwersten wiegen nach StZ-Informationen die Vorwürfe zum Handel mit Kosmetika: Große Mengen Parfüms, die nach Maßgabe der Hersteller nicht für die Europäische Union bestimmt waren, soll H. preisgünstig erworben und über eine Dependance im Schweizer Appenzell nach Deutschland importiert haben. Offiziell wurde wohl sehr viel weniger ausgewiesen, angeblich nur ein Zehntel. Entsprechend geringer sei die Umsatzsteuer ausgefallen; in Ermittlerkreisen ist von einem hohen sechsstelligen Betrag die Rede. Das Vorgehen sei planvoll und nicht leicht zu durchschauen gewesen, hört man.
Ermittlungen wegen Bestechung eingestellt
Weitere Anklagepunkte betreffen eine von der Arbeitsagentur geförderte Fortbildungsmaßnahme und die Beschäftigung von Scheinselbstständigen. Schauplatz jeweils: H.s Brennholzhandel. Die Schulung für die Holzbearbeitung soll nicht den Vorgaben entsprochen haben, weshalb die Arbeitsagentur später Anzeige erstattete. Arbeiter aus Rumänien sollen als Selbstständige ausgewiesen worden sein, obwohl sie die Bedingungen dafür nicht erfüllten. In beiden Fällen sei ein Schaden in jeweils fünfstelliger Höhe entstanden. Zeitweise wurde gegen H. auch wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr ermittelt. Doch von Strafverfolgung habe man da vorläufig abgesehen, bestätigte die Staatsanwaltschaft. Ein Grund: Die Strafe wäre gegenüber weiteren zu erwartenden Strafen nicht beträchtlich ins Gewicht gefallen. Die lange Dauer der Ermittlungen wird unter anderem mit den Auslandsbezügen erklärt und dem Tod eines Fahnders. Beim Schöffengericht landeten die inzwischen zusammengefassten Anklagen, weil dieses Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren verhängen darf.
Regierungspräsident wäre gerne informiert worden
Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt Christian H., der sich auf Anfragen unserer Zeitung nicht äußern wollte, wie jeder Angeklagte als unschuldig. Er ist natürlich auch nicht verpflichtet, über die Ermittlungen und deren Ergebnis zu informieren – weder die Öffentlichkeit noch Geschäftspartner oder Kunden. Doch manche der Prominenten, mit denen er sich schmückte, hätten schon gerne davon gewusst. Der Tübinger Regierungspräsident Tappeser beantwortete die Frage, ob er als Schirmherr hätte informiert werden wollen, kurz und bündig: „Ja.“ Wie er reagiert hätte, könne er nicht sagen, weil er Art und Schwere der Vorwürfe nicht kenne.
Ahnungslos war nach eigenen Angaben auch Walter Döring, der der H.-Gruppe als Beiratsvorsitzender und prominentes Aushängeschild diente. Seinem immer noch klangvollen Namen und seinem guten Netzwerk dürfte H. viel zu verdanken haben. Von Anklagen sei ihm „nichts bekannt“, teilte der Ex-Minister mit. Bereits im Januar sei er als Beiratsvorsitzender ausgeschieden. Offizielle Begründung: Er reduziere nach und nach seine Mandate und wolle sich fortan auf die Akademie Deutscher Weltmarktführer – ein viel gelobtes Forum in Schwäbisch Hall – und ein Buchprojekt zur deutschen Geschichte konzentrieren. Als Moderator stehe er H. aber weiter zur Verfügung.
FPP-Kandidat dient als Pressesprecher
Mit der Auswahl der von ihm betreuten Firmen, erinnern Weggefährten, habe Döring nicht immer Glück gehabt. Seine Tätigkeit bei der Windreich-Gruppe in Wolfschlugen brachte nebst sieben Verantwortlichen auch ihm eine Anklage wegen Insolvenzverschleppung und weiterer Delikte ein. Er soll aber nur eine Nebenrolle gespielt haben und weist die Vorwürfe zurück. Ob, wann und gegen wen vor Gericht verhandelt wird, ist noch offen.
