Wann den Garten bewässern, Lavendel, Indianernessel und verblühte Margeriten schneiden? Der Garten ist ein Ort lustiger Kämpfe zwischen Mensch und Giersch. Doch er ist längst auch Avantgarde. Hier stellen sich zurzeit nämlich viele Fragen.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Es riecht würzig. Leicht bissig-scharf, fast wie Koriander. Das lockt die Besucher weiter hinein in diesen Garten, den Steinweg entlang, der sich zwischen den riesigen Staudenbeeten schlängelt. Wo man hinschaut, kleine Büschel, gelb, weiß, rosa, braun, zwischen grünen Gräsern. 30 000 Pflanzen wachsen auf dem Vitra-Campus in Weil am Rhein, der niederländische Designer Piet Oudolf hat den Garten angelegt. Und es ist nicht frei von Komik, wie sich die Besucher umständlich hinabbeugen, die Nase an eine der Blüten halten, eine der wenigen, in der gerade keine Biene oder Hummel sitzt. Woher kommt dieser Geruch? Nicht zu sagen. Vielleicht eine Mischung der Düfte.

 

Das rosa Mädesüß, der Salbei, der Strandflieder, die Blauraute oder die Monarde – alle verströmen betörende Gerüche, die Hunderte von Insekten anziehen. Hier wächst, was man früher für Unkraut gehalten hat. Ein kurioses Wort, das viel verrät über das Verhältnis des Menschen zu seinem Garten. Hauptsächlich, dass er den Garten nach seiner Nützlichkeit für ihn selbst bewertet. Was der Mensch nicht brauchen kann, was er nicht zuzuordnen imstande ist, ist kein (Heil-)Kraut, es ist im Gegenteil ein Unkraut.

Ein Zaun, eine Hecke, ein Beet machen den Garten zu einem kulturellen Ort

Und ein Garten ist ein Garten, weil er durch einen Zaun vor der Wildnis abgeschirmt wird. Manchmal sieht man am Rand der Wiesen und Wälder einen kleinen eingezäunten Bereich, da hat wohl jemand ein Gärtle geerbt, nutzt es am Wochenende. Drinnen ist das Gras grüner als draußen und frisch gemäht, es wachsen Johannisbeeren und Kirschbäume, in der Mitte thront ein Trampolin, und aus einer alten Badewanne strecken sich blasslila Blüten.

In solchen Wegrandgärten offenbart sich: Der private Garten ist weniger Natur als ein Stück Kultur. Gärten zählten zu den frühen Designleistungen der Menschheit, heißt es im Vitra-Katalog zur aktuellen Ausstellung „Garden Futures“. „Ein Zaun, eine Hecke, ein Beet machen aus einem Stück ungestalteter Natur einen kulturellen Ort mit einer bestimmten Intention.“

Es geht im Garten auch um Biodiversität, Klimawandel und koloniales Erbe

Wer selbst plötzlich Gartenbesitzer ist, staunt über die eigensinnige Dynamik des Wachsens und Verblühens. Er merkt bald oder glaubt, es zu merken, dass er hier Hand anlegen muss. Zumindest dann, wenn er sich darin bewegen, seinen Platz finden will, den Garten nutzen. So kam es zum Rasen als Monokultur, die seit jeher als Bühne für menschliche Aktivität dient. So ein Rasen soll nicht höher als 3,8 Zentimeter und frei von Unkraut sein, nur aus einer Sorte Gras bestehen, scharfe Kanten haben und eine einheitliche Farbe aufweisen.

Wer ans Gärtnern denkt, sieht vielleicht eine Hausfrau vor sich mit einem Schäufelchen in der Hand, sie kniet im Vorgartenbeet vor den Primeln, hat Geranien am Balkon und gießt sie selig am Sommerabend. Im Schuppen hat der Großvater kleine Schälchen mit Tomaten- und Blumensamen darin. Und vor dem Hortensienbeet sitzt die begüterte Familie loriothaft edel weiß gekleidet auf Rattanmöbeln. Überall angestaubte, bürgerliche Spießigkeit.

