Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Diese Widerborstigkeit bekam auch Manfred Rommel früh zu spüren. Im August 1974 war Klett an Herzversagen verstorben – der 45-jährige Sohn des legendären „Wüstenfuchses“ beerbte ihn. Rommel übernahm eine Metropole, in der der milliardenschwere Bau der Stadt- und S-Bahn in vollem Gange war. Wegen der Dauerbuddelei im Talkessel – ganze Hauptverkehrsadern waren durch die Tunnelbauten förmlich lahmgelegt – hatte es ein Maulwurf im ehemaligen „Stutengarten“ zum neuen Wappentier gebracht. Außerdem mussten sich die Stadtplaner zunehmend an neue Partner gewöhnen: die Bürgerinitiativen. „Sie schossen aus dem Boden, wo immer ein Projektleiter seinen Meterstab aufklappte: auf der Prag und in Degerloch, für und gegen den Ausbau von Killesberg und Löwentorzentrum – und immer gegen Auto-, Bahn- und Flugverkehr“, hatte einst Martin Hohnecker analysiert, der frühere Lokalchef der Stuttgarter Zeitung.

 
Tatsächlich hieß das Stuttgart 21 der 1970er/80er Jahre Flughafenausbau – nachdem die Regierenden den Airport bei Leinfelden-Echterdingen für zu klein befunden hatten und von einem internationalen Großflughafen träumten. Im Mönsheimer Heckengäu oder bei Tübingen sollte der entstehen. Nach heftigsten Protesten traten die Politgranden aber den Rückzug an. Stattdessen wurde nun der Streit über den Ausbau der Start-und-Lande-Bahn auf den Fildern, den Rommel maßgeblich unterstützte, vehement geführt: mit Massendemonstrationen und Tausenden von Einwendungen gegen die offiziellen Pläne. Erst Mitte der 1990er Jahre war eine abgespeckte Variante realisiert – denn so lange brauchte das Projekt, bis es durch das Sperrfeuer von Bürgerinitiativen, Bauernprotesten und Fraktionsklagen hindurch war. Und die mit ähnlicher Schärfe geführten Auseinandersetzungen über den Bau der neuen Landesmesse sollten erst noch bevorstehen.

Rommel blieb 22 Jahre lang im Amt

Wie Klett – und später Schuster – haderte auch Rommel mit einer allzu breiten Bürgerbewegung, dies zumal, wenn in der Folge die Legitimation parlamentarischer Entscheidungen in Zweifel gezogen wurde. In der Amtsführung selbst aber erwies Rommel, insgesamt 22 Jahre lang in Amt und Würden, sich in vielen Punkten als regelrechter Gegenentwurf zu seinem Vorgänger: er war eher Moderator als Macher, persönliche Affären waren im abhold, Bescheidenheit war ihm eine Zier. Dabei war in den 1990er Jahren – im Zuge der Rezession – die Zahl seiner Kritiker in Wirtschaft und Politik deutlich gewachsen. Manche sehnten den Amtswechsel förmlich herbei.

Und doch erfreute sich Rommel unter den Bürgern großer Beliebtheit. Er zeichnete sich durch Klugheit und Witz, durch eine Geradlinigkeit und Klarheit aus, und er forderte den „Mut zur Wahrheit“. Unbillige Versprechen waren seine Sache nicht. Seinen Ruf als Versöhner und großer Liberaler prägten freilich konkrete Ereignisse: so als er sich 1977 ungeachtet eines großen Hasses in der Bevölkerung auf die RAF-Terroristen Gudrun Ensslin, Andreas Bader und Jan-Carl Raspe für deren Bestattung starkmachte. „Im Tod endet jede Feindschaft“, lautete sein Credo.

Solche Momente und weniger einzelne Bauprojekte sind es, die prägenden Eindruck hinterlassen: die Liederhalle, der umstrittene Fernsehturm, das Musical-Zentrum in Möhringen, die Landesmesse, das Kunstmuseum und die neue Stadtbibliothek – das sind Marksteine in Beton, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Eine Zeit der Widersprüche

Der Rathauschef trotzte jedoch allen Rücktrittsforderungen. Die Bürgerschaft sah ihm die Eskapaden ohnehin nach. Gleich drei Mal wurde der Pfarrerssohn (wieder) gewählt. Er gab sich unbürokratisch und leutselig wie ein Bauernschultes. Das Wichtigste aber war wohl bei alledem: er gab den Menschen das Vertrauen in die Demokratie zurück, wie sein Nachnachfolger Wolfgang Schuster einmal betonte.

