Eine Eigentümergemeinschaft aus Stuttgart streitet mit der Stadtverwaltung. Es geht um die Frage, ob ein Bebauungsplan aus der Nazi-Zeit rechtens ist, der das Bauen an einer bestimmten Stelle verbietet.

Stuttgart - Schon einmal hat der Münchener Rechtsanwalt Thomas Schönfeld die Richter auf dem falschen Fuß erwischt. Das war im März 2012. Vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht hatte eine Eigentümergemeinschaft gegen ein Bauverbot aus der Nazi-Zeit geklagt. Schönfeld gab sich damals nicht mit Spitzfindigkeiten ab und hielt den Bebauungsplan aus dem Jahr 1935 für nichtig, weil er nicht vom Gemeinderat oder von einem Ausschuss desselben beschlossen worden sei.

 

Das Verwaltungsgericht zeigte sich zwar überrascht, erbat auch Bedenkzeit, wies aber damals dennoch die Klage ab. Nun ist die nächsthöhere Instanz an der Reihe. Man darf gespannt sein, ob der Verwaltungsgerichtshof dem Urteil folgt. Falls nicht, hätte das weitreichende Folgen: Laut Auskunft von Stadtpressesprecher Sven Matis stammen allein in Stuttgart noch 15 Prozent der gültigen Bebauungspläne aus der Nazi-Zeit. Genauer gesagt sind es Pläne, die von 1935 an Gültigkeit besaßen. Die Jahreszahl ist insofern entscheidend, weil in eben diesem Jahr die Deutsche Gemeindeordnung in Kraft getreten ist. Sie diente dazu, das „Führerprinzip“ auf allen Ebenen zu verwirklichen. Abstimmungen im Gemeinderat etwa wurden dadurch abgeschafft, Beratungen allerdings nicht. Diese NS-Vorschrift, so seltsam es auch klingen mag, haben die Stuttgarter Richter 2012 angeführt und damit begründet, dass der OB berechtigt war, grünes Licht für den Bebauungsplan zu geben.

Die Eigentümer und Schönfeld kommen aber zu einem anderen Schluss. Weil der fragliche Bebauungsplan von 1935 von einem Technischen Beirat, der nichts mit dem Gemeinderat zu tun gehabt habe, beraten und vom OB beschlossen worden sei, sei er ungültig. Denn die Württembergische Bauordnung von 1910 habe nach wie vor gegolten – und die schreibe vor, dass der Gemeinderat oder ein Ausschuss des Rats Bebauungspläne beschließt.

Für die Berufung am Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat sich Schönfeld in das Studium der NS-Vorschriften vertieft: „Aber da greift keine einzige“, sagt der Rechtsanwalt. Er halte daran fest, dass beim zweiten Bebauungsplan ein „technischer Fehler“ passiert sei. Immerhin, für ganz abwegig kann der Verwaltungsgerichtshof die Argumentation nicht halten, hat er doch die Berufung zugelassen und sie als plausibel angesehen. „Ein erheblicher Anteil an Berufungen hat keinen Erfolg“, sagt Schönfeld.

Die Eigentümer wollen ein Wohn- und Geschäftshaus bauen

Der Streit zwischen der Stadt und der Eigentümergemeinschaft, die aus sieben Parteien besteht, dreht sich um das Gebäude Böblinger Straße 361 in Stuttgart-Kaltental. Die Eigentümer wollten an dieser Stelle ein neues Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage bauen. Ein Bauvoranfrage wurde im Juni 2009 eingereicht. Die Stadt lehnte ab. Nun muss man wissen, dass für diese Stelle mehrere Bebauungspläne existieren. Es gibt einen Baustaffelplan aus dem Jahr 1935 sowie zwei Stadtbaupläne. Während der 1929er-Plan exakt dort, wo sich das Haus befindet, ein Baufenster zulässt, enthält der Nachfolgeplan aus dem Jahr 1935 dieses nicht mehr.

Ergo genießt das Gebäude zwar Bestandsschutz, aber ein Neubau ist nicht möglich. Die Stadt hatte bislang keinen Hehl daraus gemacht, dass sie den 1935er-Plan für entscheidend hält. Auch das Regierungspräsidium teilt diese Einschätzung. Im Oktober 2011 wurde ein Widerspruch der Eigentümergemeinschaft zurückgewiesen. Diese beschritt daraufhin den Klageweg. Während die Eigentümer mit ihrer Argumentation die Verwaltungsrichter überraschten, so dass diese erst den Sachverhalt überprüfen mussten, hatte der Vertreter der Stadt darauf hingewiesen, dass der Entwurf für den Neubau mit drei Voll- und einem Dachgeschoss dem Baustaffelplan widerspreche, der an dieser Stelle nur eine zweigeschossige Bebauung vorsehe. Die Richter machten dann in ihrem Urteil auch deutlich, dass das Bauverbot dem Schutz des Bachufers geschuldet sei. Hinter dem Haus verläuft der Nesenbach. Schönfeld freilich sieht das anders und spricht von einer „Teil-Enteignung“ und einem schwerwiegenden Eingriff. Schließlich habe der 1929er-Plan auch schon den Schutz des Ufers gegenüber den Interessen der Gebäudeeigentümer abgewogen.

Rechtsanwalt spricht von Teilenteignung

Welchen Schluss der VGH daraus zieht, ist nun die entscheidende Frage. Der Stadtsprecher Sven Matis weist darauf hin, dass „die Rechtsprechung immer von einer Gültigkeit dieser Pläne“ aus der Nazi-Zeit ausgegangen ist. Im Jahr 1993 hat der VGH die Ortsbausatzung von 1935 sogar bestätigt. Doch nicht ohne Grund sagt der Rechtsbeistand der Eigentümergemeinschaft, dass seine Argumentationskette etwas „völlig Neues“ sei. Drei Jahre hat die Eigentümergemeinschaft auf den Termin vor dem VGH warten müssen. Ein Urteil ist am Donnerstag nicht zu erwarten, wohl aber eine klare Tendenz, in welche Richtung es gehen wird. Dieser Richterspruch könnte Konsequenzen haben, die weit über Kaltental und Stuttgart hinausreichen.