Noch nie gab es in Deutschland so viele rührselige Werbespots rund um Weihnachten. Vorbild ist England, wo es jedes Jahr einen regelrechten Hype um die kurzen Streifen gibt.

Stuttgart - Ein einsamer alter Mann, der Weihnachten wieder einmal alleine verbringen muss, gefilmt in tristem Grau, unterlegt mit Klaviermusik, zu der eine Frauenstimme Trauriges haucht – kennen wir alle, das ist doch der Weihnachtswerbespot von Edeka, oder? Mittlerweile muss man den Spot gar nicht mehr beschreiben, auf Youtube wurde er 43 Millionen Mal geklickt, in Blogs besprochen, in Feuilletons kritisiert und von den Comedians Joko und Klaas persifliert. Kurzum: Es dürfte in Deutschland kaum mehr jemanden geben, der den Spot nicht kennt.

 

Weniger bekannt ist jedoch, dass die Hamburger Werber von Jung von Matt vielleicht die erfolgreichsten, aber bei Weitem nicht die Einzigen sind, die einen Weihnachtswerbespot in diesem Stil kreiert haben. Die obige Beschreibung trifft nämlich auch auf einen aktuellen Spot der spanischen Lotterie und eine Werbung der englischen Kaufhauskette John Lewis zu. In Letzterem lebt ein alter Mann einsam auf dem Mond, nur ein kleines Mädchen nimmt ihn durch ein Teleskop wahr. Am Ende gibt es ein Geschenk. Rührung, Anteilnahme, Klickzahlen – so simpel ist Weihnachtswerbung, verkürzt gesagt.

 

Bei all jenen Werbespots, die in jüngster Zeit in den Medien besprochen wurden fällt eines auf: eigentlich sind es gar keine Werbespots, sondern kleine, rührselige Familiengeschichten, an deren Ende kurz noch das Produktlogo eingeblendet wird. Die Botschaft ist der Konsum, aber transportiert wird sie von der Emotion. „Zu viel Produkt in einem Weihnachtswerbespot wird als hinderlich angesehen“, sagt Matthias Harbeck, Geschäftsführer Kreation bei der Münchner Agentur Serviceplan Campaign. Harbeck ist verantwortlich für die Sky-Werbung, in der ein kleiner Junge einen Knopf als zweites Auge für seinen Teddy sucht, damit der endlich wieder vernünftig mit ihm zusammen Pay-TV schauen kann.

Die Spots, die oft zwischen zwei und drei Minuten lang sind, sollen ihr Publikum auch nicht klassisch über das Fernsehen erreichen, sondern viral über die sozialen Medien. Das ist günstiger als TV-Werbung, die im vierten Quartal traditionell teurer wird, erklärt Cordelia Wagner von IP Deutschland, dem Werbevermarkter für die RTL-Gruppe. Das liege zum einen an der erhöhten Nachfrage, zum anderen daran, dass im Winter mehr Leute fernsehen, so dass auch die Reichweite steigt.

Der Coca-Cola-Weihnachtsmann hätte keine Chance

Klassische, produktzentrierte Weihnachtswerbung wie noch vor ein paar Jahren – Stichwort Coca-Cola-Weihnachtsmann fährt mit seinem Coca-Cola-Laster durch das Winterzauberland – hätte im Internet keine Chance, meint der Werbefachmann Harbeck. Auch Konsumkritik oder postmoderne Ironie treffe nicht den Zeitgeist. „Wir leben in rührseligen Zeiten“, sagt Harbeck. Je ungemütlicher die weltpolitische Situation werde, desto mehr bestünde ein Bedürfnis nach Heimeligkeit. Einziges Problem: wenn jeder mit den Rührbröckchen wirbt, wirkt es schnell beliebig. Und so machen es der Otto-Versand, die Telekom, Penny, Sky und Edeka. „Das war in dieser Häufung schon etwas überraschend“, sagt Harbeck. Er schätzt, dass es im nächsten Jahr mehr Variation geben wird, beispielsweise auch lustige Werbung mit Tieren, wie es aktuell die englische Supermarktkette Sainsbury’s mit einem Kater macht, der ein ganzes Haus zerlegt.

Ein Vorbild für die Werbetreibenden in Deutschland ist nämlich die Branche in England. Dort werden die Weihnachtswerbespots von John Lewis oder Sainsbury’s jedes Jahr freudig erwartet und besprochen. Für Harbeck ist ein Spot aus dem Jahr 2011 so etwas wie „die Mutter aller aktuellen Weihnachtswerbespots“. In dem Clip namens „The long Waiting“ geht es um einen kleinen Jungen, der es kaum aushält, bis Weihnachten zu warten. Dann kommt die Pointe: er hat nicht auf die eigenen Geschenke gewartet, sondern darauf, seinen Eltern etwas zu schenken. Klaviermusik, Rührung, sieben Millionen Klicks – so geht Werbung heute.