Es war die Wirtschaftswunderzeit, eine Zeit auch der Widersprüche, da die Jugend aufzubegehren begann: mit Protesten gegen den Krieg in Vietnam, gegen bürgerlichen Mief, gegen das Kapital. Wer über die Archive in die zweite Hälfte der 1960er Jahre eintaucht, staunt über die Bilder von Massendemonstrationen gegen den Bildungsnotstand und die Notstandsgesetze. Mit Sitzstreiks auf den Gleisen wurde in Stuttgart die Straßenbahn blockiert, rote Fahnen tauchten auf – auch Wasserwerfer der Polizei. Das US-Konsulat musste von der Polizei geschützt werden. Eine Stadt im Ausnahmezustand.

Die bundesweiten, unter anderem in Stuttgart besonders heftigen 68er-Turbulenzen und deren Folgen drängten Klett mehr und mehr in die Isolation. Die außerparlamentarische Opposition war ihm suspekt, Demonstrationen und die zunehmende Politisierung der Kommunalpolitik sah er „mit Misstrauen und Unverständnis“.

Nicht erst Schuster, schon Klett war jedenfalls mit einer speziellen und oft verkannten Stammeseigenschaft der Schwaben konfrontiert – mit deren historisch verbürgtem Hang zur Renitenz gegenüber Obrigkeiten und deren kritischem Geist.

Manfred Rommel übernimmt das Zepter

Diese Widerborstigkeit bekam auch Manfred Rommel früh zu spüren. Im August 1974 war Klett an Herzversagen verstorben – der 45-jährige Sohn des legendären „Wüstenfuchses“ beerbte ihn. Rommel übernahm eine Metropole, in der der milliardenschwere Bau der Stadt- und S-Bahn in vollem Gange war. Wegen der Dauerbuddelei im Talkessel – ganze Hauptverkehrsadern waren durch die Tunnelbauten förmlich lahmgelegt – hatte es ein Maulwurf im ehemaligen „Stutengarten“ zum neuen Wappentier gebracht. Außerdem mussten sich die Stadtplaner zunehmend an neue Partner gewöhnen: die Bürgerinitiativen. „Sie schossen aus dem Boden, wo immer ein Projektleiter seinen Meterstab aufklappte: auf der Prag und in Degerloch, für und gegen den Ausbau von Killesberg und Löwentorzentrum – und immer gegen Auto-, Bahn- und Flugverkehr“, hatte einst Martin Hohnecker analysiert, der frühere Lokalchef der Stuttgarter Zeitung.

Tatsächlich hieß das Stuttgart 21 der 1970er/80er Jahre Flughafenausbau – nachdem die Regierenden den Airport bei Leinfelden-Echterdingen für zu klein befunden hatten und von einem internationalen Großflughafen träumten. Im Mönsheimer Heckengäu oder bei Tübingen sollte der entstehen. Nach heftigsten Protesten traten die Politgranden aber den Rückzug an. Stattdessen wurde nun der Streit über den Ausbau der Start-und-Lande-Bahn auf den Fildern, den Rommel maßgeblich unterstützte, vehement geführt: mit Massendemonstrationen und Tausenden von Einwendungen gegen die offiziellen Pläne. Erst Mitte der 1990er Jahre war eine abgespeckte Variante realisiert – denn so lange brauchte das Projekt, bis es durch das Sperrfeuer von Bürgerinitiativen, Bauernprotesten und Fraktionsklagen hindurch war. Und die mit ähnlicher Schärfe geführten Auseinandersetzungen über den Bau der neuen Landesmesse sollten erst noch bevorstehen.

Rommel blieb 22 Jahre lang im Amt

Wie Klett – und später Schuster – haderte auch Rommel mit einer allzu breiten Bürgerbewegung, dies zumal, wenn in der Folge die Legitimation parlamentarischer Entscheidungen in Zweifel gezogen wurde. In der Amtsführung selbst aber erwies Rommel, insgesamt 22 Jahre lang in Amt und Würden, sich in vielen Punkten als regelrechter Gegenentwurf zu seinem Vorgänger: er war eher Moderator als Macher, persönliche Affären waren im abhold, Bescheidenheit war ihm eine Zier. Dabei war in den 1990er Jahren – im Zuge der Rezession – die Zahl seiner Kritiker in Wirtschaft und Politik deutlich gewachsen. Manche sehnten den Amtswechsel förmlich herbei.

