Wer früher ein Hochzeitskleid kaufte, kaufte es bei Luitgard und Guntram Reiter in Ludwigsburg – der Laden lockte sogar Kunden aus Stuttgart. Bald endet eine kleine Ära. Einen Nachfolger haben die Reiters nicht gefunden. Ist der Einzelhandel nicht mehr attraktiv?

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Wie viele Hochzeitskleider Luitgard und Guntram Reiter im Lauf der Jahre verkauft haben – sie wissen es nicht, es waren viele. Wer sich für den schönsten Tag des Lebens besonders schön machen wollte, der ging zu den Reiters, so war das damals in Ludwigsburg und nicht nur dort: Das Geschäft lockte Kunden aus dem ganzen Landkreis und darüber hinaus, auch aus Stuttgart kamen die Verliebten, um sich bei Luitgard und Guntram Reiter ein Brautkleid auszusuchen oder den passenden Anzug. Das Sortiment hat sich zwar gewandelt, der Modeladen ist längst nicht mehr auf Hochzeitsmode spezialisiert, aber die Kunden sind geblieben. „Manche kommen seit Jahrzehnten zu uns“, sagt Luitgard Reiter.

 

Viele dieser Menschen werden in den nächsten Wochen vermutlich noch einmal vorbei schauen in dem Geschäft an der Wilhelmstraße, ein letztes Mal, zum Räumungsverkauf. Denn die Reiters hören auf. Wenn man Luitgard Reiter fragt, was sie in ihrem neuen Leben am meisten vermissen wird, antwortet sie: „Die Begegnungen mit den Kunden werden mir fehlen.“

Die Reiters müssen nicht schließen. Sie wollen.

Kürzlich wurde bekannt, dass die Ludwigsburger Traditionsbuchhandlung Aigner schließen muss, es ist das Ende einer 214 Jahre alten Institution. Die Reiters haben ihr Geschäft vor 40 Jahren gegründet, aber wenn sie bald für immer abschließen, ist das für viele Ludwigsburger ebenfalls das Ende einer kleinen Ära, wenn auch unter anderen Voraussetzungen als bei Aigner. Die Reiters müssen nicht schließen. Sie wollen. Das Geschäft habe bis zuletzt gut funktioniert, sagt Luitgard Reiter. „Aber wir freuen uns, nach einem erfüllten Berufsleben, auf eine ruhigere Zeit.“ Immerhin sei sie jetzt 66 Jahre alt, „nicht mehr die Jüngste also“. Man habe versucht, einen Nachfolger zu finden, erzählt Guntram Reiter. Es habe nicht geklappt.

Der Erfolg des Modehauses Reiter ist einer, der sich so heute vermutlich kaum wiederholen ließe. Luitgard Reiter war Kosmetikerin, als sie hörte, dass am Schillerplatz eine Ladenfläche leer steht. 1978 war das, und sie wagte den Sprung auf völlig neues Terrain: noch ohne Guntram Reiter, mit einem Geschäft nur für Brautmode. Vier Jahre später eröffnete der Gatte ein Herrengeschäft in der Myliusstraße, noch einmal zwei Jahre später kamen dort beide Läden unter ein Dach. 18 Jahre blieben die Reiters in der Myliusstraße, wuchsen vom Hochzeitsausstatter zum Geschäft für Mode aller Art, es folgten zehn Jahre an der Asperger Straße und dann die letzte Station an der Wilhelmstraße.

Modenschauen mit tausend Gästen

Die Reiters haben Modenschauen mit rund tausend Gästen veranstaltet, die erste Hochzeitsmesse nach Ludwigsburg geholt, sie haben geholfen, die Venezianische Messe in der Stadt zu etablieren. Sie sind, sagen sie, mit der Zeit gegangen. Aber der Anspruch, Mode mit hoher Qualität zu verkaufen, habe sich nie geändert. Die Zielgruppe definierte sich auch über den Preis der Ware, denn Qualität ist teuer, und deswegen war es bei Reiters nie billig. „Die ganz jungen Leute kamen eher nicht zu uns“, sagt Guntram Reiter.

Dass die Reiters sich mit ihrem Geschäft über das normale Maß hinaus identifizieren, merkt man schnell. Sie lachen viel, sind freundlich, lassen sich Zeit für die Beratung. Und sie wissen, was sie wollen – und was sie nicht wollen. Zeitungsfotos vom Räumungsverkauf – wollen sie nicht. Denn der Laden war stets aufgeräumt, gut sortiert, was sich während des Abverkaufs so nicht aufrecht halten lässt. Ende des Jahres wird Schluss sein, dann gehen die 280 Quadratmeter großen Räume zurück an den Vermieter, komplett leer. „Es ist noch nicht klar, was mit dem Gebäude passiert.“

Der Onlinehandel wird für den stationären Handel immer gefährlicher

Dass es keine Nachfolger gibt, verweist auf den Wandel, den der Einzelhandel vor allem im vergangenen Jahrzehnt durchgemacht hat. Die erstarkende Konkurrenz im Internet zwingt nicht nur Buchhandlungen zur Aufgabe, sondern wird zunehmend für den gesamten stationären Handel zur Herausforderung. Auch heute gibt es noch mutige Quereinsteiger wie Luitgard Reiter, aber es werden weniger. „Es ist schwieriger geworden“, sagt Luitgard Reiter. „Auch die Mieten der Läden sind enorm gestiegen.“ Mit viel Herzblut und Engagement sei es ihnen zwar gelungen, allen Widrigkeiten zu trotzen. „Aber für Menschen am Anfang ihres Berufslebens gibt es heute attraktivere Branchen.“

Die Gefahr, dass den beiden im Ruhestand die Decke auf den Kopf fällt, ist gering. Während andere Ehepaare sich erst daran gewöhnen müssen, den Partner plötzlich rund um die Uhr um sich zu haben, ist das für Luitgard und Guntram Reiter immer Alltag gewesen. Jahrzehnte haben sie in ihrem Geschäft verbracht, immer zusammen. Tennis, Skifahren, Städtereisen, für diese Dinge haben sie jetzt endlich mehr Zeit. Sie werden sie zusammen verbringen. „Wenn man sich gut versteht, wird es einem nie langweilig“, sagt Luitgard Reiter. „Im Gegenteil.“