Stuttgart ist für zahlreiche Arten wegen des Nahrungsangebots und der vielfältigen Lebensräume recht attraktiv. Das ist manchmal für Mensch und Tier gleichermaßen überraschend.

Stuttgart - Plötzlich ist der Dachs da: Er wollte wohl den abschüssigen Waldweg unterhalb des Fernsehturms überqueren und wird dabei von einem herannahenden Fahrrad überrascht. Nun sucht er sein Heil in Flucht und flitzt eine kurze Strecke vor dem Fahrrad her, bis er sich in den Graben und von dort in ein Entwässerungsrohr rettet. Eine solche Begegnung zwischen Radfahrer und Dachs ist zwar nicht alltäglich, aber dass sich Wildtiere und Menschen in dicht besiedelten Gebieten über den Weg laufen, ist mittlerweile normal. Dabei ist der Trend ungebrochen, den Biologen seit Jahren beobachten: Auch Arten, die früher den Menschen konsequent aus dem Weg gegangen sind, zieht es vom Land in die Stadt. Dort haben sie sich häuslich eingerichtet, wie das Beispiel der Stuttgarter Feldhasen anschaulich zeigt: Die Hasengemeinschaft im Rosensteinpark und im Schlossgarten gilt als die größte städtische Population in Deutschland.

 

Verwunderlich ist all dies nicht: „Städte bieten weniger Gift, keine nennenswerte Verfolgung, einen Reichtum unterschiedlichster Strukturen und vor allem keine Überdüngung“, erläutert der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) die Ursachen, warum „heutzutage die Städte mit Artenreichtum glänzen“, wie es die Naturschützer formulieren. Stuttgart ist dabei für viele Tiere besonders attraktiv: „Hier gibt es wegen der großräumigen Parkanlagen, der vielen Wälder und auch der zahlreichen Gartengebiete ein recht ausgeprägtes Wildtierleben“, berichtet Renate Kübler, die Leiterin der unteren Naturschutzbehörde beim Stuttgarter Umweltamt. Da fühlen sich auch Arten wohl, die hierzulande nichts zu suchen haben, Waschbären etwa. Oder Gelbkopfamazonen, die in ihrer mexikanischen Heimat stark bedroht sind.

Die Tiere passen sich an

Dabei passen sich die Tiere immer stärker an das Stadtleben an – und vor allem an die Nähe der Menschen. Dies zeigt sich zum Beispiel, wenn ein Reh nur sehr begrenzt Anstalten zeigt, einem nahenden Fußgänger aus dem Weg zu gehen: Dann liegt die sogenannte Fluchtdistanz oft nur bei wenigen Metern. Auch Stadtfüchse sehen in der Stadt meist keine großen Gefahren – solange man sich ruhig verhält. Wenn man sie aktiv erschreckt, können sie allerdings locker über den hüfthohen Zaun zum Nachbargrundstück hechten. Dabei stoßen gerade Stadtfüchse bei nicht wenigen Menschen auf Argwohn, vor allem wegen der Furcht, sich mit dem Fuchsbandwurm anzustecken. Hinzu kommt, dass immer wieder Hauskaninchen Opfer einer Fuchsmutter werden, die ihre Jungen versorgen muss. Daher empfiehlt sich ein rundum mit Maschendraht gesicherter Auslaufkäfig, wenn die Tiere im Garten gehalten werden. Neu ist, dass sich nun auch die Stuttgarter mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass künftig der eine oder andere Jungwolf durch die städtischen Wälder streift.

Während in anderen Großstädten wie Berlin Wildschweine immer wieder für viel Ärger sorgen, halten sich die Beschwerden über marodierende Schwarzkittel in der Landeshauptstadt noch in engen Grenzen: „Vor zwei Jahren hatten wir Wildschweine in den Außenbezirken, zum Beispiel in Botnang und Weilimdorf – aber derzeit ist es ruhig“, berichtet Stefan Praegert, der Leiter der Stuttgarter Jagdbehörde. Andererseits missfallen vielen Besuchern am Max-Eyth-See und in den Anlagen die Hinterlassenschaften der Gänse, die sich hier dauerhaft angesiedelt haben. Für diese Vögel wie auch die dort heimischen Enten gilt: Die Nähe des Menschen stört sie keineswegs, oft halten sie sich direkt an den Wegen auf.

Gefahr für heimische Arten

Nicht immer sind die Naturschützer über die neue Arteninvasion in die Städte glücklich. Sorgen bereiten zum Beispiel die vielen Rot- und Gelbwangenschildkröten, die unvernünftige Tierhalter in städtischen Gewässern ausgesetzt haben, weil sie der Tiere überdrüssig waren. In freier Natur stellen die gefräßigen Räuber aber eine Gefahr für die heimische Tierwelt dar. „Mittlerweile wurden diese Schildkröten bereits bei der Eiablage beobachtet“, weiß Renate Kübler. Doch insgesamt sind die Stuttgarter Umweltschützer recht zufrieden mit der städtischen Artenvielfalt.