Die Kommunalverbände kritisieren die Ausweitung von Bürgerentscheiden auf die Bauleitplanung. Daran scheiterte schon manches Baugebiet. Ein Massenphänomen ist es nicht.

Stuttgart - Vor drei Jahren, noch zu grün-roten Regierungszeiten, hat der Landtag die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene ausgeweitet. Seither sind auch Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zulässig, die sich gegen den Aufstellungsbeschluss für einen Bauleitplan richten – also gegen Flächennutzungspläne und die sich daraus ableitenden Bebauungspläne.

 

Trägt direkte Demokratie zur Wohnungsnot bei? Oder anders formuliert: Verhindern Bürgerbegehren und Bürgerentscheide die Ausweisung und Erschließung von Baugebieten, also den Wohnungsbau?

Diese Frage wird seit einiger Zeit immer intensiver aufgeworfen. Gemeindetagspräsident Roger Kehle warnt vor einem Marsch in die „Verhinderungsdemokratie“, in der wortgewaltige Anwohner aus Eigennutz alles zu hintertreiben trachten, was das eigene Wohlbefinden beeinträchtigen könnte. Der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz, Präsident des Städtetags, problematisierte jüngst das Spaltpotenzial, das direktdemokratische Verfahren in den Kommunen entfalten können: Wie aus Freunden Feinde werden.

Nach Einschätzung des Wirtschaftsministeriums in Stuttgart können Bürgerbegehren zu Bauleitplanungen „durchaus ein Hemmnis für die kommunalen Planungen“ sein. Allein die großzügige Antragsfrist von drei Monaten sei geeignet, erhebliche Verzögerungen auszulösen. Ein „massenhaftes Auftreten von Bürgerbegehren“ gegen Wohnbebauung sei gleichwohl nicht zu vermelden. Allerdings weist Städtetags-Geschäftsführerin Gudrun Heute-Bluhm darauf hin, dass allein schon die Möglichkeit von Bürgerentscheiden mentale Blockaden bei den Gemeindeleitungen auslösen könne. Welcher Bürgermeister schätzt schon Ärger mit der Bürgerschaft? Die FDP-Landtagsabgeordnete Gabriele Reich-Gutjahr sagt: „Der schlichte Unwille zu baulicher Veränderung darf nicht dazu führen, Schutzregelungen als bloßen Verhinderungsmechanismus missbrauchen zu können.“

Wo Bürgerentscheide Wohnbau verhinderten

Direktdemokratische Verfahren gegen Wohnbebauung gibt es in großen und kleinen Gemeinden des Südwestens. In Freiburg läuft derzeit eine Unterschriftensammlung mit dem Ziel eines Bürgerentscheids gegen den geplanten Stadtteil Dietenbach, der in etwa 6000 Wohnungen – davon die Hälfte Sozialwohnungen – insgesamt 15 000 Menschen eine Heimat geben soll. Die Entscheidung des Gemeinderats war fast einstimmig gefallen, nur vier Stadträte der Fraktion Freiburg Lebenswert/Für Freiburg wandten sich gegen das Baugebiet. Deren Vertreter sagte: „Niemand muss hierher ziehen.“

Im benachbarten Emmendingen kippte vor zwei Jahren ein Bürgerentscheid einen neuen Stadtteil für 1500 Menschen. In Stutensee bei Karlsruhe scheiterte im Februar der Bau eines Wohngebiets mittels Bürgerentscheid. Im März wurde in Langenargen am Bodensee die Wohnbebauung eines 5600 Quadratmeter großen Areals im beschleunigten Verfahren per Bürgerentscheid im März gestoppt. In Wannweil (Kreis Reutlingen) fand im Juni ein kleineres Bauprojekt (mit Sozialwohnungen) ein Ende. In Mundelsheim (Kreis Ludwigsburg) hingegen scheiterte im Juli ein Bürgerentscheid gegen ein Neubaugebiet. In Mutlangen (Ostalbkreis) einigten sich die Anwohner mit dem Bauinvestor und zogen ihr Bürgerbegehren zurück.

Demokratie macht Mühe. Oder in den Worten von Gisela Erler (Grüne), der Staatsrätin für Bürgerbeteiligung: „Die Kosten und Anstrengungen der Demokratie müssen wir tragen.“ Insgesamt liege Baden-Württemberg, was die direkte Demokratie in den Kommunen angehe, bundesweit im Mittelfeld. In Bayern zum Beispiel gebe es überhaupt keine Fristen bei Bürgerentscheiden gegen die Bauleitplanung. Und doch würden dort Wohnungen gebaut. Wichtig ist Erler indes die Bürgerbeteiligung im Vorfeld von direktdemokratischen Entscheidungen, also die Einbindung der Bürgerschaft vor den eigentlichen Plebiisziten. Die Reform der Gemeindeordnung von 2015 werde jetzt vom Innenministerium evaluiert. Danach wisse man mehr.