Im Bunker unter dem Marktplatz, im Stollen an der Heilbronner Straße und im Schutzraum in Untertürkheim wird ein schmerzhafter Teil der Geschichte Stuttgarts erfahrbar. Alle drei Orte kann man bei der Langen Nacht der Museen erkunden.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Eine Zuchthauszelle im viel zu kalten Keller. Schritte auf dem Gang. Kein Tageslicht, stattdessen Neonblässe und Atemnot: So beschreibt der Schriftsteller Wolfgang Koeppen den Bunker unter dem Stuttgarter Marktplatz. Der „Einzelgänger der deutschen Nachkriegsliteratur“, wie ihn die Wochenzeitung „Die Zeit“ einmal nannte, hat seinen Roman „Das Treibhaus“ im Schutzraum unter dem Marktplatz geschrieben. Die beklemmende Atmosphäre des Ortes, der nach dem Krieg und bis ins Jahr 1985 als Hotel genutzt wurde, spiegelt sich in Koeppens im Jahr 1953 geschriebenen düsteren Roman über einen desillusionierten Bundestagsabgeordneten in der Nachkriegsära wider.

 

Der Bunker, 1941 gebaut, muss auch als Herberge ein Ort gewesen sein, an dem man sofort zur Klaustrophobie konvertierte. Die kleinste Kammer war nur 2,60 auf 2,80 Meter groß. Immerhin: „Ein gepflegtes, unterirdisches Hotel“, schrieb die „Stuttgarter Rundschau“ nach dem Krieg. Bauernmalereien verzierten die Türen zum Frühstücksraum. Über dem Kamin verwitterte der Spruch „Der Teufel ist hier ungebeten“.

Man erfährt auf anschauliche Weise, wie sinnlos Krieg ist

„Das Hotel ist aus einer Notsituation heraus entstanden. Die meisten Hotels waren zerstört, und einen Teil des Wohnraums hatten die Alliierten beschlagnahmt“, erklärt Manfred Schmid vom Planungsstab des Stuttgarter Stadtmuseums. Die Spuren des einstigen Hotels sind heute weitgehend beseitigt. Der Bunker, einer der wenigen authentisch-historischen Orte in Stuttgart, ist – wie könnte es in dieser Stadt auch anders sein –, für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. „Nicht weil er instabil ist, sondern weil die Feuchtigkeit unter Tage für einen heftigen Schimmelbefall gesorgt hat“, so Manfred Schmid weiter. Nur einmal im Jahr, zur Langen Nacht der Museen, die in diesem Jahr am Samstag, 25. März, stattfindet, kann der vergessene Ort erlebt werden.

Schmid ist froh, dass der Bunker wenigstens zur Museumsnacht aufgesperrt wird. Durch ein Abtauchen in die Unterwelt vor dem Stuttgarter Rathaus kann man schließlich nicht nur einiges über die Stadtgeschichte lernen. Man erfährt auf so anschauliche wie dramatische Weise, wie sinnlos Krieg ist, und das in Zeiten, in denen viele Menschen einem scheinbar überwundenen Nationalstolz anhängen. Wie sehr der Mensch zum Verdrängen neigt, wusste schon Wolfgang Koeppen: „Die Leute hatten die Sirenen vergessen, hatten die Bunker vergessen, die zusammenbrechenden Häuser“, schreibt er in seinem 1951 erschienenen Roman „Tauben im Gras“.

Zwei Vereine sorgen dafür, dass die Bunker-Geschichte nicht in Vergessenheit gerät

Weg vom Marktplatz, weiter zur Heilbronner Straße. Hier befindet sich ein weiterer Luftschutzraum, direkt neben dem Stuttgarter Hauptbahnhof. Auch dieser Teil der Stuttgarter Unterwelt öffnet seine Pforten exklusiv zur Museumsnacht. Der Stollen war 2016 zum ersten Mal überhaupt bei der Langen Nacht erlebbar.

Wer mehr über die Historie dieses Raumes wissen will, dem sei ein Gespräch mit Norbert Prothmann ans Herz gelegt. Prothmann ist Mitglied des Vereins Forschungsgruppe Untertage. Der Verein, dessen Vorsitzende Prothmanns Frau Sabine ist, trägt genauso wie der Zusammenschluss Schutzbauten Stuttgart entscheidend dazu bei, dass ein wichtiger Teil der Geschichte nicht in Vergessenheit gerät.

Bis zu 1200 Menschen fanden im Stollen an der Heilbronner Straße Unterschlupf

„Im Stollen an der Heilbronner Straße sind drei Phasen erlebbar: die Vorkriegszeit, weil der Stollen vor Kriegsbeginn 1939 gebaut wurde, der Weltkrieg und schließlich noch der Kalte Krieg, weil aus dieser Zeit die neuen Zugänge stammen“, erklärt Prothmann. Der Stollen erstreckt sich auf rund 165 Meter Länge. Bis zu 1200 Menschen fanden hier Unterschlupf. Für die Toiletten gab es kein fließendes Wasser, stattdessen stand ein Eimer mit Torf neben Schüsseln. „Wenn ich das jungen Besuchern zeige, sagen die, das ist ja wie auf einem Festival“, erzählt Prothmann und führt seine Besucher vorbei an historischen Aufnahmen vom zerbombten Stuttgart wieder zurück ins Freie.

Der dritte und letzte Bunker, der bei der Museumsnacht besichtigt werden kann, ist der einzige der drei Luftschutzräume, der auch heute noch das ganze Jahr über genutzt wird – zum Glück allerdings ganz anders, als der Raum einst konzipiert wurde. Die Weinmanufaktur Untertürkheim nutzt den Schutzbau als Lager für Wein und für die Produktion von Sekt, der hier nach der traditionellen Champagner-Methode, also handgeschüttelt, hergestellt wird.

Der Bunker in Untertürkheim wird heute von der Weinmanufaktur genutzt

Gebaut wurde der Bunker im Jahr 1943, „weil Untertürkheim wegen der Fabrik von Daimler unter heftigem Beschuss stand“, erklärt Carolin Poppe von der Weinmanufaktur. Poppe ist bei den Winzern für Marketing und Events zuständig. Im ehemaligen Bunker finden heute unter anderem Weinproben statt. Die historische Komponente ihres ungewöhnlichen Arbeitsplatzes nimmt sie nicht mehr bewusst wahr.

Für sie zählen eher die praktischen Aspekte des Ortes: „Für die Weinlagerung ist der Ort ideal. Wir haben hier durchgehend zehn Grad, egal ob im Sommer oder im Winter“, so Poppe. Und tatsächlich: Die Trollinger-Fässer und die Sektflaschen-halter nehmen dem historischen Ort seinen Schrecken, ohne ihn zu banalisieren. Doch wer genau hinschaut, findet sie noch, die Spuren des Krieges: den Schriftzug, der auf die Gasschleuse hinweist, die Typografie, die einen Sitzplatz „nur für Gehbehinderte“ ausweist. Der Schrecken der Geschichte, er wird erfahrbar in drei ganz unterschiedlichen Bunkern in Stuttgart.