Es geht nicht nur um die Rheintalbahn oder Neubaustrecke Stuttgart–München: Viele kleine Mängel behinderden den Zugverkehr im Land Tag für Tag. Einige ganz konkrete Beispiele zeigen, wo es klemmt.

Stuttgart - Einmal angenommen, die Politik würde eine klare Priorisierung der Schiene im Güter- wie Personenverkehr beschließen. Reicht es, einfach mehr Züge fahren zu lassen? Mitnichten, denn mit der Infrastruktur der Schiene in Baden-Württemberg steht es keinesfalls zum Besten. Mögliche und notwendige Verbesserungen lassen sich kaum zählen. Einige konkrete Projekte stellt die StZ vor.

 

Die Ausgangslage Zwar stiegen die Fahrgastzahlen in den vergangenen 15 Jahren seit der Bahnreform um gut 50 Prozent. Doch beim genauen Hinsehen liegt das dies an einer zunehmenden Mobilität. Das Verhältnis der Bahn- und der Autokilometer hat sich außerhalb der Ballungsräume kaum geändert. Beim Güterverkehr ist dies anders – zu Lasten der Schiene. Anders als vor Jahrzehnten, als Güterzüge das Rückgrat der Transporte bildeten, liegt deren Anteil aktuell bei rund 17 Prozent. Zehn Prozent der Gütertransporte übernimmt die Binnenschifffahrt, gut 70 Prozent wird auf der Straße abgewickelt.

Große Herausforderungen für die Schiene. Klicken zum Vergrößern.

 

Große Projekte: Neubaustrecken und Elektrifizierung

Neubaustrecken Drei Verkehrsachsen sind seit langem im Gespräch. Stets ist der Knoten Mannheim betroffen. Oft wird geplant, mitunter bereits abschnittsweise gebaut, die Fertigstellung freilich ist nirgendwo konkret terminiert. Es geht erstens um die Rheintalbahn zwischen Mannheim-Karlsruhe–Offenburg–Freiburg–Basel. Zweitens um die Verlängerung der Schnellbahnstrecke von Mannheim über Stuttgart hinaus nach Ulm und München. Und drittens um die Strecke Mannheim-Frankfurt. Weil der Fernverkehr keine optimalen Strecken vorfindet, stört er auf den alten Strecken Nahverkehr und Güterverkehr.

Elektrifizierung In den Debatten um die Elektromobilität fällt auf, dass die Schiene darin kaum vorkommt. Dabei sind Züge für eine ökologische Wende bestens geeignet. Regenerativ gewonnener Strom lässt sich einspeisen, beim Bremsen kann Energie zurückgewonnen werden, vor Ort sind die Züge emissionsfrei, um nur einige Vorteile zu nennen. Obwohl dies seit langem bekannt ist, gibt es im Netz Lücken bei der Elektrifizierung: Tübingen–Horb, Tuttlingen–Immendingen, Öhringen–Schwäbisch Hall-Hessental, Freudenstadt–Hausach, Titisee-Neustadt–Donaueschingen, Rottweil–Villingen-Schwenningen. Diese Abschnitte werden oft vergessen angesichts der großen Projekte: München–Memmingen, Wangen–Lindau, Ulm–Friedrichshafen–Lindau (Südbahn). Für die beiden letzten Strecken gibt es Beschlüsse, im Bau ist keine Oberleitung.


Leistungsfähigkeit der Strecken Baden-Württemberg leidet bis heute unter den Kriegsfolgen. Dazu gehört die Sprengung der Jagstbrücke bei Möckmühl. Auf der Verbindung Stuttgart–Würzburg–Hamburg leidet vor allem der Güterverkehr unter eingleisigen Abschnitten wie zwischen Züttlingen und Möckmühl . Ein – derzeit nicht geplanter – Ausbau würde die Fahrpläne verbessern. Auf der Gäubahn zwischen Horb und Tuttlingen hat die französische Besatzungsmacht das zweite Gleis entfernen lassen. Im Bundesverkehrswegeplan sind immerhin Doppelspurinseln vorgesehen, wo sich Züge bei voller Fahrt begegnen können.

Bahnsteige Problematisch ist der ungenügende Ausbau von Bahnsteigen. So gibt es mitunter einen außen liegenden Bahnsteig für zwei Gleise. Züge müssen aufs Gegengleis ausweichen, um Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten zu ermöglichen – mit allen Folgen für den Fahrplan. So geschieht es in Stuttgart-Münster und in Mockmühl-Züttlingen (Kreis Heilbronn). Andere Bahnsteige wie in Wittighausen (Main-Tauber-Kreis) sind zu kurz oder passen in der Höhe nicht. Das trifft in Pforzheim sogar den ICE, der vom Dezember an die Stadt passiert, aber nicht halten darf.

Schienen und Bahnsteige werden abgebaut

Knotenbahnhöfe Bahnhöfe mit Zügen aus mehr als zwei Richtungen brauchen viele Bahnsteige für eine parallele Ankunft und gute Anschlüsse. Bei den Engpässe fällt auf, dass im badischen Mannheim ein zusätzlicher Bahnsteig gebaut wird, im württembergischen Ulm dagegen nicht.

