Kreativ, agil und vernetzt: Die Kunststiftung Baden-Württemberg gratuliert Wolfgang Kiwus, dem Stuttgarter Pionier der Computerkunst, zum Achtzigsten.

Stuttgart - Keilschrift? Hieroglyphen? Karolingische Minuskeln? Die Grafiken von Wolfgang Kiwus rufen Erinnerungen an unterschiedlichste Epochen der menschlichen Kulturgeschichte wach, trotzdem gehört alles zur Medienmoderne. Jedes Blatt ist algorithmischen Ursprungs. Neben Frieder Nake gilt Kiwus als Pionier der deutschen Computerkunst. Unlängst feierte der Wahlstuttgarter seinen achtzigsten Geburtstag, was die Kunststiftung Baden-Württemberg zum Anlass nimmt, ihn in ihrer Ausstellungsreihe mit berühmt gewordenen Ex-Stipendiaten zu präsentieren.

 

In der Werkauswahl aus fast vierzig Schaffensjahren vermittelt sich nicht zuletzt Technikgeschichte: Mit einem ratternden 9-Nadel-Drucker fing Kiwus an, mittlerweile nutzt er Laserdrucker oder Stiftplotter. Früher hat der Tüftler, um auch in Farbe arbeiten zu können, seine Geräte selbst umgebaut. „Obwohl die Bilder einen kalten, maschinellen Ursprung haben, sind sie spielerisch“, findet Bernd Georg Milla, der Geschäftsführer der Kunststiftung. Denn Kiwus nutzt die digitale Technik nicht, wie viele seiner Kollegen, als reines Zeicheninstrument. Standardsoftware verachtet er. Jede Komposition basiert auf einem eigens für sie geschriebenen Programm, wobei auch der Zufall mitmischt. Der Künstler, so Milla, wisse nie genau, wie das Endprodukt aussehe. „Als wir zusammen durch die Schau gegangen sind, entdeckte er in seinen eigenen Arbeiten plötzlich Dinge, die ihm noch gar nicht bewusst waren.“

Musik machte er mit Wolfgang Dauner

Ursprünglich hat Kiwus Musik studiert, gleichzeitig schrieb er aber auch Hörspiele und Gedichte. 1989 – damals gab es noch keine Altersbeschränkung – wurde er im Bereich Literatur Stipendiat der Kunststiftung. Mit den ersten Computern sei er durch eine Tätigkeit als Datenverarbeitungskaufmann in Berührung gekommen.

„Wichtige Impulse“, betont Milla, „kamen auch durch sein illustres Stuttgarter Netzwerk.“ Kiwus musizierte mit der hiesigen Jazz-Legende Wolfgang Dauner, stellte bei Wendelin Niedlich aus und las die Schriften des Philosophen Max Bense.

Dessen Grundsatz, wonach Kunst eine Form der Information darstelle, bildet auch den Schlüssel zum Verständnis von Kiwus’ künstlerischer Arbeit. „Ausgangspunkt der Grafiken“, erläutert Milla, „sind konkrete Texte, darunter ein Aufsatz von Bense selbst.“ Welche Vorlagen darüber hinaus Verwendung finden, gibt der Künstler indes nicht preis. Aus gutem Grund, schließlich möchte er die Schrift mit Hilfe des Computers wieder verrätseln. So entsteht ein geheimnisvolles Weltreich der Zeichen, das die autonome Schönheit von Kalligrafien annimmt.

In langen Zeilen gruppieren sich die filigranen Lineaturen. Bald lassen sie an Piktogramme denken, bald an eine Kurzschrift mit Häkchen und Schnörkeln oder an eine musikalische Partitur. Wiederholungen deuten an, dass es sich um ein logisches System handeln könnte. Dann wieder wird der Strich zittrig und schlägt in alle Richtungen aus wie auf einer informellen Zeichnung, obschon dem Künstler eigentlich alles Spontane fern liegt. Aber sicher sein, so Milla, könne man sich bei Kiwus nie: „Er legt gern falsche Fährten.“