Die Deutsche Bahn will einige Reisezentren an Bahnhöfen durch Beratung per Video ersetzen. Betroffen sind auch die Stationen in Korntal, Kornwestheim und Marbach. Im Strohgäu regt sich Widerstand.

Korntal-Münchingen - Der Mitarbeiter im Reisezentrum am Bahnhof Korntal hat an diesem Vormittag ständig Kundschaft. Eine Studentin aus Korntal-Münchingen kauft hier ihr Anschluss-Studiticket nach Tübingen. In Münchingen könne sie das Ticket nicht erwerben, im Internet auch nicht, sagt sie. Wenig später holt sich ein junger Mann am Schalter das Studiticket, andere Reisende brauchen Hin- und Rückfahrkarten oder eine Auskunft. Viel zu tun für den Bahn-Mitarbeiter – doch nicht mehr lange.

 

Denn von 2020 an ersetzt die Deutsche Bahn am Bahnhof Korntal den mit einem Mitarbeiter besetzten Schalter durch eine Station mit Videokamera. Dort können die Kunden mit einem Bahn-Mitarbeiter in Ludwigsburg sprechen. Der Automat gibt Reisepläne und Fahrkarten aus, er nimmt Bargeld und Wertkarten. Wie in Korntal soll auch der Bahnhof in Marbach am Neckar umgerüstet werden. In Kornwestheim wird von Mitte 2020 an der Service am Schalter reduziert und dazu eine Videostation aufgestellt. Das Reisezentrum in Ludwigsburg soll durch Video ergänzt werden.

Protest mit Unterschriften

In Korntal-Münchingen regt sich bei den Bürgern Widerstand gegen die Pläne der Bahn und der Region Stuttgart. Die Lehrerin Dagmar Müller-Buchalik startete eine Petition, diese unterstützt die Ortsgruppe des Sozialverbands VdK. Sie haben schon Hunderte Unterschriften zusammen, die sie an den VRS schicken wollen. „Es ist Unsinn, den Schalter zu schließen“, sagt Dagmar Müller-Buchalik.

Der VdK nennt es einen „Affront gegen ältere und behinderte Menschen, die Stelle des kompetenten, empathischen und geduldigen Schalterbeamten durch eine technische Lösung zu ersetzen“. Vor allem Ältere, auch aus Ditzingen und Gerlingen, nutzten den Service. Häufig fänden sie im Internet keine Antworten, sagt der Chef des VdK, Otto Koblinger. Er befürchtet, dass Ältere an dem Videoschalter „überrollt“ werden. „Die Barriere ist viel zu hoch, besonders für Menschen, die sprachlich eingeschränkt sind.“ Keiner wisse, was ihn an der Station erwarte.

Die Stadtverwaltung betont, dass die Schalter „Sache der Bahn“ seien. Trotzdem zeigt sie Verständnis für den Unmut. „Es ist nachvollziehbar, dass gerade Ältere Berührungsängste haben“, sagt die Sprecherin Benita Röser, der persönliche Kontakt sei nicht zu unterschätzen. Gleichwohl hätten technikaffine Menschen Vorteile, etwa durch die längeren Betreuungszeiten. Man hoffe, dass auch Ältere mit den Terminals klarkommen.

Überraschung im Rathaus von Marbach

Im Rathaus von Marbach war man von den Plänen von Bahn und Region „sehr überrascht“. Das sei „ohne Abstimmung mit den Kommunen“ gelaufen, sagt der Bürgermeister Jan Trost. Man habe versucht zu intervenieren, der S-Bahn-Vertrag der Region sehe einen personenbesetzten Schalter in Marbach vor. Denn es gebe „auch bei uns Menschen, die sich nicht trauen, Geräte zu bedienen“. Die Bahn sei erst nach der Entscheidung zu Gesprächen bereit gewesen. Zudem gebe es einen „zweiten Pferdefuß“, so Trost: die Überprüfung der Entscheidung nach dem Aufstellen der Geräte. „Wer nicht mehr kommt, wird nicht mehr befragt. Diese Befragung hat Tendenz.“

Im Kornwestheimer Rathaus werden die Planungen für die Beratung am örtlichen Bahnhof „generell positiv gesehen“, so eine Sprecherin. Die Servicezeiten würden sich deutlich erhöhen. Die Region habe „eine interessante Möglichkeit gefunden, das Serviceangebot auszubauen“.

Anderer Meinung ist Klaus Hartschuh, der Vorsitzende des VdK in Kornwestheim. „Ich sehe täglich ratlose Gesichter vor Automaten, vor allem von älteren Menschen.“ Es gehe nicht, Personal abzuschaffen – das Gegenteil müsse sein. „Wir brauchen mehr Personal für ältere Leute.“

Fahrgastverband hat keine Einwände

Auch bei der Landesstelle des Fahrgastverbands Pro Bahn gibt es keine Einwände gegen die Videoterminals der Bahn. Das sei besser als Schalter, die nur stundenweise besetzt seien, sagt Stefan Buhl. Es sei „verständlich und unbestritten, dass dies für bestimmte Gruppen von Fahrgästen problematisch“ sei. Auch bei Banken gebe es immer weniger Schalter und mehr Automaten. Man müsse den finanziellen Aufwand abwägen. Mit der Videoberatung helfe man den Fahrgästen.

Derweil wird die Videoberatung bereits praktiziert. Im Ludwigsburger Bahnhof sitzen Alexander Reiter und Tolga Dikici vor Kamera und Bildschirmen. Hier laufen Anfragen ein von sechs Bahnhöfen im Land. Eine Frau will von Biberach zum Stuttgarter Flughafen, in Mannheim fragt ein Fahrgast nach dem nächsten Zug nach Frankfurt. Kein Problem für die beiden Berater. Zwei weitere Arbeitsplätze für Kollegen stehen schon bereit – für die sechs nächsten Videostationen. Die ersten wurden vor fünf Jahren im Schwarzwald eingerichtet. Sie würden von den Kunden angenommen. „Es ist eine positive Geschichte“, sagte ein Bahnsprecher. Es gehe „nicht um Personaleinsparung, sondern um eine andere Art des Verkaufs“.

Protest: Die Listen liegen in Korntal-Münchingen bis 15. Oktober im Weltladen, in Büchereien und bei den Optikern Noack und Anton.