Die Oscar-Verleihung am 4. März ging noch ohne weiteren Metoo-Vorwurf über die Bühne. Aber nun gibt es Anschuldigungen gegen John Bailey, den Präsidenten der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Die Lage ist heikel.

Hollywood - Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die jährlich die Oscars verleiht, hat in der Metoo-Debatte ein Signal gesetzt. Sie hat Verhaltensstandards für ihre Mitglieder verkündet, verbunden mit der Entschlossenheitsbekundung, schwarze Schafe aus dem illustren Club hinauszuwerfen. Am 14. Oktober hatte sie Harvey Weinstein ausgeschlossen, vor kurzem richtete sie eine Hotline für Opfer von Übergriffen ein. Der 75-jährige Präsident der Academy, der Kameramann John Bailey, wirkte zuversichtlich, das alles könnten wichtige Schritte zur Sittenänderung in der Branche sein. Seit einigen Tagen aber weiß man nun um einen neuen Beschuldigten: John Bailey selbst.

 

Wer ihn welcher Übergriffe beschuldigt, ist noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Durchgesickert ist aber, dass seit dem 14. März eine interne Untersuchung gegen den erst im vergangenen August ins Amt gewählten Bailey läuft. Damit ist schon einmal ein Teil der schönen Vorsätze der Academy Makulatur. Solche Prüfverfahren, hatte man sich vorgenommen, sollten zunächst streng intern und höchst diskret verlaufen, es sei stets möglich, dass da jemand zu Unrecht beschuldigt werde.

Fuchs und Hühnerhaus

Noch problematischer ist etwas anderes. Die Academy wollte als von vornherein unbelastete Schiedsinstanz auftreten. Baileys Position aber gibt ihm theoretisch Möglichkeiten zu Einflussnahme und weitgehendem Akteneinblick. Die Anwältin Lisa Maki, spezialisiert auf Klagen wegen sexueller Belästigung, hat im amerikanischen Branchenmagazin „Variety“ die Perspektive der Misstrauischen klar ausgedrückt: „Ein Fuchs kann nicht das Hühnerhaus bewachen.“

Ob der immanente Vergleich von Schauspielerinnen mit Hennen im Stall glücklich gewählt war, sei dahin gestellt. In Hollywood aber hat bereits jener Prozess reflexhafter Parteinahme begonnen, den man eigentlich hinter sich lassen wollte. Manche äußern sich öffentlich zu Bailey und bekunden dieser Gentleman, der unter anderem „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (1993) und „Besser geht’s nicht“ (1997) fotografiert hat, könne unmöglich rüder Übergriffigkeiten schuldig sein. Andere verlangen wie Maki eine sofortige unabhängige Untersuchung durch Kräfte von außen.

Forderung nach Rücktritt

John Bailey selbst hat bereits David Schindler geheuert, einen der Spitzenanwälte Hollywoods. Einerseits ist das nur verständlich, sollte er zu Unrecht angegangen werden. Andererseits entspricht es, will man das Ganze skeptisch sehen, dem alten Muster, klagende Opfer mit der Güteklasse der eigenen Rechtsbeistände und den möglichen Kosten eines Verfahrens einzuschüchtern. Die Festivalmacherin, Journalistin und Bloggerin Melissa Silverstein, deren Blog „Women and Hollywood“ im Gefolge der Metoo-Debatte an Reichweite und Bedeutung gewonnen hat, fordert jedenfalls bereits den Rücktritt von Bailey: Nur so sei eine saubere Untersuchung möglich.