Für Robert Kagan ist die Zeit des „Wunschdenkens“ vorbei, es gelte, sich der „harten Realität“ zu stellen: Ein Sieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr sei mehr als möglich. „Eine Trump-Diktatur ist zunehmend unvermeidlich“, so die düstere Mahnung des amerikanischen Politikberaters und ehemaligen Republikaners, „Wir sollten aufhören, uns etwas vorzumachen.“
In einem langen Artikel in der „Washington Post“ hat Kagan ausgemalt, was nach einer Rückkehr Trumps ins Weiße Haus zu erwarten ist. Der Mann sei ebenso machthungrig wie rachedurstig. Er werde seine Gegner in Politik und Verwaltung, im Militär und in den Gerichten gnadenlos verfolgen. Demonstranten müssten damit rechnen, dass er das Militär gegen sie einsetze. Kritische Medien würden unter Druck gesetzt.
Was könnte Donald Trump stoppen?
Eine Hoffnung, dass die klassischen Ausgleichsgewichte der US-Verfassung gegen eine Übermacht des Präsidenten dann noch wirkten, gebe es kaum. Wenn Trump wieder gewinne, dann habe er bewiesen, dass ihm kein Impeachment-Verfahren, keine parlamentarische Untersuchung und kein Gerichtsprozess etwas anhaben konnten. Warum sollten sie ihn als Präsident im Amt ausbremsen, wenn sie ihn als Politiker ohne Amt nicht stoppen konnten?
Aus welchen Gründen die amerikanische Demokratie bis an diesen Kipppunkt kommen konnte, bis zum möglichen Übergang in eine Diktatur, ist für Kagan klar. Auf dem langen Weg des Donald Trump hin zur nahezu ungezügelten Macht habe es unzählige Möglichkeiten gegeben, ihn zu stoppen. Es hätte aber den beherzten, mutigen Widerstand vieler Menschen gebraucht, insbesondere in der Republikanischen Partei und bei ihren Unterstützern, sich Trump entgegenzustellen – unter dem Risiko, dafür die eigene politische oder berufliche Karriere zu gefährden. Aber es gab davon bisher zu wenige.
Vielen gilt Freiheit als selbstverständlich
Demokratien sterben eher selten mit einem großen Knall, durch einen Putsch oder eine Revolution. Wenn es mit ihnen zu Ende geht, dann oft schleichend, lange Zeit kaum spürbar. Vielen Menschen im sogenannten Westen gelten heute Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und ein demokratisches System als selbstverständlich.
Wir kommen aus einer Phase nach dem Fall der Berliner Mauer, in der es nach einem Triumphzug der Demokratie um die Welt aussah. Das ist vorbei. In vielen Staaten ist das demokratische System bedroht – durch äußere Mächte wie in der Ukraine oder Taiwan, durch innere Kräfte wie in den USA aber auch in vielen europäischen Staaten.
Eine der größten Stärken der Demokratie ist zugleich auch eine ihrer größten Schwächen: Ihre politischen Freiheiten und ihre Institutionen können prinzipiell von jedermann genutzt werden – auch von den Gegnern der Demokratie.
Das ist das unauflösbare Paradoxon der Demokratie, das tragisch enden kann, wie die Deutschen bereits bewiesen haben. Die Weimarer Republik war in ihrer Verfassung zu wenig darauf angelegt, Angriffe auf die Demokratie abzuwehren.
Die Selbsttäuschung der Steigbügelhalter
Und es waren zu wenige Demokraten da, die sich den Feinden der Demokratie entgegenstellten. Im Gegenteil: Es gab mehr als reichlich Anzugträger in Parlamenten, Ministerien, Gerichten und Unternehmen, die Hitler und seinen Getreuen die Türen öffneten. Viele dieser Steigbügelhalter redeten sich ein, es werde schon alles nicht so schlimm werden. Eine katastrophale Selbsttäuschung.
Joseph Goebbels, Reichspropagandaminister der NSDAP, schrieb 1935 einen Artikel mit der Überschrift „Die Dummheit der Demokratie“. Darin schildert er, wie es den Nazis gelang, die Weimarer Demokratie in kurzer Zeit auszuschalten. Wie die eigentlich juristisch verfolgbaren NSDAP-Führer durch ihren Abgeordnetenstatus in den Genuss der Immunität kamen. Wie sie der Staat, den sie bekämpften, mit Diäten, Büros und Freifahrkarten für die Bahn ausstattete.
„Einer der besten Witze der Demokratie“
„Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde.“ Man hört geradezu Goebbels höhnisches Lachen, als er diese Zeilen zu Papier brachte.
Im Deutschland von heute gibt es erneut Feinde der Demokratie, die ihre parlamentarischen Mandate nutzen, um andere Politiker, Parlamente und Verfassungsgerichte verächtlich zu machen. Es gibt wieder Parteien, die Missgunst sähen und Hass predigen. Und es gibt Menschen, die Deportationen von Nicht-Deutschen und ihnen missliebigen Deutschen planen – als hätte es die Verbrechen der NS-Zeit nicht gegeben.
Sie dürfen nicht noch einmal reüssieren, weil erneut zu viele ignorant gegenüber den Gefahren sind, zu feige oder den Wert der Demokratie zu gering schätzen.