Überall auf der Welt verbergen Seen einstige Dörfer, die im Wasser versunken sind. Vor allem die steinernen Kirchen mit ihren Glockentürmen sind so hoch und massiv, dass sie an die früheren Bewohner erinnern. Wir stellen einige dieser geheimnisvollen „Lost Places“ vor.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Frühere Gefängnisse, verfallene Schulen, halb verschüttete Krematorien, verwaiste Schwimmbäder, baufällige Hotels: Orte, die einst belebt waren. Orte, die längst verloren, verlassen, verschwunden, verwünscht, vergessen sind. Orte, die heute ein beliebtes Ausflugsziel für Hobby-Fotografen und soziale Netzwerker sind. Orte voller Geschichte und Geschichten. Orte, perfekt für außergewöhnliche Fotos. Das sind . . . Lost Places.

 

Lost Places - zum Beispiel Berich: Versunken im Edersee

Das Dorf Berich versank 1914 in den Fluten des Ederstausees im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg und ist heute ein Lost Place. Die 200 Bewohner mussten ihr Zuhause verlassen und wurden an anderer Stelle angesiedelt. Bei lang anhaltender Trockenheit in besonders heißen Sommern sinkt der Wasserstand des Sees so stark, dass die versunkenen Ruinen des so genannten Edersee-Atlantis wieder zu sehen sind. Über die 1898 erbaute Aseler Brücke kann man trockenen Fußes die Überreste des Dorfes betreten.

Wenn Orte im Wasser verschwinden

Berich ist nur einer von vielen Orten, die wegen des Baus von Stauseen oder Naturkatastrophen überflutet wurden und verschwanden. In unserer Bildergalerie stellen wir einige dieser versunkenen Orte vor.

Berich: Bei extremen Niedrigwasser wie in diesem Sommer kann man die Überreste des überfluteten Dorfes Berich im hessischen Edersee besichtigen. Foto: dpa/Swen Pförtner
Kirche von Graun: Der Kirchturm der Pfarrkirche Sankt Katharina des Ortes Graun im Reschensee in Südtirol (Italien) stammt aus dem 14. Jahrhundert. Er ist das letzte sichtbare Überbleibsel des Dorfes, das 1950 geflutet wurde. Drei Jahre hatten die Einwohner Zeit, in höhere Lagen umzuziehen. Foto: Imago/Shotshop
Kirche von Quechula: Die Malpaso-Talsperre in der mexikanischen Zentralregion Chiapas ist das zweitgrößte Wasserreservoir des mittelamerikanischen Landes. In den 1960er Jahren mussten hunderte Einwohner ihre Heimat verlassen und wurden neu angesiedelt. Bei extremer Dürre taucht diese vierhundert Jahre alte Kirche wieder aus den Fluten auf. Foto: AP/dpa
Geamăna: In dem Ort im Apuseni-Gebirge der Siebenbürger Westkarpaten (Rumänien) lebten einst mehr als 1000 Menschen. Ende der 1970er Jahre wurde das Tal zu einem Abfallbecken für die Rückstände einer Kupfermine. Seitdem ist Geamăna von giftigen Schlammmassen bedeckt. Foto: Imago/Pond5 Images
Rungholt: Um das „Atlantis der Nordsee“ ranken sich viele Mythen. Im 14. Jahrhundert verschlang eine Sturmflut den wohlhabenden Handelsplatz, von dem heute nur noch wenige Relikte zeugen. Foto: dpa

Kaljasin: 150 Kilometer nördlich von Moskau befindet sich der 140 Kilometer lange und fünf Kilometer breite Uglitscher Stausee an der Wolga. 1940 versank der Ort Kaljasin in seinen Fluten. Von der 1801 erbauten Nikolaikirche ragt nur noch der Glockenturm aus dem Wasser.

Villa Epecuén: Der 1920 am Lago Epecuén in Argentinien gegründete Ort war einst ein Touristendomizil. 1985 überschwemmte der See bei einer Sturmflut sämtliche Häuser. Der hohe Salzgehalt des Wassers hat die Ruinen gespenstisch ausgebleicht. Foto: AFP

Petrolandia: Einst gab es eine kleine Gemeinde nahe des Flusses São Francisco im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco. Doch dann wurde Mitte des 20. Jahrhunderts der Luiz Gonzaga-Damm gebaut und der 160-Einwohner-Ort geflutet. Nur noch die Kirche ragt aus dem schlammigen Wasser heraus.

