Wohnungsnot in Stuttgart Bündnispartner kritisieren die Stadt

Das Olga-Areal im Stuttgarter Westen, wo früher die Kinderklinik Olgäle ihren Standort hatte ist, ist eines der größten Neubaugebiete in der Stuttgarter Innenstadt in der jüngeren Vergangenheit. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Das 2016 gegründete Stuttgarter „Bündnis für Wohnen“ geht trotz klar verfehlter Ziele in die Verlängerung. Darauf hat sich OB Frank Nopper (CDU) mit den Partnern aus Wirtschaft und Interessenverbänden geeinigt. Wie bisher könne es aber nicht weitergehen, sagt Mietervereinschef Rolf Gaßmann.

Stuttgart - Die Stadt Stuttgart hat sich 2013 die „ambitionierte Zielzahl“ von mindestens 1800 neuen Wohnungen jährlich gesetzt; 600 davon im geförderten Wohnungsbau. Die Not könne aber nur „in Zusammenarbeit mit Wohnungsbauunternehmen, Baugenossenschaften und Interessenverbänden“ beseitigt werden, heißt es in der Präambel des 2016 geschmiedeten Bündnisses für Wohnen, das Ende des Jahres ausläuft. Dessen Bilanz ist durchwachsen, betonen Beteiligte, OB Frank Nopper (OB) hat die Teilnehmer dennoch zum Weitermachen überreden können.

 

Was sagen die Partner? Der Mieterverein weist darauf hin, „dass das Bündnis bei seiner letzten Sitzung Ende 2020 an deutlich geschrumpfter Beteiligung gelitten und man weder eine gemeinsame Bewertung diskutiert noch beschlossen“ habe. Der Vorsitzende Rolf Gaßmann kritisiert allzu kurzfristige Einladungen, in denen nur bereits gefasste Gemeinderatsbeschlüsse präsentiert worden seien. Der ehemalige OB Fritz Kuhn (Grüne) und die Verwaltung hätten die Partner zwar zu mehr Engagement aufgefordert, aber die eigenen Hausaufgaben nur ungenügend erledigt. Bevor ein „Bündnis 2.0“ an den Start gehen soll, brauche es eine kritische Bilanz, die Definition neuer Ziele und Klarheit darüber: „Wer arbeitet wie mit wem und welchem Ziel zusammen?“ Verwunderung löst deshalb eine Vorlage mit den wesentlichen Aufgaben aus der Vereinbarung von 2016 durch den städtischen Wohnungsbaukoordinator Stefan Hohbach aus. Nur ein Viertel von 39 Punkten sei so konkret formuliert, dass die Umsetzung auch von Unbeteiligten beurteilt werden könnte, so Gaßmann. Manche Punkte seien zwar umgesetzt, man erfahre aber nicht, ob sie etwas gebracht hätten. Josef Vogel von der Landesbaugenossenschaft Württemberg (LBG) befürwortet die Fortsetzung. Er hoffe immer noch auf schnellere Genehmigungsverfahren. Das ermögliche, Projekte schneller umzusetzen und damit günstiger zu bauen. Die Arge Stuttgarter Wohnungsunternehmen, ein Verbund von 17 Unternehmen mit 28 000 Wohnungen, „will auch künftig ihren Beitrag leisten, mehr bezahlbaren Mietwohnraum zu schaffen und zu erhalten“, sagt Jürgen Oehlschläger, der Vorstand des Bau- und Wohnungsvereins Stuttgart. Die Stadtverwaltung habe unter Nopper „ein erstes Zeichen gesetzt, die Wohnungssituation in Stuttgart ganzheitlich betrachten und zeitnah verbessern zu wollen“.

Welches Fazit zieht die Stadt? Man pflege „einen regelmäßigen und konstruktiven Austausch mit den Partnern zum Erhalt und zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum“, sagt die Stadt. Sie wertet es als Erfolg, dass die Partner keine Förderdarlehen mehr vorzeitig zurückgezahlt hätten, womit das Ende von Belegungsbindungen einhergegangen wäre. Die Stadt habe eigene Grundstücke vergeben, etwa im Baugebiet Langenäcker/Wiesert in Stammheim, in den Quartieren Rote Wand in Stuttgart-Nord, am Wiener Platz in Feuerbach und im Neckarpark. Zudem sei die SWSG stark bei der Entwicklung, etwa am vormaligen Bürgerhospital und auf den Bundesflächen in der Böckinger Straße in Zuffenhausen beteiligt. Als Erfolg wird die vorgesehene Wahlmöglichkeit zwischen Erwerb und Erbbaurecht gesehen. Für LBG-Vorstand Vogel ist das Erbbaurecht trotz besserer Konditionen weiter keine Alternative zum kreditfinanzierten Erwerb.