Rückbauten Die Rückbaustrategie der DB könnte der Erfahrung nach so zusammengefasst werden: „Was wir aktuell nicht brauchen, wird stillgelegt.“ Da werden Überholungsgleise aus dem Boden gerissen wie in Uhingen (Kreis Göppingen), betroffen ist die Hauptstrecke Stuttgart–Ulm. Signale werden abgebaut, so geschehen in Bempflingen (Kreis Esslingen) auf Baden-Württembergs meist genutzter Nahverkehrsstrecke Stuttgart–Tübingen. Kreuzungsbahnhöfe werden ihrer Funktion enthoben wie in Frommern bei Balingen oder in Wolfegg (Kreis Ravensburg). Zustiege werden durch Bahnsteigstilllegungen unbrauchbar gemacht wie in Sulzdorf bei Schwäbisch Hall oder in Rottenacker (Alb-Donau-Kreis). Und in Tannheim (Kreis Biberach) hat der Kreuzungsbahnhof seine Funktion für Personenzüge verloren, weil der Bahnsteig von Gleis 2 entfernt wurde.

Geschwindigkeitsbegrenzungen Wenn Sicherungsanlagen an einem Bahnübergang nicht mehr genügen, wird mitunter nicht etwa der Bahnübergang umgebaut, sondern das Tempo der Züge herabgesetzt. Ein extremes Beispiel betrifft Kleinsteinbach, Ortsteil der Gemeinde Pfinztal (Kreis Karlsruhe), an der Hauptstrecke Stuttgart–Karlsruhe. Alle Züge, auch IC und Güterzüge, müssen sich mit 30 km/h dem Übergang nähern. Der Lokführer soll sich per Augenschein davon überzeugen, dass nicht etwa ein Lastwagen am engen Übergang hängen geblieben ist und die Gleise blockiert. Nicht mehr gestattet ist es der Bahn, Mängel an der Strecke durch Herabsetzung der Geschwindigkeit aufzufangen anstatt doch lieber die Mängel zu beseitigen. Neu ist dagegen, dass auf einigen Abschnitten Tempolimits bei Sturmwarnungen gelten. Grund: Die Bäume stehen zu nahe an den Gleise oder Äste über den Randstreifen wurden nicht ausreichend gestutzt.

In Beimerstetten müssen Fahrgäste über die Gleise laufen

Der Fall Beimerstetten „Das ist einmalig im Land“, sagt ein Bahnmitarbeiter in Beimerstetten (Alb-Donau-Kreis), als er genau eine Minute vor Ankunft des Schülerzuges das Tor zum Bahnsteig aufschließt. Personen dürfen sich hier nur ganz kurz beim Ein- und Aussteigen aufhalten. Denn im Fünf-Minuten-Takt rasen vom ICE bis zum Güterzug Züge aller Klassen an den engen Bahnsteigen vorbei. Der Ort liegt an der Hauptstrecke Stuttgart–Ulm–München. Wer von hier nach Ulm fahren will, muss sogar über die Gleise laufen, weil eine Unterführung fehlt. Der Fernverkehr muss oft auf freier Strecke vor dem Bahnhof warten. „Neue Bahnsteige etwas außerhalb des Bahnhofs sind seit langem geplant“, berichtet der Mitarbeiter, „wann sie kommen? Keine Ahnung“. Bis dahin wird das Tor zu den Bahnsteigen in Beimerstetten an der Magistrale Bratislava–Paris mehrmals pro Stunde auf- und zu- geschlossen.

Signal- und Stellwerkstörungen Ob mangelnde Wartung oder höhere Gewalt: Immer wieder kommt es zu Störungen bei Stellwerken und Signalen. Zwei Beispiele: Wegen eines fehlerhaften Signals in Neunkirch (Schweiz) an der Strecke Basel–Singen sammelten am 8. Oktober nach 19.23 Uhr und dem nächsten Morgen um 8.19 Uhr 18 Züge große Verspätungen. Am 13. September stoppte ein Stellwerksausfall zwischen 8.50 Uhr und 10.20 Uhr alle Züge bei Wendlingen (Kreis Esslingen). Ein Busersatzverkehr konnte nicht eingerichtet werden, weil sich Schranken nicht öffnen ließen. Und bei Tannheim (Kreis Biberach) wurden zwischen 1. und 18. Oktober rund zehn Störungen an Bahnübergängen registriert. Gibt es dort ein strukturelles Problem, fragen sich Eisenbahner.

Blinklichtanlagen funktionieren nicht

Güterverkehr Vom infrastrukturellen Kahlschlag ist vor allem der Güterverkehr betroffen. Es gibt Bahnlinien im Land, auf denen keine Güterwagen mehr abgestellt werden können. So ist auf der Strecke Nagold–Pforzheim kein einziges Gütergleis mehr vorhanden. Oft wurden Verladegleise abgebaut und Rangierbahnhöfe aufgegeben wie in Heidelberg. Beeinträchtigt sind selbst große Verladestationen wie die von Audi in Neckarsulm, wo der Werksbahnhof nur von Jagstfeld her über das Gleis Würzburg–Stuttgart angefahren werden kann. Die Güterzüge des Autoherstellers blockieren so viele andere Züge. Im Bereich Mengen–Krauchenwies–Stockach hat der Regalhersteller Tegometall eine eigene Strecke. Sie wird kaum genutzt, weil Bahnübergänge mit Flaggen gesichert werden müssen – die Blinklichtanlagen funktionieren nicht mehr. Besonders krass: Containerzüge von Hamburg nach Stuttgart-Kornwestheim müssen bei Wittighausen (Main-Tauber-Kreis) das Gegengleis benutzen oder die Geschwindigkeit auf zehn km/h (!) reduzieren. Grund: Container könnten die Tunnelwand streifen.