Und doch erfreute sich Rommel unter den Bürgern großer Beliebtheit. Er zeichnete sich durch Klugheit und Witz, durch eine Geradlinigkeit und Klarheit aus, und er forderte den „Mut zur Wahrheit“. Unbillige Versprechen waren seine Sache nicht. Seinen Ruf als Versöhner und großer Liberaler prägten freilich konkrete Ereignisse: so als er sich 1977 ungeachtet eines großen Hasses in der Bevölkerung auf die RAF-Terroristen Gudrun Ensslin, Andreas Bader und Jan-Carl Raspe für deren Bestattung starkmachte. „Im Tod endet jede Feindschaft“, lautete sein Credo.

Solche Momente und weniger einzelne Bauprojekte sind es, die prägenden Eindruck hinterlassen: die Liederhalle, der umstrittene Fernsehturm, das Musical-Zentrum in Möhringen, die Landesmesse, das Kunstmuseum und die neue Stadtbibliothek – das sind Marksteine in Beton, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Kinder ihrer Zeit

Stuttgarts Oberbürgermeister waren immer auch Kinder ihrer Zeit: Klett, der Aufbaumeister, Rommel, der geistreiche Bewahrer. Und Wolfgang Schuster, der Sohn eines Rechtsanwalts und Absolvent der Pariser Eliteuniversität Ecole Nationale d‘Administration? Er verkörpert von beiden etwas: den Machertypus wie Klett, aber auch den toleranten Politiker à la Rommel. Da sind seine vielen Programme, die er mit bisweilen allzu atemberaubendem Tempo vorangetrieben und stets mit Superlativen verbunden hat: die sicherste, die sauberste Stadt, die Stadt mit dem modernsten Bahnhof. Im Blick auf Schwule und Lesben oder in der Familienpolitik erwies er sich als fortschrittlicher Vertreter seines Faches, auch und gerade innerhalb der CDU. Die Idee von der kinderfreundlichen Stadt geriet zum Erfolgsmodell. Und längst gilt Stuttgart als „Vorreiter kommunaler Integrationspolitik“, wie „Die Zeit“ titelte. „Jeder, der in Stuttgart lebt, ist ein Stuttgarter“, das war Schusters Ansatz. Ergebnis: es geht weitgehend und erstaunlich friedlich zu in einer Großstadt, in der bundesweit im Verhältnis mit die meisten Menschen leben, die ihre Wurzeln in fernen Gefilden haben.

In puncto Popularität steht Wolfgang Schuster im Schatten seiner Vorgänger, zu steif gerieten viele öffentliche Auftritte, zu frisch sind die Wunden, die der Streit über Stuttgart 21 geschlagen hat. Das muss den scheidenden OB nicht grämen, wie ein Wort des im Amt schwer an Parkinson erkrankten Manfred Rommel deutlich macht: „Wer jedermanns Liebling sein will, wird zu jedermanns Dackel.“ Und eines gilt auch: im Gegensatz zu seinen Vorgängern scheidet Schuster, so weit bekannt, gesund und munter aus dem Amt. Das ist von unschätzbarem Wert.

Stuttgarts OBs seit 1945

Arnulf Klett ist am 8. April 1905 in Stuttgart geboren und am 14. August 1974 auf der Bühlerhöhe im Schwarzwald gestorben. Er wuchs in Stuttgart auf und promovierte später als Jurist an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Der Rechtsanwalt, der sich in der Zeit der Nazidiktatur gegen das Hitlerregime gestellt hatte, wurde 1945 von den Franzosen als Oberbürgermeister eingesetzt, dann drei Mal vom Volk gewählt und amtierte bis zu seinem Tod. Klett wurde auf dem Waldfriedhof beigesetzt.

Manfred Rommel wurde 1928 in Stuttgart als Sohn des späteren Generalfeldmarschalls Erwin Rommel und dessen Frau Lucie geboren. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften arbeitete er in der Landesverwaltung und wurde später Staatssekretär im Finanzministerium. Am 1. Dezember 1974 wurde Rommel als Nachfolger des verstorbenen Arnulf Klett zum Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart gewählt – und behielt dieses Amt bis 1996, als er aus Altersgründen ausschied.

Wolfgang Schuster ist am 5. September 1949 in Ulm geboren und dort als junger Mann schon in die Kommunalpolitik eingetreten. Schuster ist – wie seine Vorgänger – von Haus aus Jurist. Nach Stationen unter anderem als Kultur- und Sportbürgermeister in Stuttgart sowie als Rathauschef in Schwäbisch Gmünd trat er im Januar 1997 in Rommels Fußstapfen. Am heutigen Samstag wird er nach 16 Jahren im Amt mit einem großen Festakt verabschiedet