Wie sind die weiteren Aussichten? Die Stadt verweist auf die hohe Zahl von Baugenehmigungen, die eine Fertigstellungen binnen drei Jahren erwarten lassen, und den Bauüberhang, das sind die Wohnungen, die nicht im Jahr ihrer Genehmigung fertiggestellt wurden. Dieser betrage aktuell rund 5000 Einheiten, heißt es. Allerdings betrug der Überhang auch 2019 schon 4870 Wohnungen. 2018 und 2019 erreichten die Genehmigungen in Stuttgart mit 2102 und 2082 ein vergleichbar hohes Niveau. 2020 ist die Zahl der erteilten Baugenehmigungen aber auf 1582 Wohnungen gesunken. Es handele sich überwiegend um private Vorhaben, „auf welche die Stadt keinen direkten Einfluss nehmen kann“. Projekte wie die Bettfedernfabrik in Bad Cannstatt mit mehreren Eigentümerwechseln oder die Mittlere Wohlfahrt, wofür mehrere Artenschutzgutachten nötig seien, würden zeitintensiver.

Was muss besser werden? Der Mieterverein meint, OB und Verwaltung sollten mehr aus Projekten anderer Städte zu lernen versuchen: Hamburg baue mehr Sozialwohnungen, Ulm habe über eine Stiftung ein Drittel der Mietwohnungen in eigener Hand. Die Stadt benötige zudem eine offensivere Bodenvorratspolitik, müsse Leerstand und Zweckentfremdung bekämpfen. Organisatorisch hält man eine „Zentrale Fachstelle für soziale Wohnraumsicherung und -versorgung“ für zielführend. Arge-Sprecher Oehlschläger wünscht sich von den Ämtern eine schnelle und zuverlässige Erreichbarkeit zuständiger Stellen, eine Kommunikation auf Augenhöhe und Verbindlichkeit in den getroffenen Aussagen auf allen Ebenen. Wie der Mieterverein kritisiert auch Oehlschläger das Beharren auf die Innenentwicklung. Damit werde die Ausweisung großer Baugebiete am Stadtrand verhindert. Weitere Hemmnisse seien das geringe Angebot an Grundstücken mit qualifiziertem Baurecht, extreme Bodenpreis- und Baukostensteigerungen, die Überfrachtung öffentlicher Investorenwettbewerbe mit teilweise widersprüchlichen Anforderungen sowie aufwendige Genehmigungsverfahren, fehlende Ämterabstimmungen sowie Nachbarschaftseinsprüche.

Das Bündnis hat die Ziele nicht erreicht

Neubau
Im Jahr 2020 wurden statt der 1800 angestrebten lediglich 1546 Wohnungen gebaut. Abzüglich der Wohnheimzimmer (346) und dem Abriss (170) stehen nur 1034 zusätzliche Wohnungen in der Bilanz, davon gehen 242 auf das Konto der städtischen Wohnbaugesellschaft SWSG. Mit 1486 fertiggestellten Wohnungen wurden 2019 so wenig Wohnungen bezugsfertig wie zuletzt 2013 – und dann wurden noch 562 Wohnungen abgerissen; der Nettozugang lag damit bei 924 Wohnungen.

Sozialwohnungen
2019 wurden 373 Sozialmietwohnungen bezugsfertig. 2020 nur 101. Die Prognose für die nächsten beiden Jahre: 270 Sozialmietwohnungen in diesem Jahr und etwa 400 Sozialmietwohnungen im nächsten. Dabei muss berücksichtigt werden: In der städtischen Vormerkdatei befinden sich aktuell aber 4634 Suchende. 2020 waren gerade einmal 654 Haushalte vermittelt worden.

Belegungsrechte
Laut Mieterverein gehen bis 2028 Bindungen in 1000 geförderten Wohnungen verloren – so viele sind seit 2014 neu bezogen worden. Die städtische SWSG hat das Bündnisziel von 50 neuen Belegungsrechten pro Jahr erreicht, die Partner hinken mit lediglich 58 von 100 geplanten jährlich hinterher. Bis Ende 2020 haben die Bündnispartner für 486 Wohnungen neue Belegungsrechte zur Verfügung gestellt; davon haben 197 eine Belegungs- und Mietpreisbindung von bis zu 30 Jahren sowie einen Mietpreisabschlag von 33 Prozent von der zwar ortsüblichen, aber in jüngerer Vergangenheit extrem gestiegenen Vergleichsmiete (Mietspiegel). Die restlichen 289 Wohnungen sind auf zehn Jahre gebunden bei einer Miete von maximal 90 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete.

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