Mit der Enquete zu den NSU-Morden ist der Landtag gegen die Wand gefahren. Nun wollen die Abgeordneten ein ähnliches Debakel mit dem Untersuchungsausschuss verhindern. Sie wissen: Es geht um das Ansehen des Parlaments.

Stuttgart - Als Innenminister Reinhold Gall (SPD) im Februar den Abschlussbericht der Ermittlungsgruppe Umfeld vorstellte, zeigte er sich überzeugt, mit den 170 Seiten Papier das „Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und in die Politik zurückzugewinnen“. In der Tat reagierten die Landtagsabgeordneten durchaus beeindruckt – und verzichteten auf die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden. Statt dessen entschieden sie sich für eine Enquetekommission, die Handlungsempfehlungen erarbeiten sollte, wie das Entstehen rechtsextremistischer Strukturen künftig zu verhindern sei. Man wolle „nach vorne“ schauen, sagte der Innenminister, dem gar nicht an einem Untersuchungsausschuss gelegen war.

 

Doch der soll nun doch kommen, nachdem die Enquete mit den Grünen im Leitstand gegen die Wand gefahren ist. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel machte den Weg frei und half dem Koalitionspartner aus der Patsche. Überdies bewies die SPD mit der Nominierung des Landtagsvizepräsidenten und früheren Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Drexler zum Ausschussvorsitzenden, dass ihr an einem Erfolg des Gremiums gelegen ist.

Jetzt muss Drexler ran

Drexler hofft auf eine rasche Einigung auf einen interfraktionellen Einsetzungsbeschluss für den Untersuchungsausschuss. „Es muss ein anderes Klima her“, sagt der Landtagsveteran, „diese kleinlichen Streitereien schaden dem Parlament.“ Auch mit Blick auf die Opfer des NSU-Terrors sei parteipolitisches Gezänk unangemessen. „Ein gemeinsamer Antrag wäre ein guter Anfang“, sagt Drexler.

Der Einsetzungsbeschluss durch den Landtag ist deshalb wichtig, weil er den Rahmen setzt, was aufgeklärt wird – und welche Fragen unter den Tisch fallen. Ein weitestgehend von der SPD erarbeiteter Vorschlag wurde von der Grünen-Fraktion einstimmig beschlossen. Die Grünen treten nach der Gutachtenaffäre mit anschließendem Wettflunkern derzeit ungewohnt demütig auf. Die CDU hingegen verlangt im bisher bestens bewährten Grünen-Duktus vollständige Aufklärung und Transparenz, garniert mit der Forderung nach Vorlage interner Mails aus der Grünen-Fraktion. Solche Forderungen nach Offenlegung interner Mails seien den Grünen ja nicht fremd, heißt es schadenfroh in der CDU-Fraktion mit Blick auf diverse Untersuchungsausschüsse, die sich unter anderem an Mails des früheren Regierungschefs Stefan Mappus abarbeiteten.

Im Kern geht es in der Gutachtenaffäre darum, dass der Vorsitzende der gescheiterten Enquetekommission, Willi Halder (Grüne), ein Gutachten des Landtags zunächst exklusiv der eigenen Fraktion zuleitete. Die CDU argwöhnt, der Inhalt des Gutachtens sollte manipuliert werden. Das weisen die Grünen empört zurück. Außerdem mutmaßen die Christdemokraten, Halder habe nicht aus Unerfahrenheit gegen die Parlamentsgebräuche verstoßen, sondern auf Anstiftung des parlamentarischen Geschäftsführers der Grünen, Hans-Ulrich Sckerl gehandelt. Der Vorwurf ist heikel, weil Sckerl als Grünen-Obmann für den Untersuchungsausschuss vorgesehen ist. Der Mann hat reichlich Erfahrung mit solchen Gremien. Das zählt in einer Fraktion, in der viele Neulinge sitzen.

War Kiesewetter nur ein Zufallsopfer?

Der grün-rote Einsetzungsantrag deckt die bekannten Grauzonen der NSU-Verbrechen ab. Es geht um die Aufhellung des Unterstützernetzwerks im Land. Im Bericht der Ermittlungsgruppe Umfeld war von 52 Personen mit Bezug zu Baden-Württemberg die Rede, die Kontakt mit dem NSU-Trio hatten – entweder direkt mit Uwe Böhnhard, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe oder mit deren Kontaktleuten.

Natürlich wird der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter zur Sprache kommen, vor allem soll nochmals geprüft werden, ob es sich bei Kiesewetter, die aus Thüringen stammte, tatsächlich um ein Zufallsopfer handelte. Der Ausschuss wird sich mit der Mitgliedschaft von Polizisten beim Ku-Klux-Klan auseinandersetzen und mit Geheimnisverrat beim Verfassungsschutz. Die CDU verlangt, es müsse auch untersucht werden, wie die baden-württembergischen Behörden nach Bekanntwerden der NSU-Täterschaft im Jahr 2011 reagierten – also in der Amtszeit des SPD-Innenminister Gall.

Bisher bekunden alle Fraktionen das Interesse an einem gemeinsamen Einsetzungsbeschluss. „Der Untersuchungsausschuss funktioniert nur, wenn wir an einem Strang ziehen“, sagt der CDU-Abgeordnete Matthias Pröfrock.