Bauministerin Klara Geywitz will die Bauwirtschaft ankurbeln – und hofft, dass die Nachfrage ab 2025 wieder anzieht.

Klara Geywitz ist vielleicht die Ministerin, die in dieser Legislatur am meisten Pech hatte. 400 000 neue Wohnungen hat sie pro Jahr versprochen, doch kurz nach Amtsantritt stiegen die Bauzinsen und Rohstoffe verteuerten sich. Der Wohnungsbau brach ein. Im Interview versucht sie, dennoch Optimismus zu verbreiten.

 

Frau Geywitz, wissen Sie wie Wohnungsnot und die Dating-App Tinder zusammenhängen?

Ich bin auf dem Gebiet der Dating-Apps keine große Kennerin.

In manchen Großstädten sagen junge Menschen, es ist aussichtsreicher auf einer Dating-App jemanden zu finden, in den man sich verliebt und bei dem man dann einziehen kann, als sich regulär um eine Wohnung zu bemühen.

In einer Gesellschaft, in der es mehr Singles und Einzelhaushalte gibt und Bedarf nach kleinen Wohnungen, kann ich mir das vorstellen. Deswegen fördern wir ja den Neubau. Und wir stellen allein für den Bau und die Modernisierung von Studierenden- und Azubiwohnheimen in diesem Jahr 500 Millionen Euro zur Verfügung. Denn natürlich sind junge Menschen durch befristete Ausbildungsverträge und geringes Einkommen auf dem Wohnungsmarkt im Nachteil. Sie sollten sich bei Tinder darauf konzentrieren können, die Liebe ihres Lebens und nicht die Wohnung ihres Lebens zu finden.

Dennoch betrifft die Sorge um bezahlbares Wohnen nicht nur junge Leute, sondern frisst sich bis weit in die Mittelschicht hinein. Der Frust darüber wächst, doch in den vergangenen Jahren ist wenig passiert – und es gibt keine Aussicht darauf, dass das besser wird.

Dass wenig passiert ist, möchte ich deutlich zurückweisen. Wir haben eine Wohngeldreform gemacht, bei der Bund und Länder zusammen zusätzlich jährlich 3,6 Milliarden Euro aufgebracht haben, um Menschen schnell bei den Wohnkosten zu entlasten. Außerdem haben wir den sozialen Wohnungsbau wiederbelebt, in den jetzt 18 Milliarden Euro fließen. Aber gerade diese Förderung muss erst mal wirken, die neuen Wohnungen entstehen ja nicht über Nacht.

Manche Experten sagen, wenn wir den vorhandenen Wohnraum besser verteilen, dann bräuchten wir gar nicht so viel Neubau. Pro Person wohnt jeder Mensch in Deutschland auf rund 47 Quadratmetern, ältere Menschen statistisch gesehen auf deutlich mehr Fläche.

Das stimmt natürlich. Nach dem Krieg hatte ein Deutscher durchschnittlich 20 Quadratmeter Wohnfläche gehabt, heute liegen wir bei fast 50 Quadratmetern. Das liegt auch daran, dass es einen Mangel an barrierefreie Wohnungen gibt, in die Menschen im Alter umziehen können. Es gibt zu wenige gemischte Quartiere, sondern vielfach Monokulturen von Einfamilienhäusern. Viele würden sich verkleinern, finden aber in ihrem Viertel nichts, was für sie adäquat ist. Architekten und Bauherren sollten das möglichst mitdenken, dass Häuser an einen veränderten Bedarf angepasst werden können.

Wie soll das gehen?

Wenn eine Familie mit drei Kindern in einem Einfamilienhaus wohnt, ist der Platz super genutzt. Aber wenn die Kinder aus dem Haus sind, stehen Zimmer leer. Helfen würde es, wenn man Häuser von vorneherein mit zwei Eingängen und zwei Bädern plant, damit man später eine separate Wohnung schaffen kann – die dann etwa vermietet wird.

Wer nimmt denn heute Zigtausende Euro Mehrkosten in Kauf, damit er in 20 Jahren einen Teil des Hauses vermieten kann?

Wer richtig rechnet, wird feststellen, dass sich das durch die späteren Mieteinnahmen lohnt. Wir müssen Häuser stärker über ihren gesamten Lebenszyklus betrachten, auch beim Klimaschutz.

Sie haben gerade vorgeschlagen, die Dämm-Standards nicht weiter zu verschärfen.

Genau. Denn aus meiner Sicht konzentrieren wir uns zu sehr darauf, was ein Haus verbraucht, wenn es fertig gebaut ist. Doch das meiste CO2 entsteht beim Bau. Die üblichen Baustoffe haben in der Regel einen hohen CO2-Fußabdruck. Man kann aber auch anders bauen oder alternative Produkte verwenden, mit denen die CO2-Bilanz eines Gebäudes deutlich gesenkt werden kann. Es gibt den Holzbau, den Lehmbau, es gibt aber auch innovative CO2-arme Herstellungsverfahren von z.B. Ziegel und Zement. Bislang wird auch nicht berücksichtigt, wenn man Recyclingmaterial oder gebrauchte Bauteile einsetzt. Doch im Sinne der Kreislaufwirtschaft ist dies sinnvoll. Noch ein Beispiel: Wenn meine Wärmepumpe mit Solarstrom vom eigenen Dach betrieben wird, dann ist es dem Klima egal, ob mein Haus dem härtesten Energieeffizienz-Standard entspricht oder einem weniger strengen.

