Die Waiblinger Siechenhauskapelle gehört zu den wenigen Gebäuden, die den Stadtbrand von 1634 überstanden haben. 40 Jahre diente das Kirchlein als Vereinsheim. Nach dem Auszug des Vereins nimmt der Heimatverein das Kleinod genauer unter die Lupe.

Waiblingen - D
as Innere der Siechenhauskapelle in Waiblingen erinnert ein wenig an eine Sauna: Die steinernen Wände aus dem Jahr 1473 sind komplett mit Holzbrettern verkleidet, im hinteren Bereich des denkmalgeschützten Kirchleins thront eine Bar. Bis zum Frühjahr hat die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) die Kapelle am Kätzenbach rund 40 Jahre lang als Vereinsheim genutzt. „Wir müssen sehen, was der Rückbau zu Tage bringt“, sagt der Hobbyhistoriker Reinhold Kießling über das betagte Gebäude, das zu den wenigen in Waiblingen gehört, die den verheerenden Stadtbrand im Jahr 1634 überstanden haben.

 

Schon allein diese Tatsache gibt der Kapelle in der Stadt eine besondere Stellung. Doch möglicherweise hat die kleine Kirche, die gegenüber dem 1973 abgerissenen Siechenhaus am Kätzenbach stand, auch das Zeug, um weit über Waiblingen hinaus Furore zu machen. Denn sollte sich herausstellen, dass die Zwischenwand, welche die Bar von den Toiletten trennt, aus dem Mittelalter stammt und Mauerdurchbrüche, sogenannte Hagioskope, aufweist, dann wäre das eine Sensation.

Eine Siechenempore wäre ein Alleinstellungsmerkmal

Im Mittelalter boten solche Lepraspalten Aussätzigen die Möglichkeit, vom Freien ins Innere der Kirche hineinzuschauen und am Gottesdienst teilzunehmen – mit einem Sicherheitsabstand zu den gesunden Gemeindemitgliedern. Eine Lepraspalte an sich wäre also keine Besonderheit. Doch Schlitze in der Trennwand innerhalb der Kapelle würden bedeuten, dass Leprakranke in Waiblingen nicht unter freiem Himmel stehen mussten, sondern sich in einem abgetrennten Raum in der Kirche aufhalten durften. „Das wäre ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt das Heimatvereinsmitglied Reinhold Kießling, der sich intensiv mit der Geschichte der Siechenhauskapelle und der Krankheit Lepra auseinandergesetzt hat. Er weiß von keiner anderen Kapelle, die mit einer solchen Siechenempore ausgerüstet war.

Vielleicht aber stellt sich beim Abtakeln der Wandverkleidung auch heraus, dass die Trennwand erst viel später eingebaut worden ist – so wie die Stuckdecke, die ein Waiblinger Handwerker Anfang der 1930er-Jahre eingezogen hat. Damals diente das Gotteshaus im Kleinformat als Versammlungsraum für die Hitlerjugend. In den Fünfzigern seien Selbstmörder dort aufgebahrt worden, erzählt Reinhold Kießling, von Mitte der Sechziger an musste die Kapelle als öffentliche Waschküche herhalten, schließlich wurde sie zum DLRG-Vereinsheim. Hinter den Holzpaneelen könnten sich durchaus noch Wandmalereien verstecken, über der Stuckdecke ist möglicherweise die uralte Holzdecke erhalten geblieben. Der Dachstuhl jedenfalls sei wohl das älteste abgezimmerte Exemplar in Waiblingen, sagt Reinhold Kießling.

Die Kapelle könnte zum Museum werden

„Wo das Projekt hinführt, wissen wir noch nicht genau“, sagt der Heimatvereinsvorsitzende Wolfgang Wiedenhöfer. Für eine künftige Nutzung gebe es aber viele Ideen, meint er: „Die Siechenhauskapelle könnte zum Beispiel als Ort für eine Ausstellung über die lange Geschichte der Krankenhäuser in Waiblingen dienen.“

Folgenreiche Volksseuche

Lepra
Die Infektionskrankheit Lepra gilt als eine der ältesten Seuchen und hat ihren Ursprung vermutlich in Ostafrika. Das Leprabakterium befällt die Haut und das Nervensystem. Es gibt noch keinen Impfstoff gegen die Krankheit, sie ist heutzutage aber mit einer Langzeit-Antibiotikatherapie heilbar oder beherrschbar.