Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm ermahnt Daimler zu mehr Kooperationsbereitschaft bei der Regulierung prekärer Arbeit. Bezirksleiter Jörg Hofmann sieht auch die Arbeitnehmervertreter gefordert, für klare Kriterien zu sorgen.
Stuttgart - Den Gewerkschaftsführern sind Werkverträge seit gut einem Jahr als großes Problem bewusst, weil sie Lohndumping befördern können. Die neuen Branchenzuschläge in der Zeitarbeit verschärfen die Brisanz noch – immer mehr Unternehmen versuchen die teurer gewordene Leiharbeit auch mit Werkverträgen zu umgehen. Doch erst eine in der ARD ausgestrahlte Dokumentation, verdeckt aufgenommen bei Daimler in Untertürkheim, bringt Dynamik in die Debatte.
Ein SWR-Reporter hatte sich von einem Dienstleister der Zeitarbeitsbranche anstellen lassen, der ihn an die Spedition Preymesser verlieh. Doch wurde er nicht für Transportarbeiten eingesetzt, sondern am Fließband des Mercedes-Werks, wo er angeblich die gleichen Arbeiten ausübte wie Stammbeschäftigte. Möglich machte dies ein Werkvertrag zwischen Daimler und der Zeitarbeitsfirma. Der Haken: der verdeckt arbeitende Reporter erhielt vom Dienstleister in der untersten Lohnstufe 8,19 Euro pro Stunde. Hätte Daimler ihn direkt in der Produktion eingestellt, hätte er 17,80 Euro bekommen – so viel wie ein neu eingestellter Stammmitarbeiter. Hinzu kommt: bei Monatsverdiensten von 1220 Euro brutto besteht Anspruch auf Hartz-IV-Aufstockungsleistungen – also muss der Staat einspringen.
Nun ist ein Streit zwischen Daimler, Preymesser und SWR über etwaige Verfehlungen und die Umstände der Recherche entbrannt. Zudem müssen sich die Arbeitnehmervertreter gegen Vorwürfe wehren, dass sie nicht fähig oder gar willens seien, derartige Fälle zu verhindern – etwa um die Stammbelegschaft zu schützen. Am Freitag versandte Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm eine Stellungnahme an knapp 100 000 Mitarbeiter, wonach „viele Beschäftigte empört darüber sind, dass so etwas bei uns in der Fabrik möglich ist, aber auch darüber, dass (. . .) allein Daimler an den Pranger gestellt wurde“. Schließlich habe man die härtesten Regeln zur Regulierung von Leiharbeit erstritten. Bei den Werkverträgen hingegen fehle jede gesetzliche Basis für eine Einflussnahme der Betriebsräte. Es gebe keine Informationspflicht des Unternehmens. Dennoch sei eine Pilotvereinbarung für die Entwicklung erzielt worden, so dass dem Betriebsrat die Zahl der Werkverträge genannt werden müsse. Zudem könne konkret überprüft werden, ob es sich um einen rechtlich korrekten Vertrag handelt.
Hofmann: Gewerkschaften und Politik sind gefordert
Immer öfter werden einfache Tätigkeiten mit Hilfe von Werkverträgen aus der Wertschöpfungskette ausgelagert. „Das ist eindeutig der Trend“, sagt der IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann im StZ-Gespräch. Es gebe aber unterschiedliche Niveaus – „auch dadurch, dass wir es unterschiedlich gut geschafft haben, solche Auslagerungsprozesse zu verhindern“. Bei Daimler sei dies an einigen Standorten gelungen, in anderen Betrieben weniger. Nun sieht er die Gewerkschaften und die Politik gefordert, indem sie die Abgrenzung zwischen Leiharbeit und missbräuchlichen Werkverträgen klarer definieren. Die Arbeitgeber würden die missbräuchlich genutzten Werkverträge mit den von der Gewerkschaft akzeptieren Formen vermischen und alle als gefährdet hinstellen. Deshalb sähen sie ihre Entscheidungsfreiheit bedroht und blockierten jegliche Form der Regulierung. Hofmann zufolge braucht es daher weitere Ansätze wie die Vereinbarung bei Porsche vom Herbst, in der Kriterien für Werkverträge und den Umgang damit formuliert seien. Bei VW und Audi würden die Betriebsräte laufend über Fremdvergaben informiert. „Das wäre das Mindeste“, sagt der Bezirksleiter.
Selbst die Personalchefs der Unternehmen hätten keine Übersicht, wie viele Werkvertragsbeschäftigte im Betrieb seien. Dank der Medienberichte wachse auf Seiten der Arbeitgeber aber die Einsicht, „dass Integrität und Compliance als hehre Unternehmensziele andere Verfahren brauchen, als dass die Abteilung Einkauf irgendwelche Menschen bestellt“. Es brauche „die öffentliche Skandalisierung“, um den Handlungsdruck zu verstärken. Das sei bei der Leiharbeit genauso gewesen.
Zudem hätte die damalige Kampagne die Betriebsräte sensibilisiert – sie würden nun genauer auf Missbrauch achten. „Hingucken statt weggucken – das haben wir bei der Leiharbeit geschafft“, sagt Hofmann. „Das wollen wir auch bei den Werkverträgen erreichen.“ Dafür sei aber viel „Vorfeldrecherche“ nötig, wer da alles im Betrieb tätig sei. Für die Tarifpolitik sieht er noch keinen konkreten Ansatz. Man könne die Informationsrechte tariflich regeln, aber das ginge nicht von heute auf morgen. Bei der Leiharbeit habe die IG Metall auch fast zwei Jahre gebraucht, um sie in aller Klarheit herauszuarbeiten und zu regulieren.