Und wie kommen Sie damit bei Ihrem grünen Koalitionspartner an?

Mir scheint, dass man sich ernsthaft damit befasst. Öffentlich widersprochen hat bislang zumindest niemand.

Müssen wir anders wohnen, damit das Wohnen günstiger und klimafreundlicher wird?

Das kann man nicht per Gesetz vorgeben, aber diskutieren muss man es. Ist eine größere Wohnung immer besser als eine kleinere? Nein. Kann es angenehmer sein, auf einem kleineren, individuellen Grundriss zu wohnen und mehr Gemeinschaftsflächen zu haben? Auf jeden Fall. In Wien teilt man sich in Siedlungen etwa Gästeapartments. Denn seien wir ehrlich, die meiste Zeit des Jahres wohnt in einem Gästezimmer das Bügelbrett. Und lebenswertes Wohnen in der Stadt und auf dem Land ist etwas völlig anderes.

Was ist denn aus Ihrer Sicht gutes Wohnen auf dem Land?

Wir müssen sicherstellen, dass es Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte und schnelles Internet gibt, damit Menschen im Homeoffice arbeiten können. Entscheidend ist auch, dass man mobil ist – und zwar nicht nur mit dem Auto, sondern auch mit Bus und Bahn. Verkehrsminister Volker Wissing tut viel dafür, dass sich das bessert. Es ist durchaus wünschenswert, dass mehr Menschen aus den Städten aufs Land ziehen. Denn man darf man nicht vergessen: Es gibt auch Regionen mit viel Leerstand. Und es ist natürlich vernünftig, wenn man vorhandenes Potenzial besser nutzt.

Sie wollen der Bauwirtschaft unter die Arme greifen. Was schwebt Ihnen vor?

Wegen der hohen Zinsen gibt es kaum neue Aufträge und eine richtige Schockstarre in der Branche. Ich hoffe, dass die Nachfrage 2025 wieder anzieht, aber vorher brauchen wir einen Wachstumsimpuls. Dazu gehört: Das Bauen muss günstiger werden. Wir müssen etwa an die Baustandards ran, denn in Deutschland tendieren wir dazu, immer die Goldrandlösung zu suchen. Aber es geht auch darunter. Aber nicht nur die höheren Zinsen und gestiegenen Materialkosten sind ein Problem, sondern auch die Kaufnebenkosten. Dass viele Bundesländer in den Boom-Jahren die Grunderwerbsteuer so stark erhöht haben, macht es der Branche jetzt umso schwerer.

Was halten Sie von der Idee, die Bindefrist von Sozialwohnungen aufzuheben?

Um günstige Wohnungen zu schaffen, die günstig bleiben, wollen wir eine neue Wohngemeinnützigkeit schaffen. Das gab es früher in der alten Bundesrepublik und davon könnten auch heute viele Menschen profitieren. Dazu laufen aktuell die Abstimmung mit Finanzministerium und Bundestag.

Sie sind mitverantwortlich für das Heizungsgesetz, das im September vom Bundestag beschlossen werden soll. Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler hat schon angedroht, das Gesetz nochmals zu verschieben und zusammen mit der Wärmeplanung im Herbst zu beraten. Was halten Sie davon?

Das parlamentarische Verfahren liegt in den Händen der Abgeordneten. Die Bundesregierung hat jetzt den Gesetzentwurf zur kommunalen Wärmeplanung beschlossen. Beide Gesetze sollen ja zeitgleich zum 1. Januar 2024 in Kraft treten. Herr Schäffler kann sich jederzeit mit dem Wärmeplanungsgesetz auseinandersetzen, bevor er dem Heizungsgesetz zustimmt.

Vorbehalte gegen das Heizungsgesetz gibt es immer noch, gerade weil es oft nicht reicht, die Heizung zu tauschen. Vielfach braucht es neue Fenster und Dämmung. Überfordern Sie die Menschen?

Angesichts des Klimawandels können wir nicht weitermachen wie bisher. Und die Folgen des Klimawandels, etwa Starkregen und Überflutungen, betreffen auch Hausbesitzer und kosten viel Geld. Deshalb müssen wir handeln – stellen aber auch viele Milliarden an Fördergeld zur Verfügung.

Auch die EU forciert die Gebäudesanierungen und begründet dies mit dem Klimaschutz. Ist das in Ihrem Sinne?

Ich sehe die europäische Entwicklung mit Sorge, denn derzeit läuft der Vorschlag des Europaparlaments darauf hinaus, dass Menschen ihre Häuser zwangsweise sanieren müssen. Davor warne ich eindringlich. Deswegen setze ich mich dafür ein, dass Deutschland einen Sanierungszwang aus Brüssel verhindert. In den 1990er-Jahren hatten wir in Ostdeutschland eine Abwasser-Anschluss-Pflicht, das hat für soziale Dramen gesorgt hat. Deswegen sage ich: Wir sollen nationale Sanierungsziele haben, allerdings keinen Sanierungszwang.