Die Bundesrepublik wird 75 – doch noch nie galt sie in ihrer Substanz als so angefochten. Über Jahrzehnte hinweg erschien sie als die Manifestation fortschreitender Freiheit und Emanzipation. Dieser Trend ist gebrochen.

Mitte 1949, knapp zwei Monate nach Verkündung des Grundgesetzes, berichtete in Heidelberg der SPD-Politiker Carlo Schmid aus der Arbeit des Parlamentarischen Rats. Der professorale Schöngeist Schmid zählte als Vorsitzender des Hauptausschusses zur ersten Garnitur der Verfassungsväter. Die Bonner Republik beschrieb er als einen „Notbau“. Es gehe vorläufig nicht darum, eine definitive Ordnung der Dinge in Deutschland zu schaffen, die Aufgabe laute vielmehr, „einen Zustand der Unordnung und der Anarchie zu beseitigen, indem man eine provisorische Ordnung schafft“. Die Verfassung sei keine Verfassung, sondern eben ein „Grundgesetz“, weniger noch: ein „Organisationsstatut“, denn einem Teil der Deutschen sei es nicht gegeben gewesen, daran mitzuwirken. Der Eiserne Vorhang war gefallen, wie der britische Premier Winston Churchill schon 1946 konstatiert hatte. Deutschland lag darnieder.