Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes hat Kritik an der Speicherung von Telefondaten geübt. Die Vorratsdatenspeicherung „stellt eine ernsthafte Beeinträchtigung des Grundrechts auf Privatsphäre dar“.

Brüssel - Die Wortwahl lässt keinen Interpretationsspielraum: Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2006, die der Terrorbekämpfung dienen soll, „stellt eine ernsthafte Beeinträchtigung des Grundrechts auf Privatsphäre dar“. So schreibt es der EU-Generalanwalt Cruz Villalón aus Spanien in seinem Rechtsgutachten für den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der in den kommenden Monaten abschließend urteilen wird. In den meisten Fällen folgen die Luxemburger Richter der Einschätzung des Generalanwalts. Dazu gehört auch, dass er die Richtlinie für „unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ hält.

 

Villalóns Kritik konzentriert sich auf drei Bereiche. Erstens stellt er fest, dass die Verpflichtung der Telekomunternehmen zur anlasslosen Speicherung aller Kommunikationsdaten ihrer Kunden „ein vollständiges und genaues Bild ihrer privaten Identität“ ermöglichen. Über diesen staatlichen Eingriff hinaus bestehe „ein erhöhtes Risiko, dass die gespeicherten Daten für unrechtmäßige Zwecke verwendet werden könnten“. Diese Gefahr steige dadurch, dass die Richtlinie nicht vorschreibt, dass die Daten im betreffenden Mitgliedstaat verwahrt werden müssen. Sie könnten somit sogar an einem Ort zusammengeführt werden. Zweitens bemängelt das Gutachten die fehlenden Rechtsgarantien für die Bürger. Da den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, aufgrund welcher Verdachtsfälle und unter welchen Bedingungen sie den Datenpool anzapfen, fehlt ein einheitliches Mindestmaß an Schutz. Drittens hält der Generalanwalt die maximal zulässige Speicherdauer von zwei Jahren für zu hoch.

„Befreiungsschlag für die Bürgerrechte“

Diese Probleme wurden vor zwei Jahren auch von der EU-Kommission identifiziert – wobei die Sprache nicht halb so drastisch ausfiel. Noch am Donnerstag wollte der Sprecher der zuständigen Kommissarin Cecilia Malmström nur von der „Notwendigkeit, die Richtlinie zu verbessern“ reden. Man habe bisher keinen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgelegt, weil man erst die Verhandlungen über die geplante EU-Datenschutzverordnung habe abwarten wollen . Dort allerdings steht eine Einigung der Mitglieder noch in den Sternen.

Der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht, der von einem „Befreiungsschlag für die Bürgerrechte“ sprach, sieht für eine solche Verbesserung keinen Raum mehr. Nun müsse die Vorratsdatenspeicherung in der EU sofort abgeschafft werden. Allerdings sagt der Generalanwalt ebenso deutlich, dass das Sammeln von Verbindungsdaten zur Verhinderung von Anschlägen unter veränderten Rahmenbedingungen sehr wohl „legitim“ und sogar „notwendig“ sein kann.

Brüssel verklagte Deutschland auf Strafzahlungen

Welche Folgen die jüngste Entwicklung für das im Mai 2012 von der EU-Kommission gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren hat, ist noch nicht abzusehen. Die Bundesrepublik war von der Brüsseler Behörde auf Strafzahlungen verklagt worden, weil Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sich weigerte, die EU-Richtlinie umzusetzen. Allerdings wird das Verfahren angesichts der vertrackten politischen Gemengelage offenbar nicht mit Hochdruck verfolgt. „Es gibt noch nicht einmal einen Termin für die mündliche Anhörung“, sagte der EuGH-Sprecher Hartmut Ost. Ein Urteil zur EU-Richtlinie wird dagegen in drei bis sechs Monaten erwartet.

Die neue Koalition in Deutschland steht nun vor einem Dilemma. Sie hatte sich darauf verständigt, die EU-Richtlinie endlich umzusetzen. Das hatte die FDP bisher verhindert, womit sich Berlin eine Klage der EU einhandelte. Was die schwarz-rote Koalition anstrebt, wäre mit der Datenspeicher-Richtlinie in bisheriger Form allerdings nicht vereinbar. Auf Drängen der SPD wurde vereinbart, die Speicherfrist auf drei Monate zu begrenzen. Die Richtlinie schreibt aber vor, die Daten mindestens sechs Monate zu speichern. Deutschland hat deshalb ein Interesse, die Vorschrift in entscheidenden Details zu ändern, so wie es der EU-Generalanwalt empfiehlt.

„Auch im Koalitionsvertrag steht, dass man die Vorratsdatenspeicherung sehr restriktiv umsetzen möchte und für eine Verkürzung der Speicherfrist eintreten will“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums: „Das sehen wir bestätigt.“ Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom März 2010 enge Grenzen für die Vorratsdatenspeicherung festgeschrieben. Demnach ist das Speichern nicht grundsätzlich mit dem Grundgesetz unvereinbar. Die Sicherheitsbehörden dürften auf die Daten aber nur in Fällen schwerster Kriminalität und bei erheblichen Gefahren zugreifen. Das wollen Union und SPD berücksichtigen. Im Koalitionsvertrag sind drei Bedingungen für einen Zugriff auf die heiklen persönlichen Daten genannt: Erlaubt soll das nur bei schweren Straftaten sein sowie „zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben“. Zudem müsse ein Richter solche Aktionen der Sicherheitskräfte in jedem Einzelfall genehmigen.