Nichts davon trifft es mehr. „Der Garten ist zum Ort der Avantgarde geworden“, erfährt man in der Vitra-Ausstellung. Es gehe an diesem Ort längst auch um Biodiversität, Klimawandel und koloniales Erbe. „Selbst der intimste Garten ist nie nur persönlicher Rückzugsort, sondern stets auch Zeugnis sozialer und historischer Entwicklungen, politischer und wirtschaftlicher Interessen und kultureller Wertesysteme.“ Gärten nachhaltig und trockenresistenter zu gestalten, wie Oudolf mit der Staudenanlage, Urban Gardening zu betreiben und Städte grüner zu machen, all das sind schließlich zentrale Themen dieser Zeit.

Lavendel, Indianernessel und Margeriten: Der Gartenbesitzer lernt die Pflanzen kennen

Und der kleine Gartenbesitzer? Die Pflanzen lernt er kennen mit all ihren Spleens, und eine interessante Entwicklung nimmt ihren Lauf. Die Hortensien sehen so schön aus! Brauchen aber im Hochsommer endlos Wasser. Die Tomatenpflanzen wollen gedüngt werden, sie sind gierig. Daneben wirkt die Zucchini als echter Kumpeltyp, sie wächst einfach überall und drängt ihre Früchte richtiggehend auf. Der Kürbis ist ein Querkopf, gedeiht aus dem Kompost heraus, er will sich von niemandem sagen lassen, wo er wachsen soll und wo nicht!

Und dieser Blumenhartriegel, ein kleiner Busch, nervt wahnsinnig in seiner kapriziösen Art. Er scheint sich einiges darauf einzubilden, wie schön er schon im Mai blüht mit weißen Hochblättern, und dann aber ist ihm wiederum kaum eine Witterung recht. Fast immer lässt er die Blätter beleidigt hängen, besonders schlimm ist es im Hochsommer bei Trockenheit. Man gießt ihn mitfühlend, doch einen Tag später ist es wieder so. Egal wann man ihn aus dem Augenwinkel sieht, der Busch verursacht beim Gartenbesitzer durch seine elende Körperhaltung ein schlechtes Gewissen. Weil ihm nichts anderes mehr einfällt, verabschiedet er sich im Herbst dann auch noch mit großem Auftritt in den Winter – seine Blätter färben sich feuerrot. Ein Busch mit Allüren.

Sonnenbraut, Ehrenpreis, Mädesüß und Knöterich – tolle Namen

Ist das zu viel Vermenschlichung, so auf die Pflanzenwelt zu blicken? Um sie sich zu erschließen, gibt der Mensch ihr auch Namen. Die sind oft großartig. Bei der Beschreibung eines Heleniums heißt es im Gartenbuch: „Die Zungenblüten der zweifarbigen Sorte Kokarde färben sich von Kupferrot nach Gelb.“ Wäre die Welt nicht düsterer ohne ein Wort wie Zungenblüten? Das Helenium heißt auch Gewöhnliche Sonnenbraut, strahlt blickfangend gelb mit seinen dollen Zungenblüten. Gewöhnlich ist an der Braut also nichts, das ist komisch. Ähriger Ehrenpreis und rosa Mädesüß – wirken pompös. Östlicher Knöterich – ist es kindisch, ihn als kauzigen Typen mit Knollennase zu sehen?

Zugleich kann man natürlich fragen, wie gerecht man den Lebewesen wird mit diesem Blick und Vokabular. Im Garten wird Erwünschtes gehegt und gepflegt, Unerwünschtes dezimiert und entfernt. Das hat eine eigentümliche Komik. Hier geht es immer darum, wer ist Gewinner: der Spitzwegerich, der Löwenzahn, der Giersch – oder der Mensch? „Ein Garten ist ein Kampf zwischen den eigenen Vorstellungen und äußeren Gegebenheiten“, schreibt die Autorin Lola Randl in ihrem Buch „Der große Garten“.

