Westerwelle suchte schon früh die Öffentlichkeit und verstand es meisterhaft, sich inmitten einer Bilder- und Sprücheflut zu verbergen. Als Ende der 90er Jahre die Talkshows aufkamen, zählte er bei Sabine Christiansen zur Stammbesetzung. Als der Big-Brother-Voyeurismus Konjunktur hatte, stieg er in den Container der TV-Exhibitionisten. Er lud zu Homestorys in seine Berliner Wohnung, wo den Gästen Bilder Norbert Biskys und der „Leipziger Schule“ vorgeführt wurden. Er präsentierte 2002 als Kanzlerkandidat das verwegene Wahlziel von 18 Prozent auf Schuhsohlen, kurvte im Guidomobil durch die Republik. Man nannte ihn wegen seiner Auftritte schrill, glaubte, alles von ihm zu wissen. Aber seine Homosexualität verschwieg er, von Andeutungen abgesehen, bis zum 50. Geburtstag Angela Merkels, zu dem er 2004 die Liebe seines Lebens, seinen späteren Ehemann Michael Mronz mitbrachte.

 

In einem seiner letzten Interviews sagte Westerwelle dem „Spiegel“, dass ihn die Sorge, als Homosexueller verlacht zu werden, zum vorlauten Jungen gemacht habe. Er sei „oft zu forsch“ gewesen, um seine Unsicherheit zu kaschieren. In Bad Honnef bei Bonn war zu Westerwelles Jugendzeit Homosexualität für viele schlimmer als ein Kapitalverbrechen. Aber Westerwelle blieb auch dann noch auf der Hut, als sich das gesellschaftliche Klima langsam änderte. Aus gutem Grund. Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hatte 2005 in spöttischer Anspielung auf Westerwelles Homosexualität den „Junggesellen“ Westerwelle als „Leichtmatrosen“ verspottet. Nicht wenige Unionisten fanden nichts dabei, den Wunsch-Koalitionspartner abseits der Mikrofone abfällig „Schwesterwelle“ zu nennen. Selbst bei den in solchen Angelegenheiten entspannten Liberalen lästerten manche hinter vorgehaltener Hand verschwörerisch über ein vermeintliches Schwulen-Netzwerk in der FDP. Und nicht einmal das Amt des Außenministers schützte vor verletzendem Spott. Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko konterte 2012 die Einschätzung Westerwelles, Lukaschenko sei der letzte Diktator Europas, mit der Bemerkung „lieber Diktator sein als schwul“.

Vielleicht begegnete einem Westerwelle wegen all dieser Erfahrungen in Vier-Augen-Gesprächen zwar stets höflich – aber eben auch mit maßlosem Misstrauen. Und vielleicht ist dies auch ein Grund dafür, weshalb es für Westerwelle in der öffentlichen Darstellung vor allem einen Modus gab: Angriff als beste Art der Verteidigung.