Trainer Jürgen Kramny arbeitet daran, das Spiel des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart auszutarieren. Er ist im Vergleich zu seinem Vorgänger Alexander Zorniger ein Freund der Kontrolle anstatt des Spektakels.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Jürgen Kramny hat Timo Werner auf die Reise geschickt. Mit einem einfachen Pass. Von der Mittellinie spielte der Trainer des VfB Stuttgart flach in die Spitze, Werner lief von halblinks ein und sprintete mit dem Ball am Fuß Richtung Tor. Stürmer gegen Torwart, sonst nichts.

 

Von der anderen Seite passte Kramnys Assistent Kai Oswald den Ball nach vorne, immer wieder. Artem Kravets und Boris Tashchy versuchten dann im Wechsel mit Timo Werner, einen Treffer zu erzielen – und wenn sich während dieses Vormittagstrainings ein Spion, der aus der Kölner Kälte kam, an der Stuttgarter Mercedesstraße befunden haben sollte, dann wird er dem FC-Trainer Peter Stöger nicht gerade von einer Furcht einflößenden Torquote der VfB-Angreifer berichten müssen.

Die Stuttgarter sind in den vergangenen drei Vorbereitungswochen nicht gerade effektiv mit ihren Torchancen umgegangen. Was ein Blick auf die Testspiele beweist: Das 2:1 gegen Antalyaspor beruhte mehr auf dem großen Siegeswillen der Mannschaft als auf ihrem pfleglichen Umgang mit den zahlreichen Möglichkeiten. Beim 0:0 gegen den VfL Bochum lief nach vorne wenig bis nichts. Beim 2:0 gegen Hannover 96 klemmte es zu Beginn schon am letzten Pass, und zuletzt beim 1:2 gegen den Drittligisten Würzburger Kickers traf nur Kravets.

Sonderschichten für Timo Werner

Alarmiert ist deshalb vor dem Rückrundenstart am Samstag (15.30 Uhr) noch keiner, aber Kramny hat die Defizite nicht nur erkannt, sondern sie in Sonderschichten bearbeiten lassen. Speziell mit Timo Werner, der aufgrund seiner Schnelligkeit häufig allein vor dem gegnerischen Gehäuse auftaucht – und nicht trifft. „Er braucht noch mehr Präzision im Abschluss“, sagt der Trainer über das 19-jährige Talent, „und wir versuchen, das Lösungsportal zu erweitern und ihm Sicherheit zu geben“.

Links oder rechts soll Werner den Ball am Schlussmann vorbeischieben oder ihn schlicht umkurven – mit Tempo und dem richtigen Timing. Doch genau daran hapert es noch, und Kramny ahnt, dass es genau darauf gegen die defensivstarken Kölner ankommen könnte. „Wir werden sicher keine zehn Torchancen erhalten“, sagt der Trainer. Vielleicht nur eine – und die muss dann sitzen, um nach dem Vorrunden-Fehlstart nicht gleich auch noch einen Rückrunden-Fehlstart hinzulegen.

Wild ging es im vergangenen Sommer los, allerdings über fünf Spiele hinweg ohne Punkte. Kramny ist da im Vergleich zu seinem Vorgänger Alexander Zorniger jedoch ein Freund der Kontrolle anstatt des Spektakels. Weshalb er sich zunächst den Sicherheitsfragen gestellt hat: Mehr Stabilität, weniger Gegentore lautete die Antwort. „Ohne jedoch vor dem Tor ungefährlich zu werden“, wie der Coach betont.

Der Wunsch: geordnete Defensive, kreative Offensive

So ist für den 44-jährigen Ludwigsburger die Cheftrainerarbeit beim Bundesligisten auch die Suche nach dem Gleichgewicht im Stuttgarter Spiel, nach dem richtigen Verhältnis zwischen geordneter Defensive und kreativer Offensive. Das mag banal klingen, weil diese Aufgabe fundamental für jeden Fußballlehrer ist. Doch beim VfB hat die Frage der Balance schon mehrere Trainer verschlissen, da die Mannschaft in der Vergangenheit meist nur eines hinbekam: entweder verteidigen oder angreifen.

Wenn beides zusammenkommt, kann so eine Leistung herausspringen wie zum Hinrundenabschluss beim 3:1 gegen den VfL Wolfsburg. Ein Spiel, das bei den Fans und Profis in guter Erinnerung ist. Ein Spiel aber, an das sich Kramny nicht zu sehr anlehnen will, weil er die Neigung des Teams kennt, sich für einen überzeugenden Sieg gerne mal zu lange auf die eigene Schulter zu klopfen. „Wir stehen als Tabellen-15. zwar über dem Strich, aber wir tun gut daran, uns darauf nicht auszuruhen“, sagt der Trainer, der den Abstiegskampf aus der dritten Liga mit dem VfB II kennt.

Bewältigt hat er diesen immer. Mit viel Pragmatismus und ohne eine starre ideologische Linie. Auf diese Art geht es Kramny auch diesmal an und freut sich darüber, „dass wir vorne sehr variabel aufgestellt sind“. Mit einem dynamischen Timo Werner und einem wuchtigen Boris Tashchy. Oder einem Artem Kravets, dem ein halbes Jahr bleibt, um sich für den VfB und die EM zu empfehlen. „Er braucht Rhythmus, wird aber sicher eine Verstärkung werden“, sagt der Trainer über den von Dynamo Kiew ausgeliehenen Ukrainer. Denn nur mit treffenden Stürmern, das weiß Kramny, wird er den VfB auch nach vorne bringen.