Düngemittel, Insektizide oder Gartenwerkzeuge – seit der Nachkriegszeit, so erfährt man in Weil am Rhein, machte die Werbung glauben: Mit diesen Helfern hat man endlich seine Ruhe. Sosehr der Garten als Sehnsuchtsort, Paradies und Oase zu allen Zeiten gefeiert wurde, so dringlich war der Wunsch, weniger Arbeit darin zu haben. Ältere Gartenbesitzer fällen gern mal alle Bäume – die machen so viel Dreck –, andere legen Steinflächen an und kratzen das Grün aus den Plattenfugen. Wer so darauf schaut, wird bald einsehen müssen, dass es nie aufhört. Immer was zu tun.

Ruhe im Garten oder den Garten dauernd bewässern?

Niemand mit Garten kann umhin, irgendwann zu spüren, wie der Garten nach ihm greift. Der Besitzer merkt, er kann nicht nur Beobachter dieser Landschaft sein, sondern muss sich dazu verhalten. Lässt er die Pflanzen in Ruhe verblühen, einander verdrängen, überwuchern? Gibt er ihnen Wasser, Pferdemist? Schützt er sie vor Pilzbefall, vor Läusen? Merkt er, wenn sie im Sterben liegen? Gestaltet er eine Fläche nach seinen Vorstellungen mit bunten Blumen und Gemüse?

Die sanfte, vorsichtige Annäherung an diesen Garten, dessen Gesetzmäßigkeiten man im Verlauf der Jahreszeiten zu verstehen versucht, auch sie hört nie auf. Reicht bis zur Frage, wie unsinnig es ist, von Besitzen zu sprechen, ein Stück Land zu besitzen. Wer gehört hier wem, könnte man fragen.

Dabei kann es ein schönes Gefühl sein, im Garten gebraucht zu werden, als Teil des Überlebensszenarios. Trotz dieser Sorgearbeit entwickelt sich meist früher oder später der Wunsch, die Pflanzenwelt so zu gestalten, dass sie den Menschen nicht so oft braucht (weniger Arbeit!). Wie kann diese Abnabelung gelingen? Wie schafft man es, den Garten in eine weitgehende Selbstständigkeit zu entlassen?

Manche versuchen, ihn weniger in Bezug zu seiner Verwert- und Nutzbarkeit für den Menschen zu setzen. Wenn Bestäuberinsekten Gärten gestalten könnten, was würden die Menschen dann sehen, fragt das Design-Museum. Die britische Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg entwirft in ihrer Arbeit Pollinator Pathmaker mit einem Algorithmus Gärten auf Grundlage der Interessen von Insekten. Menschen kommen nur ins Spiel, um alles anzulegen und zu pflanzen.

Dieses Gärtnern bedeutet einzutreten in den Kreislauf der Jahreszeiten

Den Garten jenseits dessen, was dem Menschen nützlich ist, wachsen zu lassen, das ist eine Herausforderung, der sich manche heute stellen – und ein kulturelles Gestaltungskonzept. Wer es wagt, lernt loszulassen. Dieses Gärtnern ist das Gegenteil von Pflicht, Zwang oder Kontrolle. Einzutreten in den Kreislauf der Lebewesen vor der eigenen Terrassentür heißt, in eine eigene Zeit zu gehen, in einen Zyklus der Jahreszeiten und Ewigkeiten. Piet Oudolf sagt: „Mit Pflanzen zu arbeiten bedeutet Freiheit.“ Und Lola Randls Erzählerin im Gartenbuch stellt beim Betreten ihres Grundstücks erstaunt fest, „wie friedlich es doch bei uns ist, wenn ich nicht da bin“.

Garden Futures – Designing with Nature. Ausstellung im Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein, noch bis zum 3. Oktober 2023.

Zum Weiterstöbern

Ausstellung
Die Ausstellung „Garden Futures – Designing with Nature“ gibt es im Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein noch bis zum 3. Oktober 2023 zu sehen.

Buch
Die Berliner Autorin und Regisseurin Lola Randl schreibt in ihren Büchern unterhaltsam und selbstironisch immer wieder über Städter, die aufs Land flüchten. Lola Randl: Der große Garten. Matthes und Seitz, 320 Seiten, 10,90 Euro.