Die Internationale Bach-Akademie beschließt zwei Wochen zu „Krieg und Frieden“ mit einem sehr gelungenen Händel-Abend. Unterdessen ist die musikalische Qualität der Gaechinger Cantorey noch einmal gestiegen.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Am Wochenende und auch weiterhin in den politischen Schlagzeilen: ausgerechnet Köthen, wo Johann Sebastian Bach 1723 seine Sachen packte, um mit seiner Familie nach Leipzig zu ziehen. Eine historische Konstellation, die Daniel Schmahl, Matthias Zeller und Marius Leicht (an einer wunderbaren Hammond-Orgel) im „Bach. Lab I“ im Wizemann im Rahmen des Musikfests nachstellten (wir berichteten), und dann so taten, als ob damals eine Kiste mit Kompositionen verloren gegangen sei und stattdessen in der Karibik gelandet, genauer, auf St. Thomas, wo Bach (mit „Wachet auf ruft uns die Stimme“) nun plötzlich auf ein Stück des Saxofonisten Sonny Rollins trifft, von eben dieser Insel inspiriert - nur zum Beispiel.

 

Man muss, um angemessen vergleichen zu können, dann doch noch einmal kurz auf diesen Abend im Wizemann zurückkommen, weil er etwa gleichzeitig Hochprofessionelles wie sympathisch Handgestricktes an sich hatte. Es war, sozusagen, Musikmusik, die hier bei „Bach in Blue“ gespielt wurde, die verströmte etwas sehr Menschliches, zur Nähe Einladendes, und die Biografien namentlich von Zeller und Leicht („aus dem vogtländischen Musikwinkel“) lasen sich vielleicht nicht von ungefähr ein bisschen versponnen: Der eine baut E-Violinen nach Jimi-Hendrix-Manier, der andere experimentiert seit Jahrzehnten mit analogen Synthesizern, verfügt über eine stattliche Sammlung solcher Instrumente und tritt nebenher noch gerne mit der Band Mr. Voodoo und die feinen Herren auf. Originell also – ein bisschen wie nicht ganz von dieser Welt und dann wieder doch, sobald sie als fabelhaftes Trio anhoben, ein feiner Fall für sich – kaum kopierbar.

Andererseits: So geht das natürlich heute eigentlich nicht mehr – und warum das heute nicht mehr so geht, dass die Leute eher von nebenan kommen, wie das mal der Fall gewesen ist, als die Original-Gächinger sich gründeten (mit wirklich vielen Originalen inklusive), kann man beim Abschlusskonzert der Gaechinger Cantorey unter dem vor Ort zwei Wochen lang nimmermüden Dirigenten Hans-Christoph Rademann schon mal an der Solistenriege erkennen: Christina Landshamer (die unter anderem mit Ton Koopman zusammenarbeitet), Anja Scherg (Schülerin von Frieder Bernius), Reginald Mobley (ein sagenhafter Counter, oft gebucht von John Eliot Gardiner), Benedikt Kristjánsson (häufig mit Reinhard Goebel, einem Nestor der Alten Musik hierzulande, unterwegs) und Andreas Wolf (viel gefragt von Jérémie Rohrer bis William Christie) - das sind allesamt großartige, teure Superspezialisten, die jeweils ihresgleichen suchen und fast auf Knopfdruck reagieren. „Vouchsafe: O Lord: to keep us this day without sin“, das in den Schlusssatz von Georg Friedrich Händels Utrechter Tedeum, HWV 278, überleitet, war, wie nahezu alles zuvor, zusammen mit Chor und Orchester der Gaechinger ein Gedicht an kollektiver Transparenz und von einem erst wieder Staunen, dann aber auch ein wenig fröstelnd machenden Perfektionsgrad.

Wie sich Klang verflüchtigt

Wie bereits der Haydn-Abend zur Eröffnung des Musikfests unter dem Titel „Krieg und Frieden“ mehr als angedeutet hatte, sind Chor und Orchester in den zwei Jahren seit ihrem Bestehen auf eine fast symbiotische Art und Weise zusammengewachsen. Das ist Rademanns Verdienst, aber auch auf die solistische Qualität jedes Einzelnen im Ensemble zurückzuführen. Was Nadja Zwiener (Violine) und Daniel Lanthier (Oboe) allein der Suite aus Händels „Il pastor fido“, HWV 8 a von 1712, zukommen ließen, war von einer außerordentlichen, Musik systematisch denkenden, aber eben auch spielfreudigen Intelligenz angetrieben. Allein: In der orchestral äußerst zurückhaltend besetzten Suite gingen auch einige der fast schwerelosen, federhaften Feinheiten verloren – was am Originalklang liegt, der sich in der während solcher Momente eher ungeeigneten Stuttgarter Liederhalle verflüchtigt, kaum dass etwas erklungen ist. Reihe 18, ein Parkettplatz, der im normalen Verkauf mit 68 Euro zu Buche schlägt, ist da tendenziell schon zu weit weg vom Geschehen, vom Rang nicht zu reden.

Rademann indes kämpfte sowohl in der Ode for the Birthday of Queen Anne, HWV 74, wie auch in Te Deum und Jubilate , HWV 279, klug und kontrolliert mit diesem Manko, das sich bis auf Weiteres kaum beheben lassen wird. Stuttgarter und gastierende Ensembles von ähnlicher Güte werden damit leben müssen, dass der Originalklang vor Ort mit dem simplen Problem konfrontiert ist, keinen Raum zu haben. Da sich daran sobald nichts ändern wird, bleibt Improvisationsgeist gefragt, und vielleicht ist am Ende einmal eher ein Hospitalhof als Veranstaltungsort im Kalkül, in dem (klangliche Defizite beiseitegelassen) bei Proben der Gaechinger genau das manchmal entsteht, was diese Art der historischen Aufbereitung braucht: Sie muss ins Hier und Jetzt springen und – oft gebrauchtes Wort, aber wahr – kommunizieren können. In der Liederhalle, so ist es nun mal, kreist die Musik manchmal umeinander, als sei sie sich selbst auf ihrem zweifellos hohen Niveau mitunter genug.

Unter Schafen auf der Weide

Solcher fraglos auch schöner Selbstgenügsamkeit im imaginären (Vergleichs-)Konzert mit den internationalen Größen vorzubeugen, ist jetzt die neue Intendantin Katrin Zagrosek angetreten, die bereits in ihrer Einführungsrede unterstrichen hat, dass sie nach der Schärfung des Profils bei der Internationalen Bachakademie mit möglichst offenem Gesicht dem Publikum gegenübertreten will. Wie einladend das sein kann, zeigte sich im Abschlusskonzert des diesjährigen Musikfests daran, dass im finalen Jubilate, einer Vertonung des Psalms 100, die Musik sich nicht scheute, unter „die Schafe seiner Weide“ zu gehen, wie es im Text heißt. Rademann wurde ein ganz klein wenig gröber im Detail und stieß nun tatsächlich zu oben so genannten Musikmusik vor: Augenblicke, in denen am Moment weniger seine Ästhetisierung, sondern seine Einmaligkeit interessiert, zur Feier des Tages am Schluss fast volkstümlich schlicht gestaltet. Würdig, nicht nur nobel. So soll es sein.