Mehr als sieben Jahrzehnte lebte der Amerikaner Paul Alexander in einer stählernen Unterdruckkammer. Jetzt starb der Mensch, der am längsten in einer Eisernen Lunge zubrachte, mit 78 Jahren als vorletzter Patient in einem solchen Gerät zur mechanischen Beatmung. Die „Iron Lung“ hatte einst tausenden Polio-Patienten das Leben gerettet.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

1946: Paul Alexander wird in Dallas, der drittgrößten Stadt des US-Bundesstaates Texas, geboren. Ein ganz normaler Junge – bis er im Alter von sechs Jahren an Polio erkrankt.

 

Die Krankheit, die Paul Alexanders Leben für immer verändert

Eiserne Lungen sind in den 1950ern in Kliniken weltweit nichts Ungewöhnliches. Foto: Imago/Pond5 Images

1952: Zu dieser Zeit ist Polio nichts Ungewöhnliches. Der Hausarzt der Familie weiß um die Gefahren der Kinderlähmung, wie Poliomyelitis auch genannt wird. Die hoch ansteckende Viruserkrankung greift das zentrale Nervensystem an und kann zu dauerhaften Lähmungen und sogar zum Tod führen.

Noch rechtzeitig diagnostiziert der Mediziner Pauls Erkrankung. Doch aufgrund der Überfüllung des örtlichen Krankenhauses rät er den Eltern von einer sofortigen Einlieferung ab. Ein fataler Fehler. Denn der Gesundheitszustand des kleinen Paul verschlechtert sich innerhalb von sechs Tagen dramatisch. Der Junge kann kaum mehr atmen. Endlich fährt seine Mutter mit ihm in die Notaufnahme.

Pauls Leben in der Eisernen Lunge beginnt

Station mit Eisernen Lungen in einem Krankenhaus in den USA (1953). Foto: Imago/Pond5 Images
Gut zwei Meter lang und rund 300 Kilogramm schwer ist das Gerät, das Paul Alexander seit 1952 am Leben hält: eine Stahlröhre mit einer Öffnung für seinen Hals. „Alte Dame“ nennt er die Maschine, gebaut in den 1930er Jahren. Foto: Imago/Pond5 Images

1952: Kurz nach der Einlieferung in die Klinik wird Paul ohnmächtig. Ein Arzt erfasst sofort die lebensbedrohliche Situation und führt eine Tracheotomie – einen Luftröhrenschnitt – durch. Aber der Sechsjährige beginnt nicht mehr zu atmen.

Daraufhin wird er in eine hallengroße Station gebracht, in der bereits andere Kinder mit Hilfe von Eisernen Lungen am Leben erhalten werden. Derartige Stationen gibt es während der großen Polio-Epidemie in den 1950er Jahren in großer Zahl in den USA und auch in Europa.

„My Life in an Iron Lung“ – Pauls Autobiografie

Paul Alexander studiert und wird Rechtsanwalt – trotz Eiserner Lunge.

2015: Besondere mediale Aufmerksamkeit erfährt Paul, als er mittels YouTube versucht, einen Techniker zu finden, der ihm bei der Reparatur seiner Eisernen Lunge helfen könnte, da keine Ersatzteile mehr hergestellt werden.

2020: Paul Alexanders Autobiografie „Three Minutes for a Dog: My Life in an Iron Lung“ erscheint in den Buchläden. Acht Jahre hat er gebraucht, um das 156-Seiten Buch mit Unterstützung eines Freundes zu schreiben. Er schrieb hauptsächlich mit einem Stock im Mund, mit dem er die Tastatur betätigte, sowie teilweise auch durch Diktieren an seinen Freund.

Seit 72 Jahren lebt Paul im eisernen Druckbehälter

Ein Patient in einer Eisernen Lunge (USA, 1964). Foto: Imago/Cola Images

2022: Seit diesem Jahr gilt Paul Alexander neben Martha Lillard, geboren am 8. Juni 1948 in Oklahoma City (US-Bundesstaat Oklahoma) und seit 1953 in der Eisernen Lunge, als einer von zwei Menschen auf der Welt, die diese inzwischen ausgemusterte Technologie nutzen.

Stahlröhre zur maschinellen Beatmung

Ein Arzt und eine Krankenschwester betreuen einen Patienten in den 1950er Jahre im US-Bundesstaat Rhode Islands. Foto: Imago/Everett Collection

Die Eiserne Lunge ist eine Druckkammer, welche die mechanische Beatmung des Patienten übernimmt. Er steckt bis zum Hals in einer Stahlröhre, die ihn luftdicht umschließt.

Das Gerät erzeugt einen Unterdruck, so dass sich der Brustkorb ausdehnt. Der Patient atmet ein. Anschließend produziert das Gerät einen Überdruck. Patienten können nur stundenweise mit einem mobilen Atemgerät aus ihrer Zwangslage befreit werden. Heute werden in der Regel moderne Beatmungsgeräte eingesetzt, die Luft direkt in die Lungen drücken.

Die externe Beatmung hat gegenüber der heute üblichen Intubationsbeatmung durch einen Schlauch den Vorteil, dass sie ohne zusätzlichen Druck die natürliche Atmung nachahmt. Bei der Intubation durch die Luftröhre wird dagegen – je nach Grad der Erkrankung – unter mehr oder weniger starkem Druck ein Luft-Sauerstoff-Gemisch direkt in die Lunge hineingeblasen. Die Ausatmung ist passiv, indem der Druck weggenommen wird.

Paul Alexander ist tot

11. März, 2024: Seit 72 Jahre lebt Paul Alexander in dem Stahlbehälter, der zu seinem Zuhause geworden ist. Niemals zuvor hat ein Mensch in einem dieser klinischen Geräte so lange überlebt.

Der 78-Jährige war neben Martha Lillard der einzige Mensch, der eine solche Beatmungsmaschine nutzte. Denn an diesem Montag (11. März) ist Paul Alexander, den sie in den Medien nur den „Mann in der Eisernen Lunge“ nannten, an den Folge einer Covid-19-Infektion in seiner Geburts- und Heimatstadt Dallas gestorben.

Requiescat in pace, fortior Paulus Alexander!