Wenn Döring nichts wusste, kann er auch nicht von einem Parteifreund aus H.s engstem Umfeld informiert worden sein: Pressesprecher der Firmengruppe ist der FDP-Kreisvorsitzende und Bundestagskandidat Benjamin Strasser. Nachdem der junge Jurist 2016 haarscharf den Einzug in den Stuttgarter Landtag verfehlte, hat er auf Platz acht der Landesliste gute Chancen für das Ticket nach Berlin. Strasser teilte auf Anfrage nur mit, er sei seit Mai 2016 Sprecher und Syndikusrechtsanwalt der Gruppe, zuständig für arbeitsrechtliche Fragen, die Umsetzung des Tarifvertrags und die Organisation von Veranstaltungen. Weil er per Arbeitsvertrag zur Verschwiegenheit verpflichtet sei, könne er Fragen zu seiner Kenntnis der Vorgänge nicht beantworten. Auch als FDP-Funktionär äußerte er sich nicht.
Rechtstreue ist für Senatoren klar
Nichts von den Anklagen wusste auch ein sich exklusiv gebender Kreis, dem der Unternehmer seit 2015 angehört: der Senat der Wirtschaft Deutschland. Der in Bonn ansässige Verein, in dem auch Döring eine herausgehobene Rolle spielt, kürt regelmäßig sogenannte Senatoren der Wirtschaft – höchstens 631, so viel, wie es Sitze im Bundestag gibt. Es handle sich um Persönlichkeiten, „die sich ihrer Verantwortung für Staat und Gesellschaft in besonderer Weise bewusst sind“, heißt es. Selbstverständlich erwarte man, dass sie „jederzeit geltendes Recht“ einhielten. Mitglied könne man nur auf Vorschlag werden. Der Jahresbeitrag beträgt, je nach der Firmengröße, mehrere Tausend Euro.
Wisse man vor der Berufung in den Senat von einem Ermittlungsverfahren, sagt ein Sprecher, stelle man die Aufnahme bis zur Klärung der Vorwürfe zurück. Döring informierte den Senat – ganz transparent – umgehend über die Anklage gegen sich; dieser will nun den weiteren Fortgang abwarten. Von Christian H., gegen den 2015 bereits seit Jahren ermittelt wurde, erfuhr der Senat offenbar nichts. Bei „substantiierten strafrechtlichen Ermittlungen“ empfehle man, die Mitgliedschaft bis zur Klärung einstweilen ruhen zu lassen, sagt der Sprecher. Zum hohen ethischen Anspruch gehöre aber auch, dass man die Unschuldsvermutung strikt beachte.
Minister Lucha ist der nächste Gast
Zu dem illustren Kreis gehört neuerdings auch ein Vorstand der Volksbank Weingarten, die zu den Sponsoren der H.-Veranstaltungen zählte: Wilfried Deyle. Von Döring vorgeschlagen und von H. empfohlen, wurde er im Herbst 2016 bei einem Wirtschaftstalk der Firmengruppe feierlich ernannt. Glückwünsche überbrachte, als Hauptgast, auch FDP-Chef Lindner. Die „besondere Ehrung“ wurde von Deyle und der Volksbank emsig vermarktet. Er könne nun „meine Erfahrungen als Mittelständler in politische Prozesse einbringen“, verkündete er stolz per Interview. Auf Fragen der Stuttgarter Zeitung, wer den stattlichen Jahresbeitrag bezahle und welchen Nutzen die Bank von ihrem „Senator“ habe, gibt es von der Volksbank seit sechs Wochen keinerlei Auskunft. Inzwischen wurde bekannt, dass Deyle das Institut im Zuge einer Fusion verlassen wird.
Bei den Talkrunden der Firmengruppe war Deyle ein regelmäßiger Besucher. Nun bleibt abzuwarten, inwieweit man ihn künftig dort sieht. Als nächster prominenter Gast war für Mai Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) angekündigt. Inzwischen hat er kurzfristig abgesagt. Begründung: Das offizielle Thema drohe durch „offene juristische Fragen“ überlagert zu werden.