Selten herrschte so große Einigkeit im Untersuchungsausschuss rund um die Polizeiaffäre. „Der Untersuchungsausschuss hat ein klares Zeichen gesetzt, dass wir uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen“, sagte SPD-Obmann Sascha Binder am Montagabend. Und die FDP-Innenexpertin Julia Goll pflichtete ihm bei, sie habe „größte Zweifel, ob der Zeuge seinen Zeugenpflichten“ nachgekommen sei.
Der, der den Untersuchungsausschuss so gegen sich aufgebracht hat, ist kein geringerer als der Freiburger Polizeipräsident Franz Semling. Am Montagvormittag hatte der Ausschuss Semling ein zweites Mal geladen und in nicht öffentlicher Sitzung vernommen. Doch die Fragerunde wurde vorzeitig abgebrochen. „Die Erinnerungslücken waren so groß, dass wir sagen mussten, es macht keinen Sinn zu insistieren“, sagte CDU-Obfrau Christiane Staab. Der AfD-Obmann Hans-Jürgen Goßner sprach von „unplausiblen Erinnerungslücken“.
Erzwingshaft gegen einen Polizeipräsidenten?
Die Ausschussvorsitzende Daniela Evers (Grüne) kündigte eine rechtliche Prüfung an, ob und inwieweit der Zeuge zu einer Aussage gebracht werden kann. Das Untersuchungsausschussgesetz sehe dafür ein Ordnungsgeld und weitere Maßnahmen vor. Die reichen bis zu einer Ordnungshaft oder Erzwingungshaft. Ob diese Maßnahmen zur Anwendung kommen, wird sich noch zeigen. In jedem Fall steht fest, dass Semling noch ein drittes Mal vor dem Ausschuss aussagen wird. „Da darf die Aussage: ‚Ich erinnere mich nicht’, keine leere Floskel sein“, warnte Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand.
In dem Untersuchungsausschuss geht es um die Besetzungs- und Beförderungspraxis bei der Polizei, aber auch um die Vorwürfe der sexuellen Nötigung gegen den aktuell freigestellten Inspekteur der Polizei, Andreas Renner. Das Landgericht Stuttgart hatte Renner aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Auch ein Disziplinarverfahren steht noch aus.
Justizstaatssekretär mit Erinnerungslücken
Keine rechtlichen Maßnahmen will der Ausschuss indessen gegen den Justizstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) ergreifen. Der räumte im Ausschuss zwar freimütig ein, sich noch als einfacher Abgeordneter beim Innenminister für die Karriere Renners eingesetzt zu haben. An anderen Stellen wies er aber ebenfalls große Erinnerungslücken auf. In mindestens einem Fall will der Untersuchungsausschuss allerdings nachhaken: Der frühere LKA-Präsident Ralf Michelfelder hatte von einem nächtlichen Anruf Loreks berichtet, als er gerade im Ausland bei einer Konferenz war. In dem Gespräch habe Lorek ihm mit „Konsequenzen“ gedroht, nachdem Michelfelder sich dagegen ausgesprochen hatte, Renner zum LKA-Vizepräsidenten zu machen. Lorek indessen konnte sich an das Telefonat nicht erinnern.
Nach Meinung von Binder konnte der ansonsten in Details sehr gut vorbereitete Staatssekretär die Vorwürfe allerdings nicht ausräumen. Es ist also nicht auszuschließen, dass Michelfelder erneut vor dem Ausschuss aussagen wird. Dafür sollen nun die alten Protokolle noch einmal ausgewertet werden. Auch Lorek ist noch nicht endgültig entlassen. „Nach heute weiß ich überhaupt nicht mehr zu sagen, wann wir überhaupt fertig werden mit diesem Untersuchungsausschuss“, sagte FDP-Obfrau Goll.
Feuchtfröhliches Treffen im Corona-Lockdown
In der kommenden Sitzung Mitte Dezember wird allerdings noch keiner der beiden vernommen werden. Dann sollen vier Polizeibeamte gehört werden, die frisch auf die Zeugenliste gesetzt wurden und in ganz anderem Zusammenhang zum Untersuchungsgegenstand stehen: Dabei geht es, wie unsere Zeitung jüngst berichtete, um eine junge Beamtin, die im April 2020 – also zur Zeit strenger Coronabeschränkungen – nachts von einer Polizeistreife in der Nähe des LKA angetroffen wurde. Als diese die Hauptkommissarin ansprach, brach sie in Tränen aus. Sie führte eine Plastiktüte mit leeren Bier- und Sektflaschen mit sich und sagte aus, sie sei mit einer Kollegin zu einem „Antrittsbesuch“ beim damaligen Vize des LKA – damals Andreas Renner – gewesen. Dieser habe sie angewiesen, eine nicht durch Video überwachte Tür des Amtes zu nutzen.
SPD-Obmann Binder sagte, er sei sehr froh, dass der Vorfall öffentlich geworden sei. Da stelle sich die Frage, ob man nicht doch etwas hätte wissen können vor der Besetzung des Inspekteurs der Polizei. Renner war Ende 2020 auf die Position befördert worden. Bislang hatten alle Zeugen ausgesagt, vor dem Vorfall im Jahr 2021 keine Verfehlungen bemerkt zu haben. Auch Renners Vertrauter Siegfried Lorek sagte: „Ich wollte das nicht glauben.“