Eine New Yorker Mutter zwingt ihre kleine Tochter abzunehmen. Als das Mädchen schlank ist, posiert sie mit ihm in der „Vogue“. Jetzt macht Dara-Lynn Weiss mit einem Buch darüber Furore.

New York – Dara-Lynn Weiss hatte durchaus mit einer Debatte gerechnet, als sie im April 2012 in der amerikanischen „Vogue“ erzählte, wie sie mit eiserner Strenge ihre übergewichtige sieben Jahre alte Tochter auf ein normales Gewicht herunterhungern ließ. Die Wucht des Zorns und Hasses, der ihr entgegenschlug, machte Weiss jedoch sprachlos. „Das hat mich umgehauen“, sagte sie jetzt in einem Interview mit dem „New York Magazine“.

 

Ähnlich wie vor ihr die sogenannte Tiger Mom Amy Chua, die ihr Kind zu Bestnoten gedrillt hatte, wurde Dara-Lynn Weiss der exzessiven und selbstsüchtigen Grausamkeit gegenüber ihrem Kind bezichtigt. Die „Huffington Post“ sprach vom „schlimmsten ,Vogue‘-Artikel aller Zeiten“. Die Bloggerin Mom de Guerre sagte bissig, dass Weiss’ Tochter Bea ihrem Therapeuten in Zukunft einfach nur die fragliche „Vogue“ mitbringen müsse, dann werde er ihre Neurosen sofort verstehen. Die feministische Website „Jezebel“ nannte Weiss „die verkorksteste, egoistischste Frau, die je in der ,Vogue‘ gestanden hat“.

Hat die Mutter ihre eigenen Neurosen auf das Kind übertragen?

Dara-Lynn Weiss, so meinen ihre Kritiker, habe ihre eigenen Neurosen um das Essen und ihre Figur auf ihr Kind projiziert und der kleinen Bea irreparablen seelischen Schaden zugefügt. Sie habe Bea öffentlich erniedrigt, ihr Verhältnis zu ihrem Körper permanent gestört und sie aus Geltungssucht auch noch in die Medien gezerrt. „Die Ekelhaftigkeit des Artikels“, schrieb „Jezebel“, „wird nur von den begleitenden Fotos überschattet, in denen sie gemeinsam mit ihrer traumatisierten Tochter in Designerminiröcken kichernd Tee schlürft.“

Einige der Kritikpunkte nimmt Weiss, deren Buch „The Heavy. A Mother, a Daughter, a Diet“ unter dem Titel „Wonneproppen“ jetzt auf Deutsch erscheint, mittlerweile durchaus an. „Ich war streng, manchmal sogar grob“, sagt sie. Wofür sie sich jedoch nicht entschuldigen mag, ist ihre Entscheidung, das Übergewicht ihrer Tochter gnadenlos anzugehen, anstatt aus Furcht davor, ihr Selbstwertgefühl zu verletzen, untätig zu bleiben. „Ich bin selbst sehr kritisch gegenüber den überzogenen Schönheitsidealen, die wir vorgesetzt bekommen. Ich finde, dass es Raum für mehr als eine normative Körperform geben muss. Aber wenn es um die Gesundheit geht, ist bei mir Schluss.“

Eltern von dicken Kindern stehen vor einem Dilemma

Daran, dass Fettleibigkeit – im Fachjargon Adipositas – unter Kindern und Teenagern ein gravierendes Gesundheitsproblem ist, kann kein Zweifel bestehen. 17 Prozent aller amerikanischen Kinder sind adipös, die Zahl hat sich in den vergangenen 30 Jahren mehr als verdreifacht. In Deutschland sind die Zahlen nicht wesentlich besser: 15 Prozent der Kinder hierzulande wiegen zu viel – mit allen bekannten Folgen für die Gesundheit: zu hoher Blutdruck, erhöhtes Risiko für Diabetes sowie von Herz- und Kreislauferkrankungen.

Wenn das eigene Kind betroffen ist, das will Dara-Lynn Weiss mit ihrem Buch deutlich machen, steht man als Elternteil vor einem wahrhaftigen Dilemma. Es gibt im Grunde keinen guten Weg aus der Situation. Die Härte, die sie gewählt hat, direkt das Problem Übergewicht anzusprechen, birgt das Risiko, Selbstbild und Selbstwertgefühl sowie einen unbefangenen Umgang mit dem Essen zu unterwandern. Nichts zu tun kann hingegen für besorgte Eltern ebenfalls keine Option sein.

Dara-Lynn Weiss jedenfalls hätte es nicht vor sich verantworten können, tatenlos zu bleiben, nachdem ihr Kinderarzt ihr sagte, die kleine Bea sei gefährdet. Das Mädchen wog 42 Kilo bei einer Größe von 1,32 Meter. Und so entschied sie sich für ein entschlossenes, konsequentes Programm der Ernährungsumstellung. Von diesem Moment an wurde genauestens auf Kalorien geachtet, süße oder fettige Lebensmittel waren tabu. Mahlzeiten wurden konsequent eingehalten, Naschereien zwischendurch unterbunden. Es gab nur noch Diät-Cola und für den Hunger zwischendurch nur noch Obst. Außerdem wurde ein strenger Sportplan aus Schwimmen und Judo eingeführt. „Es war kein Spaß“, sagt Dara-Lynn Weiss, „es war ein täglicher Kampf.“ Aber er zeitigte Erfolg – Bea hat heute für ihr Alter und ihre Größe Normalgewicht.

Die Inszenierung in der „Vogue“ verdirbt einem den Appetit

Das Urteil darüber, ob Weiss die seelische Gesundheit ihrer Tochter der körperlichen geopfert hat, steht freilich noch aus. Weiss ist nicht davor zurückgeschreckt, ihre Tochter öffentlich bloßzustellen. Sie hat ihr süße Getränke, die sich Bea bestellt hat, mitten im Starbucks aus der Hand genommen und weggeworfen. Sie hat ihr bei Partys den Nachtisch, der schon vor ihr stand, wieder weggenommen. Und darüber, ob es nötig war, sich von „Vogue“ wie ein Topmodel auf Hochglanzfotos ablichten zu lassen, kann man ebenfalls streiten.

Dara-Lynn Weiss ist sich all dieser Dinge durchaus bewusst, sagt sie. Sie weiß, dass ihre Tochter in dem Prozess ein gutes Stück ihrer Unbefangenheit verloren hat. Und doch bereut sie offenbar nichts: „Die Sache war zu wichtig, um tatenlos zu bleiben“, sagt sie. Aus den Fugen waren die Dinge ja bereits vorher geraten. Aus Konfliktscheu nicht einzugreifen wäre für die „Diet Mom“ nichts anderes gewesen als eine Form der Vernachlässigung. Ein Argument, dem schwer zu widersprechen ist. Auch wenn die Fotostrecke in der „Vogue“ einem tatsächlich den Appetit verdirbt.