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Wohnen 2023: Lieber weit draußen oder tief drinnen?

Leben in der Stadt oder auf dem Land - das sind neben pragmatischen Gründen nicht zuletzt verschiedene Lebensgefühle. Die einen nervt das Laute der Metropolen, andere wiederum schätzen den Vorteil, alles vor Ort zu haben und kein Auto zu brauchen.

Wohnen 2023: Lieber weit draußen oder tief drinnen?

Leben in der Stadt und doch noch die Natur ganz nah: das Hoffeld in Stuttgart-Degerloch. Foto: Bianca Menzell

Sie hat die Entscheidung nie bereut. "Marla" Münz ist schon vor über zwanzig Jahren von Stuttgart auf das Land gezogen, in einen kleinen Ort im Hohenlohischen. Dort genießt die Endvierzigerin die Ruhe und vor allem ihren Garten, in dem sie nicht nur einen beeindruckenden Bestand an Obstbäumen hat, sondern auch allerlei Gemüse erntet. "Weit raus wollte ich, unter anderem auch aus persönlichen Gründen", nickt sie. "Aber ich habe es in der Großstadt auch nicht mehr ausgehalten; Dreck in der Luft, Schmutz auf den Straßen überall laut, Hektik, hohe Preise. Damals war es noch nicht ,in' wegzuziehen, Anfang der 2000nder wollten allen in die Städte." Das ist nun anders.

Großstädte haben stark an Bevölkerung verloren

Laut einer Erhebung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden auf Basis aktueller Daten des Statistischen Bundesamts haben in 2021 deutsche Großstädte so stark an Bevölkerung verloren wie zuletzt 1994. Immer mehr Menschen wollen auf dem Land oder in kleinen Städten leben, vor allem Familien flüchten demnach aus der Stadt: Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 stieg die Zahl der Fortzüge in kleinere Städte und ländliche Regionen um 1,8 Prozent, in kreisfreie Städte mit über 100 000 Einwohnern sind 5,4 Prozent weniger Menschen zugezogen. Kurzum: Die größten deutschen Städte hatten durch Umzüge innerhalb Deutschlands größere Wanderungsverluste als Wanderungsgewinne. "Damit ist der Binnenwanderungssaldo der Großstädte auf einem so niedrigen Niveau wie seit 30 Jahren nicht mehr", so ein BiB-Sprecher. Schon damals gab es eine deutliche Abwanderungswelle in das Umland.

Die aktuelle Tendenz der Suburbanisierung lässt sich indes auch am Umzugsverhalten verschiedener Altersgruppen erkennen.

Vor allem 30- bis 49-Jährige - plus 3,7 Prozent - sowie 8,9 Prozent mehr Minderjährige verließen die Großstädte. Als mögliche Gründe nennen die BiB-Forschenden Wohnungsknappheit, anhaltend hohe Wohnungspreise in Großstädten und veränderte Wohnpräferenzen. Junge Erwachsenen zwischen 18 bis 29 Jahren hingegen ziehen insgesamt weniger über Kreisgrenzen um als vor der Corona-Pandemie. Und die Entwicklung der Gesamtbevölkerung der Großstädte? Da könnte man keine Rückschlüsse ziehen, heißt es. Denn nicht eingerechnet in diese Statistik seien Faktoren wie internationale Migration oder Entwicklung von Geburten und Sterbefällen. 

Jenseits der Zahlen kann Marilu Münz die Trends der Binnenwanderung verstehen. "Leben auf dem Land fühlt sich schon ein Stück weit wie Urlaub an", sagt die Kommunikationsdesignerin. "Und die Corona-Lockdowns haben wohl das Ihrige beigetragen." Doch Untersuchungen zeigen, dass diese vor allem als Verstärker fungierten. Schon vor der Pandemie ging die Lust auf das Land um: So war im Februar 2020 in einer Studie für das Kommunal-Magazin zu erfahren, dass 61 Prozent aller Menschen in Deutschland, unabhängig vom aktuellen Wohnort lieber auf dem Dorf oder in der Provinz leben würden. Da verwundert nicht, dass der Bundesverband für Informationswirtschaft (Bitkom) im Coronajahr2021 von 1.503 Erwerbstätigen erfuhr, 39 Prozent von ihnen würden lieber im Grünen wohnen, wenn sie in Zukunft überwiegend im Homeoffice arbeiten könnten.

In der Stadt fühlen sich die Menschen spontaner

Das unterstreicht zwar eine Freundin von "Maria", die ebenfalls im Gestaltungsbereich tätig ist, aber noch in der Stadt wohnt. Aber sie erklärt auch: "Viel Grün ist toll. Aber hier bin ich spontaner, kann spät noch was ums Eck einkaufen gehen, brauche kein Auto, erreiche das Meiste fußläufig - und habe ein großes Kulturangebot, Kino, Ballett, Oper, Bars." Auch gute Infrastruktur sei nicht zu verachten, Ärzte, Apotheken, Sportmöglichkeiten, Kindergärten und mehr. "Ich brauche einfach dieses diverse Lebensgefühl", betont sie. "Auf dem Land ist man mehr vom Auto abhängig."

Das räumt ihre einstige Kollegin Marla ein, auch müsse der Öffentliche Personennahverkehr besser ausgebaut werden. Aber alles sei eine Sache der Planung – und was Waren anginge, die könne man bestellen. "Auch wenn das wenig ökologisch ist. Aber eigentlich braucht man nicht viel. Für mich kann nichts aufwiegen, was ich hier draußen an Ruhe, mentaler Gesundheit, Naturnähe, Weite gefunden habe - ein ganz neues Lebensgefühl."

Von Petra Mostbacher-Dix

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