Mit 19 Jahren ist er von der Stasi verhaftet worden. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer berichtet Mike Michelus nun vor Waiblinger Berufsschülern aus Zeiten der DDR.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Waiblingen - Zurzeit ist Mike Michelus noch mehr gefragt als sonst um diese Jahreszeit, obwohl er immer um den 9. November herum mehr Vorträge hält als unter dem Jahr. „Es ist der 30. Jahrestag des Mauerfalls. Ich habe allein in den Wochen drum herum 15 Termine.“ Mike Michelus erzählt über sein Leben in der DDR und wie es dazu kam, dass der heute 53-Jährige mit 19 Jahren von der Stasi verhaftet und zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt wurde. Wegen etwas, das so banal war, dass sein Fall im Nachhinein geradezu als kafkaesk erscheint.

 

Ein überzeugte kleiner Kommunist

Am Dienstag hat Mike Michelus vor Oberstufenschülern der Kaufmännischen Schule Waiblingen gesprochen. Diese waren noch lange nicht geboren, als 1989 die Mauer fiel. Dennoch hören drei Klassen der 13. Jahrgangsstufe gebannt zu, als der Bühnentechniker, der heute beim Theater Lindenhof in Melchingen auf der Alb arbeitet, seine Geschichte erzählt. Anderthalb Stunden dauert sein Vortrag. „Dass die Schüler so lange so ruhig durchhalten, will was heißen“, sagt die Schulleiterin und Geschichtslehrerin Birgit Bürk, die zusammen mit Kollegen ebenfalls zuhört.

„Meine geschiedene Mutter war Vollzeit berufstätig. Unsere Erziehung haben deshalb unsere Lehrer übernommen“, berichtet Mike Michelus aus seiner Kindheit. Die Lehrer waren zum größten Teil überzeugte Kommunisten. „Und ich wurde zu einem überzeugten kleinen Kommunisten.“ Alles war durchorganisiert in den Schulen der DDR. Die Kinder kamen zu den Jungen Pionieren, später zur FDJ. „Eines Tages sagte unser Klassenlehrer: Wir brauchen einen Agitator der FDJ. Michelus, das machst du.“

Ärger wegen einer Bluesmesse

Widerworte habe es nicht gegeben. Außerdem habe die Aufgabe des Agitators aus kaum mehr bestanden, als einmal in der Woche aus der Zeitung vorzulesen und mit den anderen Schülern zu diskutieren. Auch im Gymnasium erhielt er das Amt, er galt nicht nur als guter Schüler, sondern auch ideologisch als zuverlässig. Das sollte sich jedoch grundlegend ändern.

Ausgerechnet sein Amt brachte dem Schüler richtig Ärger ein. Ohne zu wissen, um was es sich bei einer Bluesmesse handelt, schrieb er im Gymnasium einen Aufruf an die Tafel, zusammen dorthin zu gehen. „Der Klassenlehrer, ein Parteifunktionär, wischte es weg und sagte zu mir: das wird Konsequenzen haben.“ Tatsächlich habe man ihm das Agitatorenamt entzogen, ohne mit ihm zu sprechen. „Ich wurde überhaupt nicht gefragt.“

Die Punkszene Ost war übersichtlich

Alles sei von anderen entschieden worden und mit der Zeit habe er sich innerlich von dem System verabschiedet. Kurz vor dem Abitur schmiss er die Schule, zog von zu Hause aus und schloss sich der Punkszene an. Diese umfasste in Ostberlin rund 50 junge Leute, ein Dorn im Auge des Regimes. „Sie haben Punks entweder abgeschoben oder sie verhaftet und von der BRD freikaufen lassen“, sagt Michelus. Ihm widerfuhr die zweite Variante.

Am 13. August 1986 begleitete er eine gute Freundin, die unbedingt aus der DDR abgeschoben werden wollte, zu einer provokativen Aktion. Mit Kalk schminkten sich die schwarz gekleideten Punks die Gesichter weiß und setzten sich, die Zeitung Neues Deutschland lesend, auf dem Alexanderplatz auf den Boden. „Bald waren wir von neugierigen Passanten umgeben und nach fünf Minuten kam ein Polizist und forderte uns auf mitzukommen.“

Die Tätigkeit staatlicher Organe behindert

Zu dem Zeitpunkt habe er sich keine Sorgen gemacht. „Ich dachte, die verhören uns und geben uns einen Verweis. Nach ein paar Stunden wäre das dann vorbei.“ Es wurden ein Jahr und drei Monate Gefängnis, ein Vierteljahr davon in Isolationshaft. „Nur bei den Verhören sprach jemand mit mir. Die fragten wochenlang immer das selbe, wie Automaten.“ Warum, das erfuhr er erst nach der Wende.

Die Verhörbeamten erhielten vorab einen Verlaufplan, der die Antworten enthielt, die im Protokoll stehen mussten. Erst wenn sie diese hatten, gaben sie sich zufrieden. „Mit einem Verhör in einem Rechtsstaat hat das nichts zu tun“, antwortet Michelus auf die Frage, was er von der Diskussion halte, ob man die DDR einen Unrechtsstaat nennen dürfe.

Der Strafrechtsparagraf, nachdem er und seine Freundin verurteilt wurden, erscheint ebenfalls zynisch: Beeinträchtigung der Tätigkeit von staatlichen Organen. Durch ihr Verhalten sei der Polizist gezwungen worden, seine normale Tätigkeit zu unterbrechen. „Wir wurden verurteilt, weil wir verhaftet worden waren.“