Schienenprojekte sind häufig umstritten. Deshalb schlägt der Grünen-Verkehrsexperte Matthias Gastel eine Deeskalationsstrategie vor. Eine unabhängige Instanz beim Deutschen Zentrum für Schienenverkehrsforschung soll es richten.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart 21, der Ausbau im Rheintal, die geplanten ICE-Pisten von Hannover nach Bielefeld und Hamburg – Schienenprojekte sind häufig massiv umstritten und verzögern sich deshalb nicht selten um Jahre oder gar Jahrzehnte. „Oft prallen verschiedene Aussagen unversöhnlich aufeinander, und es fehlt eine unabhängige Instanz“, sagt Matthias Gastel. Der Verkehrsexperte der Grünen im Deutschen Bundestag sieht eine Lösung in der Schaffung einer Kompetenzstelle, die beim Deutschen Zentrum für Schienenverkehrsforschung (DZSF) in Dresden angesiedelt werden sollte.

 

Gefordert: eine Prüfung durch unabhängige Experten

Eine unabhängige Expertenstelle sei „dringender nötig denn je“, betonte Gastel in einem Gespräch mit unserer Redaktion. Denn in den kommenden Jahren sei in der Bundesrepublik eine Rekordzahl an Schienenprojekten geplant, über die der Bundestag entscheiden soll. „Bei Planung und Umsetzung aber sind Politik und Öffentlichkeit stark von Angaben der Deutschen Bahn AG abhängig, und eine unabhängige Überprüfung zentraler Aussagen ist dabei schwierig“, sagt Gastel. Auch dem Bundestag stehe bisher „zu fachplanerischen und technischen Fragen rund um Bahnprojekte keine wissenschaftliche Expertise zur Verfügung“.

Beim DZSF sollte daher eine Organisation aufgebaut werden, die fachliche Fragen zur Planung von Infrastrukturprojekten sowie zu konzeptionellen Fragen des Deutschlandtakts beantworten kann, fordert Gastel in einem bisher vertraulichen Papier, das unserer Redaktion vorliegt. Die Kompetenzstelle soll demnach eine „rein beratende Funktion“ haben. Ziel sei „die fachlich hochwertige Einschätzung“ etwa von Trassenvarianten und Auswirkungen auf die Umwelt.

Die Kompetenzstelle sollte aus dem Etat von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) finanziert werden, so der Vorschlag. Vom Bundestag, dem Ministerium sowie im Rahmen von Dialogverfahren zu Schienenprojekten könnten dann künftig fachliche Fragen besser geklärt werden. Sollte das Expertennetzwerk des DZSF keine Antworten haben, könnten auch externe Gutachten vergeben werden. Die wissenschaftliche Überprüfung soll Planungs- und Diskussionsprozesse verbessern, mehr Transparenz herstellen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in Entscheidungen stärken.

Gastel: Bislang ist man Aussagen „ausgeliefert“

Gastel will mit seinem Papier „eine Diskussion anstoßen“. Bei Verkehrsexperten der Koalitionspartner SPD und FDP habe er bereits um Unterstützung gebeten. Mit einem Bundestagsbeschluss könnte die Einrichtung der neuen Kompetenzstelle beauftragt werden, hofft der Abgeordnete. Einige Fragen zu teils sehr strittigen Planungen hat Gastel parat, die er von unabhängigen Fachleuten bewertet sehen möchte und nicht nur von den Projektverantwortlichen, deren Aussagen man bisher „ausgeliefert“ sei.

Der Bahnexperte der Grünen macht kein Hehl aus seiner Skepsis gegenüber manchen Planungen und Angaben aus dem Ministerium und der DB. Eine Frage sei, ob die politischen Zielvorgaben im Klimaschutz wie die Erhöhung des Verkehrsanteils der Schiene mit den vorliegenden Neu- und Ausbaukonzepten überhaupt ermöglicht werden können. Im Detail sei etwa zu klären, wie viele Trassen für Güterzüge zwischen Hamburg und Hannover oder auch beim Brenner-Nordzulauf benötigt werden. Bei der geplanten ICE-Piste Hannover–Bielefeld wiederum sei die optimale Verbindungszeit zwischen Bürgerinitiativen, Kommunen sowie der DB strittig und ebenfalls eine unabhängige Expertise nötig.

In Deutschland werden Schienenprojekte von der Deutschen Bahn AG geplant. Basis ist ein Auftrag des Bundesverkehrsministeriums, der sich auf Vorgaben des Bedarfsplans und des Bundesschienenwegeausbaugesetzes stützt. Die bevorzugte Variante wird dem Bundestag zum Beschluss vorgelegt. Dabei geht es um viele Aspekte neuer oder ausgebauter Strecken wie Lärmauswirkungen, Flächenverbrauch, Naturschutz sowie Wirtschaftlichkeit.