Baden-Württemberg hatte bei der Volkszählung am 9. Mai 2011 fast 274.000 Einwohner weniger als angenommen. Vor allem in den Städten müssen die Register korrigiert werden. Das bringt ihnen Verluste bei Finanzzuweisungen.

Stuttgart - Der Präsidentin des Statistischen Landesamtes, Carmina Brenner, war es wichtig, das gleich zu Beginn zu sagen: Im vergangenen Jahr seien 315 000 Menschen nach Baden-Württemberg gezogen, und nur 249 000 haben das Land verlassen. Es hat also einen sogenannten Wanderungsgewinn gegeben. Von den 274 000 Einwohnern, die dem Südwesten bei der Volkszählung am 9. Mai 2011 verloren gingen, sind also 66 000 schon wieder wettgemacht.

 

Der Furor der Bürgermeister und Oberbürgermeister könnte gedämpft werden durch diese Zahl: etwa 400 000 Menschen seien 2012 innerhalb des Landes umgezogen. Auch zwischen den Städten und Gemeinden hat sich inzwischen also schon wieder einiges verschoben.

Prinzipiell sind die Ergebnisse des Zensus aber keine gute Nachricht für die Kommunen. „Wir haben mit einem Rückgang der Einwohnerzahl gerechnet“, sagt Mannheims Rathauschef Peter Kurz (SPD). Doch das Ergebnis sei für ihn weder erklärlich noch vorstellbar. „Da wir ein sehr gut gepflegtes Melderegister haben, müssen wir die Qualität der Erhebung infrage stellen“, sagt Kurz und spricht von Klage. Mannheim hat laut Zählung – zumindest am 9. Mai 2011 – rund 23 500 Einwohner weniger gehabt als gedacht. Laut Brenner bringt grob gerechnet ein Einwohner seiner Kommune pro Jahr 800 bis 900 Euro an Zuweisungen. Das erklärt den Zorn.

Neue Zahlen wirken sich erst 2016 aus

Einer Klage sieht Brenner gelassen entgegen. Man müsste schon die wissenschaftlichen Grundlagen der Erhebung anzweifeln, meint die Statistikpräsidentin und ist sich da angesichts des Vorlaufs ziemlich sicher. Ganz abrupt brechen die neuen Zahlen auch nicht auf die Stadtkämmerer nieder. Erst 2016 kommen sie voll zum Tragen. 2014 fließen sie zu 50, 2015 zu 75 Prozent in die Rechnung ein.

Warum es den rechnerischen Einwohnerverlust überhaupt gibt, erklärt Carmina Brenner damit, „dass das Meldeverhalten nicht mehr so sorgfältig ist“. Wer irgendwo hinzieht, muss sich zwar bei der Kommune anmelden. Zieht man weg, vergisst man die Abmeldung offenbar immer häufiger. Die Folge sind Mehrfachidentitäten, die jetzt getilgt werden müssen. Für die Statistiker untermauern sie die Bedeutung einer Volkszählung. Künftig soll alle zehn Jahre eine solche Erhebung gemacht werden, die nächste 2020.

Besonders nachlässig ist das Meldeverhalten in Ballungszentren, Universitätsstädten und Städten mit hohem Ausländeranteil. Mannheim ist also geradezu der Paradefall. Die Stadt der Quadrate hat sogar ihre Position als zweitgrößte im Land an Karlsruhe verloren. Nach der Fortschreibung auf der Grundlage des Zensus hatte Karlsruhe Ende 2011 mit 291 995 Köpfen 537 mehr als Mannheim. Trotz des Verlustes von 22 400 Einwohnern bleibt Stuttgart mit 586 000 Köpfen unangefochtene Spitze. Die Städte, sagt Brenner, profitierten ohnehin stärker von der Zuwanderung als das flache Land.

Kleinere Gemeinden sind zufrieden

Die kleineren Gemeinden sehen die Zensuszahlen eher entspannt. Sie würden dazu führen, „dass die finanziellen Zuweisungen durch das Land wieder gerecht verteilt werden“, glaubt Willi Schmid, der Finanzexperte des Gemeindetags. Die Verteilung des Geldes werde wieder zurechtgerückt, nachdem sie „nahezu ein Vierteljahrhundert auf der Grundlage immer unzutreffender werdender Einwohnerzahlen vorgenommen wurde“.

Insgesamt, erklärt Schmid, werde ja nicht weniger Geld im kommunalen Finanzausgleich durch das Land zur Verfügung stehen. Dabei geht es um immerhin rund sechs Milliarden Euro. Doch werde nur ein Drittel der Gesamtzuweisungen des Landes an die Kommunen einwohnerabhängig verteilt, so der Gemeindetag.

Die Ergebnisse des Zensus bieten auch landespolitischen Debatten Nahrung – zum Beispiel wenn die Zahl der Schüler stärker sinkt als angenommen. Die grün-rote Landesregierung will ja aus Einspargründen in den nächsten Jahren 11 600 Lehrerstellen streichen, steht deswegen in der Kritik, bekäme aber neue Argumente. Mit Genauem kann Carmina Brenner aber nicht dienen – noch nicht. Der Zensus sei die Grundlage für die weitere Bevölkerungsfortschreibung, die Schülervorausrechnung ist der übernächste Schritt. „So weit sind wir noch nicht.“