Sant Romà de Sau: Wegen des Baus eines Staubeckens mussten die Bewohner von San Romà de Saus in Katalonien (Spanien) Mitte des 20. Jahehunderts ihr Zuhause verlassen. Wenn starke Trockenheit herrscht, steht die Kirche des Ortes vollständig frei. Foto: Imago/agefotostock
Zapalnya: Die halb versunkene Kirche St. Ivan Rilski ist das einzige Überbleibsel der Stadt Zapalnya in Bulgarien. Die Einwohner der einst wegen der dortigen Erdölförderung wohlhabenden Gemeinde mussten in den 1960er-Jahren einem Staudamm weichen. Foto: Imago/ZumaPress
Rummu: Der Ort im Nordwesten Estlands war bekannt für seinen Marmorstein. Im nahegelegenen Gefängnis saßen 1600 Straftäter. Inzwischen ist die Gegend vom Grundwasser überflutet. Die ehemaligen Zellen sind ein beliebtes Ziel von Tauchern. Foto: Imago/Wirestock
Yonaguni: Vor der japanischen Insel liegen seltsame Gesteinsformationen. Es könnte sich um die Ruinen einer untergegangenen Zivilisation, die vor 8000 bis 10 000 Jahren existierte. 1985 entdeckten Taucher in 30 Metern Tiefe die Überretse, die der späteiszeitlichen Jōmon-Kultur zugeordnet werden. Foto: Imago/Nature Picture Library
Atlantis: Die Mutter aller untergegangenen Städte. Foto: Imago/Panthermedia
Szenenbild aus dem Disney-Film „Atlantis: The Lost Empire“ aus dem Jahr 2001. Foto: Imago/Allstar
Auch der deutsche Jesuit und Universalgelehrte Athanasius Kircher (1602-1680) forschte nach Atlantis und zeichnete seine berühmte „Fantasiekarte” von Atlantis: „Mundus Subterraneus“ (1665). Foto: Imaga/United Archives International

Atlantis: Sagenumwobene Mutter aller untergegangenen Städte

Das mythische Inselreich soll dem antiken griechischen Philosophen Platon (428/427-348/347 v. Chr.) zufolge um 9600 v. Chr. infolge einer Naturkatastrophe untergegangen sein. Platon beschreibt die Insel Atlantis in seinen um 360 v. Chr. verfassten Dialogen „Timaios“ und „Kritias“.

Atlantis war laut Platon eine Seemacht, die ausgehend von ihrer „jenseits der Säulen des Herakles“ gelegenen Hauptinsel große Teile Europas und Afrikas unterworfen hat. Nach einem gescheiterten Angriff auf Athen sei Atlantis schließlich infolge einer Naturkatastrophe innerhalb „eines einzigen Tages und einer unglückseligen Nacht“ untergegangen.

Die Hauptinsel lag außerhalb der „Säulen des Herakles“ im „Atlantìs thálassa“, wie schon der antike griechische Geschichtsschreiber und Geograf Herodot (490/480 v. Chr. – um 430/420 v. Chr.) den Atlantik nennt. Als Säulen des Herakles bezeichnete man im Altertum zwei Felsenberge, welche die Straße von Gibraltar umrahmen: den Felsen von Gibraltar im Süden der Iberischen Halbinsel und den Berg Dschebel Musa (auch Jbel Musa geschrieben) in Marokko, westlich der spanischen Exklave Ceuta.

Info: Lost Places und Urban Exploring

Urban Exploration
Urban Exploration, Urban Exploring oder kurz Urbexing, Urbex nennt sich die alternative Form der Stadterkundung nach verschwundenen, geheimnisvollen Stätten. Die Fans dieses relativ neuen Genres der Ruinen-Fotografie nennen sich selbst Urbexer.

Lost Places
„Wir wollen als Fotografen den Verfall in Kunst transferieren. Wollen die Schönheit des Vergehenden herausarbeiten“, beschreibt einer der Lost-Places-Fahnder sein Hobby, das er mit Menschen auf der ganzen Welt teilt. „Urbexer“ wollen den morbiden Charme verfallener Gebäude auf Fotos und Videos festhalten.

Die Bilder werden auf sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder X etwa unter dem Hashtag #lostplaces gepostet. Auf den Fotos bröckelt oft der Putz von den Wänden, dicker Staub wölbt sich auf den Treppenstufen, Fenster sind eingeschlagen. Es sieht aus wie in Gruselfilmen oder Mystery-Serien.

Lost Places in und um Stuttgarts
Auf den Webseiten der „Stuttgarter Zeitung“ und der „Stuttgarter Nachrichten“ finden Sie unter dem Suchbegriff „Lost Place“ viele spannende und informative Artikel und Hinweise aus der Redaktion zu „Lost Places“ in und um Stuttgart.

Rechtliche Aspekte
Neben der spannenden Suche nach verlorene Orten darf man die rechtliche Seite nicht vergessen. Viele der brachen Gelände gehören privaten Eigentümern und das Betreten ist ohne deren Zustimmung nicht erlaubt.